Kai Havertz von Bayer Leverkusen im Interview: "Ein A-Länderspiel sollte mein Anspruch sein"

Kai Havertz ist der jüngste Profi, der je für Bayer Leverkusen in der Bundesliga spielte.
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Kai Havertz ist der jüngste eingesetzte Spieler in der Bundesliga-Geschichte von Bayer Leverkusen und der jüngste Spieler aller Zeiten mit 50 Bundesliga-Spielen. Im Interview spricht der 19-Jährige über Barcelona-Poster im Kinderzimmer, Hausaufgaben auf der Autobahn und den Abitur-Stress.

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Zudem äußert sich Havertz zu den ständigen Superlativen, seinen Ambitionen in der deutschen Nationalmannschaft und den DFB-Rücktritt von Mesut Özil.

SPOX: Herr Havertz, Sie begannen mit dem Fußballspielen im Alter von vier Jahren bei Alemannia Mariadorf, einem Klub aus Ihrer Geburtsstadt Aachen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Kai Havertz: Wir haben keine 100 Meter vom Sportplatz entfernt gewohnt. Es wäre daher ein Wunder gewesen, wenn ich nicht eines Tages für den Verein gespielt hätte. Nach relativ kurzer Zeit habe ich zwei Jahrgänge übersprungen. Wir waren im Aachener Raum ziemlich erfolgreich und haben Turniere sowie Meisterschaften gewonnen. Rückblickend hat es mir geholfen, dass ich so schnell bei den Älteren dabei war, denn dadurch konnte ich vieles lernen, was mit den Jungs in meinem Alter womöglich schwieriger gewesen wäre.

SPOX: Woher kam denn Ihre frühe Begabung?

Havertz: Mein Talent ist reiner Zufall. Mein Vater war kein hochbegabter Kicker. Mein Opa dagegen hat früher selbst in der Umgebung gespielt und warf mir im Garten immer die Bälle zu, die ich dann in seine Arme schießen sollte. Daher denke ich, dass ich ihm zu einem nicht unerheblichen Teil die Leidenschaft für das Spiel zu verdanken habe, wenngleich meine gesamte Familie schon immer fußballverrückt war.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar sprach mit Kai Havertz im Leverkusener Trainingslager in Österreich.
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SPOX-Redakteur Jochen Tittmar sprach mit Kai Havertz im Leverkusener Trainingslager in Österreich.

SPOX: Wie haben Sie als Kind den Profifußball konsumiert?

Havertz: Wir hatten zur Bundesligazeit von Alemannia Aachen Stehplatz-Dauerkarten und sind alle zwei Wochen ins Stadion gepilgert - mein Vater, mein Bruder und ich. Der Verein, auf den ich zu dieser Zeit aber besonders geschielt habe, war der FC Barcelona. Das war mein erster großer Lieblingsklub, mein Zimmer hing voller Barca-Poster. 2006 war ich sieben Jahre alt, Ronaldinho und Samuel Eto'o haben das Barca-Trikot getragen, das hat mich natürlich schwer beeindruckt. Ich habe es geliebt, die Spiele in der Champions League anzuschauen.

Havertz über seinen Heimatbezug und den Umzug nach Leverkusen

SPOX: Mit neun gingen Sie 2009 zur Alemannia und haben dort auch mit ein Jahr älteren Jungs zusammengespielt. Sie blieben aber nur etwas länger als ein Jahr. Weil dann das Angebot von Bayer Leverkusen kam?

Havertz: Nein. Es gab bereits in der U8 erste Kontakte zu größeren Klubs. Da war Leverkusen mit dabei, aber auch Köln und Gladbach. Damals waren aber meine Eltern und auch ich gegen einen Wechsel. Ich ging in meinem Heimatdorf zur Schule und dann plötzlich täglich zwei Stunden im Auto nach Leverkusen und zurück zu sitzen, wäre in diesem Alter wohl zu viel des Guten gewesen. Daher lag ein Wechsel zur Alemannia näher. Dort konnten wir uns bei Turnieren wie dem Reviercup präsentieren, bei denen wir auch auf Schalke oder Dortmund trafen. Mit elf Jahren haben wir dann gesagt, wir versuchen das jetzt einfach mal mit dem Wechsel nach Leverkusen und wenn es nicht klappen sollte, dann gehe ich zurück nach Aachen.

