Oliver Kahn im Interview: "Ich saß hinten und habe Börse Online gelesen"

Jochen TittmarHaruka Gruber
30. April 201912:11
Oliver Kahn wird wohl 2020 zum FC Bayern München zurückkehren.getty
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14 Jahre lang stand Oliver Kahn im Tor des FC Bayern München, gewann zahlreiche Titel und wurde zur Legende. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird der 49-Jährige ab 2020 in neuer Funktion zum FCB zurückkehren. Seit seinem Karriereende als Spieler verdingt sich Kahn als erfolgreicher Unternehmer - unter anderem bei Goalplay.

Im Interview mit SPOX und Goal spricht Kahn über sein frühes Interesse an den Themen Management und Börse, ein legendäres Zitat von Otto Rehhagel, die Philosophie seines Unternehmens Goalplay und weshalb er bei der Markenbildung von Profisportlern noch großen Nachholbedarf sieht.

Am Dienstag, 30. April, erschien der zweite Teil des Interviews mit Oliver Kahn. Darin sprach der einstige Welttorhüter über sein Masterstudium in Österreich, erklärte seine Gründe für die Absage an den FC Schalke 04 im Jahr 2009 und warum er froh ist, demnächst nicht mehr nach einer Funktion beim FC Bayern gefragt zu werden.

Herr Kahn, 2016 haben Sie Ihr Unternehmen Goalplay gegründet, das am heutigen Tag die weltweit erste App für personalisiertes Torwarttraining auf den Markt bringt. Wenn Ihnen einst beim Karlsruher SC, als Sie mit 18 Jahren und Vokuhila Ihre ersten Bundesligaspiele als Torhüter absolvierten...

Oliver Kahn: (unterbricht) Halt. Die Frisur war cool!

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Ganz gewiss! Wenn Ihnen da jemand gesagt hätte, Sie werden nach Ihrer Karriere erfolgreicher Unternehmer, was hätten Sie darüber gedacht?

Kahn: Ich wäre nicht besonders überrascht gewesen. Meine Eltern haben mich schon sehr früh animiert, zweigleisig zu denken, weil eine Fußballkarriere endlich ist - außer man heißt Buffon. Für mich war es deshalb schon in Karlsruhe wichtig, nebenbei ein Studium zu beginnen. Mich hat damals auch immer das Thema Management interessiert. Ich habe auf den Fahrten zu den Spielen oft entsprechende Magazine gelesen, auch das Thema Börse hat mich früh interessiert. Meine Entwicklung seit dem Karriereende ist daher nicht ungewöhnlich.

Sie haben damals ein BWL-Grundstudium an der Fernuniversität in Hagen absolviert. Wie haben denn die Mitspieler darauf reagiert?

Kahn: Das war für den einen oder anderen immer etwas befremdlich, aber dann hieß es eben: Die Torhüter sind halt anders. Beim FC Bayern wurde vorne im Bus meist Schafkopf gespielt und ich saß hinten und habe Börse Online gelesen. Das war irgendwie meine Form der Entspannung vor einem Spiel.

Weil auch immer die Frage im Hinterkopf war, was nach der Karriere kommen soll?

Kahn: Ich habe mit 38 Jahren mit dem Fußball aufgehört. Dann hat man ja idealerweise noch eine lange Lebensstrecke vor sich. Otto Rehhagel hat es einst in einer Sitzung als Bayern-Trainer genial auf den Punkt gebracht und gesagt: Meine Herren, Sie können nach dem Karriereende nicht den ganzen Tag um Ihre Immobilien laufen und sagen 'Ach Gott, sind die schön.' Ich war immer der Meinung: Wenn Schluss mit Fußball ist, brauche ich etwas Forderndes, das Spaß macht und wieder eine echte Aufgabe darstellt.

Wie sahen die ersten Gedanken dahingehend bei Ihnen aus?

Kahn: Als die WM 2006 und damit meine Nationalmannschaftskarriere vorbei war, habe ich ernsthaft begonnen, mich tiefer damit zu beschäftigen. Durch die Beteiligung an einigen kleineren Gesellschaften bin ich langsam ins Unternehmerische hineingewachsen. Das waren die ersten Gehversuche.

Dass sich ein Fußballprofi für Börse und Management interessiert, ist relativ ungewöhnlich. Hatten Sie zum Beispiel als Jugendlicher eine Art Erweckungsmoment für diese Themen?

