Bei Borussia Dortmund gab es zuletzt einige Gelegenheiten für Freudenbilder aus der Kabine. Das ist ja in Zeiten von Social Media längst populär geworden: Spiel gewinnen und dann ein Jubelfoto aus der Kabine posten. Der BVB tat dies zuletzt nach den beiden berauschenden Siegen gegen Atletico Madrid und den FC Bayern.
Guckte man genau hin, fiel jeweils ein Mann auf, den man schon lange nicht mehr zu Gesicht bekam. Jeremy Toljan stand einmal im und einmal abseits des feiernden Mannschaftskreises. Diese Symbolik spiegelt derzeit sehr gut seine Situation in Dortmund wider. Noch keine Sekunde stand Toljan in dieser Saison für die Profis auf dem Platz, dennoch ist er weiterhin ein vollwertiges Kadermitglied.
Dass diese Zwischenbilanz so kommen könnte oder würde, war dem ehemaligen Hoffenheimer bewusst. Toljan entschied für sich in diesem Sommer, beim BVB den Weg der Geduld zu gehen und sich dem aussichtslos anmutenden Konkurrenzkampf zu stellen.
Jeremy Toljan bei Ancelotti heiß begehrt
Das ist durchaus bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Toljan nach der auch für ihn ernüchternden Vorsaison von Angeboten überhäuft wurde. Der Markt für ihn, der 2017 zum besten Rechtsverteidiger der U21-EM gewählt wurde, ist da. Gerade im Ausland genießt Toljan ein hohes Standing. Schließlich sind Außenverteidiger, die über beide Flügel kommen können, rar gesät und deshalb sehr attraktiv.
Toljan hätte es sich also einfacher machen können, als er es jetzt hat. Besonders Carlo Ancelotti wollte ihn unbedingt zum SSC Neapel holen, hat mehrfach insistiert und sich nach einem persönlichen Gespräch mit Toljan einen Korb abgeholt.
Die Verantwortlichen des BVB zeigten ihm vor der Saison deutlich seine Perspektiven auf - und die waren alles andere als rosig. Trainer Lucien Favre legt seinen Fokus auf defensive Stabilität und baute daher nachvollziehbarerweise zunächst voll auf die etablierten Außenverteidiger Marcel Schmelzer und Lukasz Piszczek. Auch Neuzugang Achraf Hakimi werde vor ihm seine Chancen erhalten, wurde Toljan klar kommuniziert.
Für BVB-Coach Favre ist Toljan nicht abgeschrieben
Er ging also bereits mit einem Rückstand in dieses Rennen und hatte nach dem langfristigen Ausfall von Schmelzer insofern "Pech", dass Hakimi vom Fleck weg starke Leistungen zeigte. Toljan hängt somit weiter in der Warteschleife fest. Dennoch ist für ihn bislang nichts passiert, was er nicht einkalkuliert oder erwartet hätte.
Auch mit Favre hadert Toljan nicht, im Gegenteil. Favre sprach ihn sehr positiv an für die Bereitschaft, in Dortmund trotz der erschwerten Ausgangslage nicht schon nach einer Saison aufzugeben. Für ihn ist Toljan längst nicht abgeschrieben, er hat ihm eine faire Chance in Aussicht gestellt. Der Coach spricht viel und arbeitet mit ihm, Toljan wiederum lässt sich im Training nicht hängen.
Es war daher ziemlich unglücklich, was ihm während der vergangenen Länderspielpause passierte. Der BVB reiste für ein Testspiel zu Alemannia Aachen, um Akteuren wie Toljan, Sebastian Rode oder Dzenis Burnic zu Spielzeit und Rhythmus zu verhelfen.
Pech für Toljan beim BVB-Testspiel
Nach rund 30 Minuten Spielzeit als Rechtsverteidiger bekam Toljan einen Schlag aufs Knie. Er hielt bis zur Pause durch, dann ging es aber nicht mehr weiter. Eine Knieprellung ließ ihn daraufhin einige Tage mit dem Training aussetzen.
Ende Oktober stieg er wieder ein, die Rotations-Partie im Pokal gegen Union Berlin - neben Schmelzer fiel diesmal auch Piszczek aus - wäre für ihn eine gute Gelegenheit gewesen, zumindest in den Kader zu rutschen und womöglich auch zu spielen. Schließlich setzte Favre meist nur einen Außenverteidiger auf die Bank und dieser wäre wohl Toljan gewesen. Letztlich musste Raphael Guerreiro hinten links aushelfen, als sich Abdou Diallo früh verletzte.
Ob die momentane Situation für Toljan am Ende zum Erfolg führen wird, bleibt weiter abzuwarten. Es wird für ihn kein Sprint, sondern ein Marathonlauf. Er muss nun einfach dranbleiben und weiter geduldig sein. Sollte Favre ihn mal von der Leine lassen, wird der Maßstab ein einfacher sein: Toljan muss dann mit Leistung überzeugen, schwierige Situation und geringe Spielpraxis hin oder her.
Toljans schwieriger Start in Dortmund
Klar ist: Es dürfte ihm in einer funktionierenden Mannschaft leichter fallen, Akzente zu setzen. Dass Toljan von den sportlichen Turbulenzen des Vorjahres weggeweht wurde, kam letztlich nicht überraschend - zumal er nicht der einzige junge Spieler war, bei dem es nicht direkt funktioniert hat.
Toljan kam im Sommer 2017 am vorletzten Tag der Transferperiode zum BVB, absolvierte die Saisonvorbereitung in Hoffenheim und nicht in Dortmund und war aufgrund von Verletzungen sofort gefordert. 23 Pflichtspiele kamen am Ende heraus, doch Toljan wurde in einer häufig veränderten Viererkette von Seite zu Seite geschoben. Auch die beiden Trainerwechsel sowie weitere Problemstellen im Kader halfen ihm nicht, der Quantensprung von der TSG zum BVB musste quasi ohne Eingewöhnungszeit vollzogen werden.
Dieses harte wie negative Jahr hat Toljan in seiner Persönlichkeit jedoch stabilisiert. Er nahm diese Saison nicht zum Maßstab, sondern fühlt sich erst jetzt richtig in Dortmund angekommen. Weder der Klub, noch seine Berater drängten ihn zu einem Wechsel. Toljan wusste genau, worauf er sich in dieser Spielzeit einlässt.
Wie sieht Toljans Zukunft beim BVB aus?
Spielt der BVB allerdings so weiter wie bisher, wird die Tür für Toljan weiter zu sein. Ein Wechsel im Winter ist dann nicht grundsätzlich ausgeschlossen, zumal der 24-Jährige nach den Offerten im Sommer entspannt sein kann und einen neuen Arbeitgeber sicher finden würde.
Doch noch hat er in Dortmund, auch wenn das auf den Jubelbildern in der Kabine nicht zwingend so aussieht, das klare Gefühl, gebraucht zu werden. Und seine Chance zu erhalten, wenn es die Situation zulässt.
Jeremy Toljan: Seine Leistungsdaten beim BVB seit 2017
Wettbewerb | Einsätze | Tore | Vorlagen | Minuten |
Bundesliga | 16 | 1 | 2 | 1208 |
Champions League | 4 | - | - | 271 |
Europa League | 2 | - | - | 135 |
DFB-Pokal | 1 | - | - | 88 |