SPOX: Sie gelten als Familienmensch, der stark im Aachener Raum verwurzelt ist. Leverkusen liegt keine 100 Kilometer von Aachen entfernt. Was wäre gewesen, wenn Ihnen Hertha BSC, der HSV oder der VfB Stuttgart ein Angebot gemacht hätten?

Havertz: Ich hätte mich bedankt, wäre aber niemals dorthin gewechselt. Ich bin ein absoluter Familienmensch und in diesem jungen Alter wäre das vollkommen undenkbar für mich gewesen. Beim Wechsel nach Leverkusen bekam ich sofort das Angebot, in die Stadt zu einer Gastfamilie zu ziehen, aber das wollte ich zu Beginn nicht. Ich habe versucht, das von der Heimat aus unter einen Hut zu bekommen. Nach der Schule ging es daher mit dem Fahrdienst zum Training, anschließend wieder nach Hause - wenn kein Stau war. Es gab jedoch einige Male, da standen wir im Stau, haben das Training verpasst und sind wieder nach Hause kutschiert worden. Ich habe oft meine Hausaufgaben auf der Autobahn gemacht. (lacht)

SPOX: Als Sie zur U17 von Bayer stießen, zogen Sie nach Leverkusen ins Haus des damaligen Stadionsprechers Klaus Schenkmann.

Havertz: Ich war 15 und der Aufwand wurde einfach zu groß. Ich hatte meistens Schule bis 15.40 Uhr, das Training begann aber schon um 17 Uhr. Das war selten zu schaffen, daher musste eine Veränderung her. Zu diesem Zeitpunkt war ich aber schon so weit gekommen, als dass ich deswegen gesagt hätte, ich kicke eher nur nebensächlich oder aus Spaß. Bayer hat mir dann angeboten, die möglichen Gastfamilien und deren Umgebung kennenzulernen. Für meine Mutter war das ziemlich hart, denn sie wollte mich eigentlich nicht so früh schon ausziehen lassen. Sie hat daher sozusagen die Entscheidung getroffen, in welche Gastfamilie ich gehe. Das konnte ich gut nachvollziehen. Mit der Familie Schenkmann haben wir alles richtig gemacht.

SPOX: Sie blieben dort aber nur ein Jahr. Warum?

Havertz: Die Zeit war toll und verlief reibungslos, ich habe mich auch mit meinen beiden Mitbewohnern gut verstanden. Irgendwann habe ich jedoch gemerkt, dass ich mehr Ruhe brauchte. Es gab zudem die Option, mit meinem sechs Jahre älteren Bruder in Leverkusen zusammen zu ziehen, der in Köln studierte und arbeitete. Das dauerte letztlich auch nur ein Jahr, bis ich mich dann für eine eigene Bude entschied.

Havertz über seinen Durchbruch und die erste Bundesliga-Einwechslung

SPOX: Und dann dauerte es nicht mehr lange, bis Sie erstmals in den Kader der Bundesligaelf rutschten. Ab wann war Ihnen klar, dass Sie es zum Profispieler schaffen würden?

Havertz: Die Hoffnung hatte ich immer, gerade nachdem ich bei einem Bundesligisten alle Jugendteams durchlaufen hatte. Ich wurde relativ häufig von den Trainern darauf hingewiesen, dass es trotz des Talents nur sehr wenige bis zum Bundesligaspieler schaffen. Ich sah in all den Jahren auch so viele hoch veranlagte Spieler, die es letztlich nicht geschafft haben, weil der Weg einfach sehr schwierig ist. So richtig begriffen, dass ich es schaffen kann, habe ich in der U17. 2016 wurden wir deutscher Meister und in der Folgesaison bin ich direkt zu den Profis gestoßen.

SPOX: Ihre erste Einwechslung fand im Oktober 2016 in Bremen statt, Sie wurden dort mit 17 Jahren und 126 Tagen zum jüngsten Spieler, der je für Bayer 04 gespielt hat. Da Lars Bender krank wurde, stießen Sie erst am Spieltag selbst zur Mannschaft. Wie lief das an diesem Tag genau ab?

