SPOX: Als Sherwood Trainer der Profis wurde, zog er Sie hoch. Dort haben Sie sich nach und nach etabliert. Im April 2014 veröffentlichte die italienische Sportzeitung Gazzetta dello Sport ein Ranking der weltweit besten Talente unter 20 Jahren - und Sie waren dabei. Was haben Sie nach all den Jahren der Entbehrungen in diesem Moment gedacht?
Bentaleb: Das war ein komischer Moment. Die Erfahrung mit Lille damals hatte mir extrem zugesetzt. Ich wollte nichts anderes als ihnen beweisen, dass sie mit ihrer Einschätzung falschlagen. Als mir das dann gelang, ist mir klar geworden, dass ich all dies für mich, für meine Familie und für meine Leidenschaft getan habe. Und eben nicht, um jemandem zu zeigen, dass er im Unrecht war. Ich wollte an diesem Punkt nicht aufhören. Ich wollte noch mehr zeigen und war davon überzeugt, dass ich dazu auch in der Lage war.
SPOX: Was Sie schon damals ausgezeichnet hat, war Ihr großer Ehrgeiz. Sie sagten einmal, dass Sie sehr wütend werden, wenn Sie gegen Ihren Bruder ein Tischtennis-Match verlieren. Wo hat für Sie dieser Ehrgeiz seinen Ursprung?
Bentaleb: Ich bin Algerier. (lacht) Spaß beiseite: Ich glaube, dass das die Mentalität ist, die man in einem nicht einfachen französischen Viertel mit auf den Weg bekommt. Dort wird man jeden Tag getestet, man befindet sich in einem permanenten Konkurrenzkampf. Ob das beim Kartenspielen ist oder gar bei einer Rauferei - man will immer gewinnen, besser sein und sich im Wettbewerb gegen die anderen durchsetzen. Wenn wir uns amüsieren wollten, sind wir auf die Straße gegangen, trafen dort auf viele andere Jungs und haben dann spontan entschieden, worin wir uns messen. Selbst wenn es nur ein simples Wettrennen war. Das gehört einfach zum Alltag in einem quartier.
SPOX: Manche mögen entgegnen, dass das vielleicht eine Spur zu ehrgeizig ist. Denken Sie, dass sich das eines Tages legen wird und Sie diesbezüglich etwas gelassener werden?
Bentaleb: An dem Tag, an dem ich kein Problem mehr damit habe zu verlieren, werde ich sofort mit dem Fußballspielen aufhören. Und für mich würde es dann auch keine Rolle spielen, ob es um eine Niederlage im Fußball ginge oder beim Tischtennis. Für mich ist es dasselbe. Die großen Spieler, die die Champions League gewinnen oder Weltmeister werden, hassen es alle zu verlieren, weil es für sie nicht normal ist. Es ist nicht so, dass ich Angst habe vor Niederlagen. Aber ich bin dann sehr unzufrieden, denke lange nach, stelle mir zahlreiche Fragen. Für einen Fußballer ist es meiner Meinung nach fundamental, sich permanent zu hinterfragen, um nicht in die Falle der Genügsamkeit zu stolpern.
SPOX: In der vergangenen Saison waren Ihr Ehrgeiz und Ihre Reaktion auf Negativerlebnisse aber ein Problem für Sie auf Schalke. Wieso war das so?
Bentaleb: Weil ich nicht gespielt habe.
Nabil Bentaleb über den richtigen Umgang mit Kritik
SPOX: Domenico Tedesco und Christian Heidel haben Sie öffentlich scharf kritisiert und gemeint, dass Sie sehr niedergeschlagen seien und alles schlecht fänden, wenn Sie auf der Bank Platz nehmen müssen. Wie sind Sie damit umgegangen?
Bentaleb: Das war für mich keine leichte Situation, doch sie hat mich letztlich stärker gemacht und ich habe daraus gelernt. Es wird allerdings dabei bleiben, dass ich unzufrieden bin, wenn ich auf der Bank sitze.
SPOX: Daran ist ja auch nichts auszusetzen. Was die Verantwortlichen jedoch auch kritisiert haben, war das Zurschaustellen Ihrer Unzufriedenheit. Und das bemerkt eine Mannschaft natürlich.
Bentaleb: Das stimmt. Daran muss ich auch unbedingt arbeiten, keine Frage. Die Enttäuschung zu verbergen, fällt mir immer noch nicht leicht. Was ich aber versichern kann ist, dass ich unabhängig von einem Platz auf der Bank oder einem Startelfeinsatz im Training immer 200 Prozent gebe, an mein Maximum gehe und um meinen Platz kämpfe. Dafür wird man mich niemals kritisieren können. Ich darf aber künftig nicht mehr meinen Kopf hängen lassen oder nicht mehr mit niemandem sprechen, wenn ich nicht spiele. Das ist mir bewusst.
