"Wir machen zwar viel Blödsinn, aber da haben wir uns schon was bei gedacht." Im ersten Moment fiel es schwer, die Worte von Hans-Joachim Watzke am Sonntag im Sky-Talk bei Jörg Wontorra richtig einzuordnen, als er erklärte, warum sich der BVB im Sommer kaum, beziehungsweise gar nicht mit Alassane Plea beschäftigt habe.
Schließlich war jener Plea bei OGC Nizza ausgerechnet unter Lucien Favre aufgeblüht (81 Spiele, 35 Tore). Jener Favre, der im Sommer einen BVB auf Mittelstürmer- und Identitätssuche übernahm. "Ich hatte Sorge, dass Lucien den Jungen dann vielleicht lieber mit nach Dortmund nimmt", gab auch Gladbachs Sportdirektor Max Eberl zu. Es ist daher eigentlich überhaupt kein Blödsinn, dass sich angesichts von Pleas beeindruckender Torquote bei Borussia Mönchengladbach die Frage stellt, warum die Schwarz-Gelben den Franzosen nicht wollten.
"Das muss auch zueinander passen", stellte Watzke fest und traf damit den Nagel auf den Kopf. Denn während beim BVB das "Das" zwischen Marco Reus und Paco Alcacer bestens zu funktionieren scheint (beide acht Saisontore), könnte es auch für Plea aktuell bei der anderen Borussia nicht besser laufen. Dabei ist Mönchengladbach nicht unbedingt dafür bekannt, eine Wohlfühloase für sogenannte Neuner zu sein.
Alassane Plea bei Borussia Mönchengladbach: Kein baumlanger Bulle
So sehr Max Eberl auch für seine Transferpolitik der vergangenen zehn Jahre gelobt wird, so wenig Erfolg hatte er bei der Suche nach einem passenden Mittelstürmer. Doch die Regel, dass in Gladbach eben keine echte, sondern nur eine falsche Neun funktioniert (Max Kruse, Raffael, Lars Stindl), ist nun dank Plea keine Regel mehr, sondern vielmehr ein Mythos. Eine Mär aus längst vergangenen Tagen.
Elf Tore in zwölf Pflichtspielen erzielte der 25 Jahre alte Franzose bereits für die Elf vom Niederrhein. Josip Drmic unter Dieter Hecking und Luuk de Jong unter Lucien Favre brachten es gemeinsam in 94 Spielen gerade einmal auf 13 Tore für Gladbach. Ein "großes Missverständnis" nannte Sportdirektor Max Eberl die Sehnsucht einiger Gladbacher Fans nach einem Stoßstürmer, "weil unterschätzt wird, dass auch so ein Spielertyp in die gesamte Spielweise integriert werden muss".
Weil diese in Gladbach "seit Jahren eine andere" sei, brauche es eben nicht "den baumlangen Bullen im Strafraum", sagte Eberl noch vor etwas mehr als einem Jahr dem kicker. Und daran hat sich auch mit der Plea-Verpflichtung nichts gerändert, schließlich besitzt Plea mit seinen 1,81 Metern kaum das entsprechende Gardemaß, um als "baumlanger Bulle" durchzugehen.
Das Watzke'sche "Das" zwischen Plea und Gladbach passt einfach wesentlich besser als bei seinen Vorgängern im Sturmzentrum, weil er sich anders als Drmic und de Jong "nicht nur als Abschlussspieler" sieht. "Ich glaube, das Finden von Räumen zählt zu meinen Stärken", sagte Plea und beschrieb sich gleichermaßen als "mitspielenden Stürmer". Einen, bei dem das Spiel mit Ball nicht aufhöre, sondern weitergehe. So gesehen ein Pfadfinder in vorderster Front.
Leistungsdaten und Statistiken von Alassane Plea
Verein | Spiele | Tore | Torvorlagen |
Borussia Mönchengladbach | 12 | 11 | 3 |
OGC Nizza | 135 | 44 | 23 |
AJ Auxerre | 16 | 3 | 1 |
Olympique Lyon | 12 | 1 | - |
Pleas Dreierpack gegen Werder Bremen: Der Raumfinder schlägt wieder zu
Dass er die gefundenen Räume auch nutzen kann, verschwieg er zunächst. Dabei war es genau das, was den Gladbachern in den vergangenen Spielzeiten gefehlt hatte. Eberl war sich bewusst, dass dem Spiel der Borussia die Stringenz fehlte, "dass wir nicht den Weg in den Strafraum suchen, sondern immer noch mal quer spielen".