Havertz: Ich saß an dem Samstag mit meiner Familie um 10 Uhr am Frühstückstisch und plötzlich rief mich Roger Schmidt an. Er sagte nur: Lars ist krank, bitte komme nach. Ich bin also von Aachen nach Leverkusen gedüst und von dort mit einem Fahrer weiter nach Bremen, so dass ich erst am Nachmittag eingetroffen bin. Das Spiel begann um 18.30 Uhr. Als ich dort auf der Bank saß, dachte ich: Jetzt wechsele mich einfach ein, damit sich der ganze Aufwand auch gelohnt hat. (lacht) Ich ging aber nicht davon aus, dass das wirklich passiert.

Havertz über den Abitur-Stress und den Atletico-Brocken

SPOX: Wie fühlten Sie sich, als sich Ihrer Einwechslung angedeutet hat?

Havertz: Ich war schon beim bloßen Zuschauen auf der Bank nervös. Als der Trainer mir dann signalisierte, dass ich reinkomme, hat sich das nochmal deutlich gesteigert. Doch in dem Moment, als ich den Platz betrat, war das irgendwie wie weggeblasen. Nach Abpfiff war ich zwar enttäuscht ob der Niederlage, auf der anderen Seite war pure Freude in mir, da mir dann so richtig bewusst wurde, was nach 15 Jahren Fußball auf einmal passiert ist.

SPOX: Und nebenher haben Sie noch Ihr Abitur gemacht. Sie mussten den versäumten Stoff mit einem Nachhilfelehrer nachholen. Sie sagten, dass Sie einmal kurz davor standen, alles hinzuschmeißen. Wie kam das?

Havertz: Diese ganze Zeit war ziemlich stressig. Ich war in der Schule wegen des Fußballs sehr abgelenkt und konnte mich irgendwann einfach nicht mehr so richtig auf meine dortigen Aufgaben konzentrieren. Mir ist das alles über den Kopf gewachsen und ich bekam in manchen Phasen das Gefühl, es nicht schaffen zu können. Ich hatte damals mit Roger Schmidt einige gute Gespräche, in denen er mir noch einmal eingebläut hat, wie wichtig ein Schulabschluss für meine langfristige Zukunft ist.

Kai Havertz: Seine Pflichtspiel-Statistiken bei Bayer Leverkusen

WettbewerbEinsätzeToreVorlagen
Bundesliga55713
DFB-Pokal710
Champions League300

SPOX: Fanden Sie es zeitweise nicht albern, auf eine Erdkunde-Klausur lernen zu müssen, wenn doch eigentlich längst klar war, dass Sie ohnehin Fußballprofi werden?

Havertz: Natürlich kommt der Gedanke auf. Ich saß einige Male da und dachte: Das Zeug werde ich wohl in meinem ganzen Leben nicht mehr brauchen. (lacht) Das war eines meiner Argumente, als mir das alles über den Kopf gewachsen ist. Andererseits wäre es genauso albern gewesen, jahrelang zur Schule zu gehen und dann kurz vor dem Abschluss hinzuschmeißen.

SPOX: Einmal mussten Sie ein Champions-League-Spiel bei Atletico Madrid im Estadio Vicente Calderon wegen Prüfungen sausen lassen. War das der dickste Brocken, den Sie während dieser Zeit schlucken mussten?

Havertz: Definitiv, zumal es eines der letzten Spiele in dieser grandiosen Schüssel war. Ich habe schon als Kind davon geträumt, eines Tages in solchen Stadien aufzulaufen - und während die Kollegen dort spielten, musste ich mich mit Erdkunde oder so etwas beschäftigen. Das war schon ziemlich bitter und gerade deshalb sehr schwierig, da ich zuvor viele Partien von Beginn an absolviert habe. Doch es kam der Anruf der Schule, dass ich anwesend sein und einiges nacharbeiten musste. Dann hat der Trainer entschieden, dass ich in Leverkusen bleibe. Ich gebe zu, dass ich damals ein bisschen am Boden zerstört war.

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