Kahn: Mit 18 Jahren verdiente ich mein erstes Geld als Profi, hatte einen Termin in der Sparkasse in Karlsruhe und habe den Berater gefragt, wo ich denn mein Geld anlegen könnte. Irgendwann sind wir auf das Thema Aktien gekommen und das fand ich direkt sehr spannend. Dieses Gespräch war der Ursprung dafür, dass ich mich in der Folge immer mehr für den Aktienmarkt interessierte und meine ersten Investments tätigte - damals noch mit mehr Glück als Verstand. (lacht) Ich habe aber schnell gelernt, dass nicht ein einzelnes Investment im Mittelpunkt der Geldanlage steht, sondern die Verteilung auf unterschiedliche Anlageformen wie Aktien, Immobilien und Renten, um nur einige wenige zu nennen.

Hatten Sie dafür auch eine Art Begleiter, der Ihnen beim Blick auf dem Aktienmarkt geholfen hat?

Kahn: Ich bin ein ziemlich autodidaktischer Mensch und habe mir vieles selbst beigebracht. Ich habe die Bücher von Warren Buffett, Andre Kostolany, Peter Lynch oder George Soros regelrecht verschlungen, um ihre Investmentphilosophie zu verstehen.

In den letzten zwei Jahrzehnten gab es wegen Digital-Investments zwei dicke Dellen in der Börsenwelt: Die sogenannte Dotcom-Blase im Jahr 2000 sowie die Insolvenz der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers 2008. Sie sind nun mit Goalplay seit 2016 am Markt. Sind Digital-Unternehmen einer grundsätzlichen Gefahr ausgesetzt oder ist dieses Geschäft für Sie spannender geworden, weil die Basis nun stabiler wurde?

Kahn: Auch wir müssen selbstverständlich im Blick haben, wie sich die Welt verändert. Wir agieren in erster Linie im Sportbusiness. Genauer im Fußball und noch nischiger gesehen im Torwart- oder Torspielerbereich, wie er heute heißt. Natürlich wird eine ökonomische Krise jedes Geschäft irgendwo beeinflussen, aber der Fußball hat sich in der Vergangenheit relativ konjunkturunabhängig gezeigt. Das Torspielerbusiness, ob auf Profi- oder Amateurebene, wird es immer geben - auch dann, wenn der nächste schwarze Schwan vor der Tür steht.

Oliver Kahn: Seine Pflichtspieleinsätze beim FC Bayern

WettbewerbSpiele
Bundesliga429
DFB-Pokal57
Champions League107
UEFA Cup23

Wie genau sind Sie für sich auf die Goalplay-Idee gekommen?

Kahn: Mein Geschäftspartner kam kurz nach meinem Karriereende zu mir ins Büro und stellte sie mir vor. Damals habe ich mich noch nicht besonders dafür interessiert, denn ich war noch viel zu sehr mit meinen Karriereende als Fußballer beschäftigt. 2015 kam er mit der Idee erneut vorbei, die auch Thema seiner Masterarbeit war. Er hatte darüber geschrieben, wie ehemalige Fußballspieler eine Marke aufbauen können - und das an meiner Person beispielhaft dargestellt.

Und die haben Sie sich dann durchgelesen und für gut befunden?

Kahn: So war's. (lacht) Der Torspielermarkt ist zwar eine kleine Nische, die, wenn man sie global denkt, richtig spannend sein kann. Lediglich ein paar Torwarthandschuhe auf den Markt zu bringen, war nicht unser Ansatz. Je mehr wir uns in diese Welt hineingearbeitet haben, desto mehr fiel uns auf, dass es nicht genügend ausgebildete Torspielertrainer gibt. So entstand die Idee, für die Torspieler und Torspielertrainer digitale Trainingsangebote zu entwickeln. Alles, was wir bei Goalplay tun, zielt darauf ab, die Torspieler besser zu machen. Und das geht natürlich weit über das Angebot von Equipment hinaus.

Wie sind Sie im Oktober 2016 vorgegangen, als Sie das Goalplay-Unternehmen gegründet haben?