Dieses Problem scheint mit Plea nun behoben zu sein. Das verdeutlicht die Entstehung zwei seiner drei Treffer am vergangenen Samstag gegen Werder Bremen: Beim 1:0 walzte sich Plea technisch anspruchsvoll seinen Weg durch zwei Gegenspieler und suchte den direkten Weg zum Tor. Beim 2:0 untermauerte er sein Selbstbild des Raumfinders, als er Davy Klaasen düpierte und eine flache Ecke von Thorgan Hazard direkt abnahm. "Wenn er den Fuß frei hat, schießt er", sagt Eberl über die Qualitäten des Gladbacher Rekordtransfers.
Dass Plea, der in Frankreich "Lasso" genannt wird, so oft in die Gunst der freien Füße kommt, hat er jedoch auch Trainer Dieter Hecking zu verdanken. Dieser hatte sich im Sommer intensiv hinterfragt, das System von seinem stoischen 4-4-2 auf ein 4-3-3 umgestellt und in Detailarbeit auf die Spieler und ihre Stärken abgestimmt.
Heckings System-Wandel bei der Borussia: Gesprengte Ketten
Einer, der davon wohl am meisten profitierte, war Jonas Hofmann (5 Tore, 3 Vorlagen). Der 26-Jährige stand noch vor dieser Saison sinnbildlich für das Mittelmaß, in das die Borussia nach den rauschenden Europapokalfesten vergangener Jahre abzurutschen drohte. Nun ist er das Gesicht der gesprengten Gladbacher Ketten, die Hecking der Mannschaft durch sein stetiges Beharren auf das 4-4-2 angelegt hatte.
Pleas Verpflichtung aber war für Heckings Entschluss und auch die taktische Flexibilität der Borussia während eines Spiels wegweisend. "Alassane kann perfekt zu Borussia passen", sagte Hecking bei der Vorstellung des 25-Jährigen und sollte damit recht behalten. Denn Plea ist eben nicht nur die stoische Sturmspitze, die vorne auf den langen Hafer wartet, sondern zentraler Bestandteil der Positionsrochaden.
Gegen Bremen tauschte er beispielsweise immer wieder die Position mit Lars Stindl, überließ dem Kapitän das Zentrum und wich auf den linken Flügel aus. Eine Position, die er unter Favre zwei Jahre lang in Nizza bekleidet hatte, weil das Sturmzentrum Mario Balotelli gehörte. Auch seine Polyvalenz ist ein Faktor, den sie in Gladbach neben seiner Laufbereitschaft und Zielstrebigkeit so schätzen. "Er macht Tore über die Außenbahn. Das ist ja nicht alltäglich, normal bist du im Zentrum und schießt Tore", stellte Eberl fest.
Alassane Plea vor Debüt für Frankreich: Das eingelöste Versprechen
Alltäglich ist für Plea auch eine Nominierung für die französische Nationalmannschaft nicht. Genoss er noch vor Jahren in den U-Nationalmannschaften den Ruf, Teil einer heranwachsenden goldenen Generation um Samuel Umtiti, Paul Pogba und Corentin Tolisso zu sein, wurde ihm der Durchbruch durch mangelnde Spielzeit bei Olympique Lyon und AJ Auxerre und drei schweren Knieverletzungen erschwert.
Während seine Wegbegleiter zu Jugendzeiten im Sommer das Versprechen einlösten und mit der Equipe Tricolore Weltmeister wurden, tauschte Plea das traumhafte Ambiente der Cote d'Azur gegen das niederrheinische Betongrau der Gladbacher Altstadt ein. Zwei Tage vor dem WM-Finale unterschrieb Plea für fünf Jahre bei der Borussia, nicht ahnend, dass ihn diese Entscheidung eher früher als später in eben jene Weltmeistermannschaft spülen würde.
Aufgrund der verletzungsbedingten Absagen von Anthony Martial und Alexandre Lacazette nominierte Didier Deschamps Plea erstmals für die Länderspiele gegen die Niederlande (Fr., 20.45 Uhr im LIVETICKER und live auf DAZN) und Uruguay (Di., 21 Uhr) nach. "Das ist schon eine Auszeichnung für die Leistung der letzten zwei bis drei Monate", erklärte Eberl bei Sky Sport News HD. Doch es ist vielleicht auch noch ein bisschen mehr als das. Ein verspätet eingelöstes Versprechen.
Bei seinem ersten Ausflug zur Equipe Tricolore wird es Plea genießen, sich endlich wieder mit mehr Leuten als nur Michael Cuisance, Ibrahima Traore, Denis Zakaria, Thorgan Hazard und Mamadou Doucoure ohne Probleme verständigen zu können. Plea spricht nur wenig Englisch und kaum Deutsch. Das will Hecking so schnell wie möglich ändern und spricht ausschließlich Deutsch mit Plea.
Auf die Frage, wie Plea denn mit seinen Mitspielern kommunizieren würde, antwortete Eberl, dass Plea "mit seinen Augen, seiner Mimik" spreche. Am meisten aber spricht er in letzter Zeit mit seinen Toren.