SPOX: Nehmen Sie die schlechte Laune dann auch mit nach Hause in Ihr Privatleben?
Bentaleb: Ja. Genau das ist ein Problem, aber ich arbeite daran. Wenn du in einer solchen Phase heimkommst und ganz alleine bist, deine Eltern und Geschwister nicht da sind, dann denkst du nur über den Fußball nach und suchst Gründe, warum es nicht läuft, warum du nicht spielst. Ich bin nun aber seit einiger Zeit verheiratet und glaube, dass es mir in dieser Konstellation künftig leichter fallen wird. Denn jetzt habe ich keinen Grund mehr, schlecht gelaunt nach Hause zu kommen.
Bentaleb über Statussymbole, Social Media und "stinknormale Restaurants"
SPOX: Zu dieser Zeit gingen viele Beobachter davon aus, dass sich die Wege in diesem Sommer trennen werden. Haben Sie selbst an einen Wechsel gedacht?
Bentaleb: Überhaupt nicht. Ich bin kein Typ, der aufgibt und abhaut. So bin ich nicht. Ich will die Sachen zu Ende bringen. In meinem Kopf steht für mich fest, dass ich spielen muss, weil ich die Qualität dazu habe. Und wenn das nicht der Fall ist, dann möchte ich den Beweis erbringen, dass ich damit Recht habe. Ich sehe das als Prüfung an und bin mit dieser Herangehensweise bislang gut gefahren, denn auch nach dieser schwierigen Phase in der letzten Saison stand ich wieder regelmäßig auf dem Platz, obwohl die Mannschaft zuvor ohne mich erfolgreich war. Wahrscheinlich habe ich diesen Rückschlag auch benötigt, um einen Schritt nach vorne zu machen. Für mich war die letzte Saison nicht nur aufgrund unseres Erfolgs eine gute Saison, sondern weil ich viel gelernt habe.
SPOX: Wie viele andere Fußballprofis sind Sie auch in den sozialen Netzwerken unterwegs. Doch Sie unterscheiden sich vom Großteil, weil Sie ausschließlich sportliche Bilder posten und keine glamourösen Schnappschüsse. Sie sagten einmal, Ihre Eltern würden Ihnen den Kopf abreißen, wenn Sie beispielsweise einen Frisör einfliegen ließen.
Bentaleb: Das stimmt. Meine Eltern lassen mich jedoch all das tun, was ich tun möchte. All meine Anstrengungen im Leben, besonders natürlich die Tatsache, dass ich tatsächlich Fußballprofi geworden bin, habe ich unternommen, um meine Eltern und meine Familie stolz zu machen. Das steht für mich über allem. Ich war im Urlaub auch schon mit einem schönen Boot unterwegs, aber das möchte ich nicht öffentlich machen, damit niemand denkt, ich würde damit angeben wollen. Das ist bei mir als Moslem vielleicht eine kulturelle Sache.
SPOX: Inwiefern?
Bentaleb: So wurde ich erzogen. Ich verurteile aber niemanden, der so etwas gerne mit der Öffentlichkeit teilt. Mir selbst ist es einfach extrem wichtig, ein ganz normaler Mensch zu bleiben. Wenn ich in der Heimat bin, fahre ich mit dem Fahrrad durch die Gegend und gehe mit meinen Freunden in einem stinknormalen Restaurant essen. Für meine Kumpels bin ich einfach nur Nabil - nicht Nabil, der Fußballer, der viel Geld verdient. Und genau diese Behandlung brauche ich auch. Die kleinen Kinder bei mir zu Hause haben schon häufiger zu mir gesagt, dass sie dachten, ich wäre ein grimmiger Kerl, wie ich es auf dem Platz sein kann. Dann stellen sie aber fest, dass ich tatsächlich ein ganz normaler Typ bin - und darüber freue ich mich sehr.
SPOX: Einer Ihrer Lehrer in Lille hat einmal gesagt, dass Ihre Chance, Fußballprofi zu werden, bei einem Prozent läge. Würden Sie ihn nun gerne einmal wiedersehen?
Bentaleb: Das war mein Englischlehrer. In unserer Klasse gab es damals viele Jungs, die Fußball spielten und den Traum vom Profidasein hatten. Er meinte zu uns: Wenn es einer aus eurer Klasse schafft, wäre das einzigartig. Ich habe nie verstanden, warum er das gesagt hat. Wir hatten alle diesen Traum und er sagte einfach so dahin, dass wir es ja wahrscheinlich eh nicht schaffen würden. Das ist doch kein pädagogischer Ansatz. Damit hat er uns demoralisiert, anstatt uns zu sagen, dass wir an unsere Träume glauben und sie hartnäckig verfolgen sollen. Von daher, nein, ihn muss ich nicht unbedingt wieder treffen.