Kahn: Wir haben zuerst exzellent ausgebildete Experten aus dem Torspielerbereich eingestellt. Gemeinsam haben wir basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und meiner Erfahrung die Goalplay-Philosophie, sprich das Goalplay-Trainingsprogramm, entwickelt. Sie ist der Kern von allem. Auf dieser Grundlage entwickelten wir den ersten digitalen Torspielertrainer und die Goalplay Academy, die weltweit Vereinen und Verbänden eine Torspielertrainer-Ausbildung und ein Mentoring anbietet.

Mit wie vielen Trainern arbeiten Sie denn derzeit zusammen - und wie?

Kahn: Momentan sind es acht. Sie arbeiten direkt in den Ländern, mit denen wir zusammenarbeiten und bilden deren Trainer aus. Nach einer gewissen Zeit müssen die von uns ausgebildeten einheimischen Torspielertrainer selbst in der Lage sein, Trainer ausbilden zu können. Wir sind dann damit beschäftigt, die Qualität sicherzustellen. So kann es gelingen, unsere Philosophie substantiell im jeweiligen Land zu verankern.

Lange bevor Goalplay gegründet wurde und Sie die ersten Schritte ins Unternehmertum gingen, wurden Sie Experte beim ZDF - und zwar relativ schnell nach Ihrem Karriereende 2008. Wer hatte damals diesen Einfall?

Kahn: Der legendäre Sportreporter Rolf Töpperwien fragte mich, ob ich mir das vorstellen könnte. Die Idee kam vom damaligen Sportchef Dieter Gruschwitz. Jürgen Klopp hörte nach der EM 2008 auf und so wurde die Position vakant. Dieser Vorschlag wurde dann beim ZDF durchaus kontrovers diskutiert, wie mir zu Ohren kam. (lacht) Gruschwitz war am Ende aber davon überzeugt.

Haben Sie von dem internen Prozess und den Vorbehalten gegen Sie beim ZDF nichts gewusst?

Kahn: Vorbehalte würde ich nicht sagen. Aber kritische Auseinandersetzung muss sein und ist auch normal. Nachdem ich die Verantwortlichen davon überzeugt hatte, dass ich nicht mit dem gestreckten Bein über den Moderationstisch fliegen werde, war alles gut. Mittlerweile bin ich schon so lange dabei, dass ich die elf Jahre von Günter Netzer als ARD-Experte sogar noch toppen kann.

Hatten Sie damals auch schon im Hinterkopf, Ihr Persönlichkeitsbild zu entwickeln und den Namen Oliver Kahn als Marke zu positionieren?

Kahn: Mein Management, mit dem ich 2003 zusammengearbeitet habe, vermittelte mir ein Verständnis, wie eine Marke aufgebaut und positioniert werden kann. Sich selbst nicht nur als Fußballspieler, sondern auch als eine Persönlichkeitsmarke zu begreifen, hilft einem vor allem nach der Karriere.

Inwiefern?

Kahn: Wofür stehe ich eigentlich, was ist mir wichtig und wo möchte ich einmal stehen? Das sind wichtige Fragen, mit denen sich immer noch die Wenigsten auseinandersetzen. Da sehe ich in Deutschland weiterhin großen Nachholbedarf. Dabei geht es nicht nur darum, ein paar Werbedeals abzuschließen, sondern sich eigene Aktivitäten aufzubauen und diese mit geeigneten Partnern zu verbinden.

Bei der Marke David Beckham dreht sich beispielsweise alles um die Modewelt. Wie sieht der Markenkern bei Ihnen nun aus, geht es da ums Unternehmertum?

Kahn: Der Unternehmer hat einiges gemeinsam mit einem Sportler. Er muss mit Unsicherheit und Veränderung klarkommen, ist bereit, hart für den Erfolg zu arbeiten, muss Rückschläge verkraften, gibt nicht auf, sucht neue Chancen und macht weiter. Da gibt es schon einige Parallelen.

Griffen Sie bei dieser Neu-Positionierung auch auf eine Art Hilfe von außen zurück?

Kahn: Positionierung hört sich hier zu konstruiert an. Das war eine ganz natürliche Entwicklung, das zu tun, was einem Spaß und Zufriedenheit bringt. Irgendwann kommt man in ein Alter, in dem man kein persönliches Management mehr braucht. Alles andere fände ich auch befremdlich. Ich muss selbst Verantwortung übernehmen und auf eigenen Beinen stehen. Wie soll jemand, dem das eigene Denken von Beratern abgenommen wird, eigenständig handeln und selbstständige Entscheidungen treffen? Das halte ich für schwierig.