Während die Spieler in Schwarz und Gelb hüpfend und singend den ausgelassen jubelnden Gästeblock bespaßten, herrschte am Mittelkreis grenzenlose Leere vor. Dort, wo sich die Mannschaft des FC Schalke 04 mit ihrem Trainer Domenico Tedesco versammelte, war niemandem auch nur ein Hauch von Freude abzugewinnen. Eine Derby-Niederlage fühlt sich im Ruhrpott schließlich in der Regel wie eine verlorene Meisterschaft an. Diese aber drückte noch ein Stückchen mehr aufs Schalker Gemüt als ohnehin schon.
Tedesco und seine Mannen hatten sich fest vorgenommen, vor eigenem Publikum einen Befreiungsschlag gegen den ungeschlagenen Spitzenreiter zu landen, einen Wendepunkt in einer bisher alles andere als zufriedenstellenden Saison herbeizuführen. Stattdessen bot sich den Zuschauern in der Veltins Arena das gewohnte Bild: eine Mischung aus Kampf und Krampf.
Reus: Schalke-Fußball "komisch"
Von dem "komischen" Schalker Spiel, wie BVB-Kapitän Marco Reus es nach dem Abpfiff am Sky-Mikrofon nannte, ließen sich sogar die Gäste zeitweise anstecken. Chancen waren Mangelware, das Duell der verhassten Erzrivalen lebte von Spannung und körperlicher Härte.
Dass die Dortmunder das bessere Ende für sich behielten, war zum einen der individuellen Klasse ihrer Offensive, diesmal dem viel gelobten englischen "Moped" Jadon Sancho, geschuldet. Zum anderen, und das gestand sich hinterher auch Tedesco ein, an dem inspirationslosen Spiel seiner Mannschaft.
"Wir hatten wenig Power. Es fehlt die Durchschlagskraft", resümierte der 33-Jährige. "Wenn du in den letzten drei Spielen nur durch Elfmeter triffst, dann wird es schwierig."
Schalkes großes Problem ist die Offensive
Tatsächlich gaben die Gelsenkirchener an diesem Samstagnachmittag abgesehen vom zwischenzeitlichen Ausgleich durch Daniel Caligiuri nur einen Schuss auf das Gehäuse von Roman Bürki ab - und der hätte wegen eines Handspiels von Guido Burgstaller nicht einmal zählen dürfen. Obwohl die Treffer des BVB, gerade das frühe 1:0 durch den völlig freistehenden Thomas Delaney nach einem Reus-Freistoß, durchaus vermeidbar gewesen wären, ist und bleibt Schalkes großes Problem in dieser Spielzeit der Angriff.
Nach 14 Spielen stehen gerade einmal 15 Tore auf dem Konto von Königsblau. Eine triste, harmlose Bilanz, die Tedesco in den vergangenen Wochen mit vielen System- und Spielerwechseln vergeblich aufzupolieren versuchte. Gegen Dortmund gingen ihm auch noch die Stürmer aus. Breel Embolo und Mark Uth fehlten verletzt, Franco di Santo stand aus offenbar sportlichen Gründen wieder einmal nicht im Kader. Und dann gesellte sich zu allem Überfluss nach nur 36 Minuten noch Burgstaller unfreiwillig ins Schalker Lazarett.
Tedescos Mendyl-Experiment schlägt fehl - Rudy unsichtbar
Tedesco hätte allerdings die Außenstürmer Cedric Teuchert oder Yevhen Konoplianka für den letzten verbliebenen nominellen Mittelstürmer einwechseln können. Stattdessen brachte er in Hamza Mendyl einen Linksverteidiger mit der Begründung, mehr Tempo ins Schalker Spiel bringen zu wollen. "Hamza ist unser schnellster Spieler, der die Tiefe attackieren kann. Deswegen haben wir uns für ihn entschieden", sagte Tedesco.
Der marokkanische Neuzugang aber schien überhaupt nicht zu wissen, wie ihm geschah und antizipierte gleich mehrere Situationen falsch. Dass sein Sturmpartner den Namen Weston McKennie trug, machte die Sache nicht gerade besser. McKennie ist als defensiver Mittelfeldspieler nämlich ebenso wenig fürs Toreschießen bekannt. Malochen kann der US-Amerikaner wie die meisten seiner Kollegen ausgesprochen gut, für kreative Momente sind andere verantwortlich.
Bis auf Amine Harit, der wie vor dem Elfmeter oft nur durch ein Foul zu stoppen war, versprühte aber kein Akteur der Hausherren so etwas wie Spielwitz. Auch nicht Sebastian Rudy. Dabei hatte Schalkes Sportvorstand Christian Heidel ja gerade dafür vor nicht allzu langer Zeit noch 16 Millionen Euro an den FC Bayern überwiesen.
Favre lobt BVB - Fans bereiten Team Pyro-Empfang
Rudy war im Derby unsichtbar, gewann als defensivstes Glied der tedesco'schen Mittelfeld-Raute nur 18,7 Prozent seiner Zweikämpfe. Nabil Bentaleb legte einen ähnlich enttäuschenden Vortrag hin und wurde bereits nach 55 Minuten ausgewechselt. In Anbetracht all dieser Erschwernisse kam es umso verwunderlicher daher, dass die Schalker bis zur 74. Minute einen Punkt in der Tasche hatten.
Der Rivale aus Dortmund überzeugte wie zuletzt schon gegen Brügge oder Freiburg nicht restlos, schaffte es am Ende jedoch mit seiner "sehr guten Mentalität", wie Reus betonte, den Dreier nach Lüdenscheid Nord zu entführen.
"Wir haben sehr gut auf das Gegentor reagiert, die Mannschaft ist im Spiel geblieben, hat weiter Fußball gespielt und sich gesteigert", lobte BVB-Coach Lucien Favre. Der Lohn: Mit 36 Punkten nach 14 Spielen stehen die Dortmunder so gut da wie seit dem Meisterjahr 2010/11 (37) nicht mehr. Dafür bekamen Sancho und Co. bei ihrer Rückkehr nach Dortmund einen feierlichen Pyro-Empfang von den BVB-Fans bereitet.
Schalke im Abstiegskampf - Rückendeckung für Tedesco
Von solchen Szenen können sie in Herne West gerade nur träumen. So schön die Qualifikation fürs Champions-League-Achtelfinale sein mag: Schalkes Lage in der Bundesliga wird immer brenzliger. Der Rückstand auf den BVB beträgt nunmehr 22 Punkte. Viel entscheidender aber: Der ungeliebte 16. Platz ist nur noch drei Zähler entfernt. An Abstiegskampf denkt aber keiner.
"Wir haben dieses Jahr schon einige Nackenschläge bekommen und sind immer wieder aufgestanden. Das wird auch dieses Mal passieren", versicherte Tedesco. Zweifel daran gibt es zumindest von offizieller Seite aus nicht. Bereits vor dem Derby hatte Schalkes Aufsichtsratsvorsitzender Clemens Tönnies dem Trainer in der Bild den Rücken gestärkt: "Er wird uns aus dem Tal führen - und zwar dahin, wo wir hingehören."