Ron-Robert Zieler rettete dem VfB Stuttgart am vergangenen Wochenende mit einer Weltklasse-Parade das Remis gegen den 1. FC Nürnberg, die Situation bei den Schwaben bleibt dennoch unverändert katastrophal. Im Interview mit SPOX und Goal spricht Zieler über seine persönliche Saison zwischen Genie und Wahnsinn, den Frust der Fans und Hoffnungsträger Ozan Kabak.
Außerdem erklärt der 30-Jährige, wie es mit seiner Zukunft in Stuttgart aussieht und wie sich Michael Reschke und Thomas Hitzlsperger in der Rolle als Sport-Vorstand unterscheiden.
Herr Zieler, welchen Film haben Sie zuletzt im Kino gesehen?
Ron-Robert Zieler: Ich war in "Bohemian Rhapsody". Ich hatte von den guten Kritiken gelesen und muss sagen, dass sie sehr verdient waren. Es ist ein richtig toller Film, der zurecht bei den Oscars so abgeräumt hat. Rami Malek als Freddie-Mercury-Darsteller hat mir sehr gut gefallen.
Was wäre denn die VfB-Saison 2018/19 für ein Film? Das Spiel gegen Nürnberg ging wieder stark Richtung Horror.
Zieler: Horror, Drama, Thriller - unser Film hat aktuell wohl von allem etwas. Mir wäre eigentlich nur wichtig, dass es am Ende ein Happy End gibt und wir wie auch immer die Liga halten.
Sie spielen Ihre zweite Saison beim VfB und haben schon in relativ kurzer Zeit viele Aufs und Abs erlebt.
Zieler: Das kann man wohl sagen.
Zieler: "Der VfB bedeutet Emotionen"
Was ist aus Ihrer Sicht mit dem VfB los?
Zieler: Puh, das ist natürlich die Gretchenfrage, die sich jeder stellt, der mit dem VfB zu tun hat. Ich glaube, dass es nicht den einen Punkt gibt, an dem man alles festmachen kann. Wenn ich nur auf die aktuelle Saison schaue, dann ist es offensichtlich, dass wir die Qualität, die meiner Meinung nach im Kader steckt, viel zu selten abrufen konnten. Gepaart mit ein bisschen Verletzungspech hier und fehlendem Spielglück da sind wir in einen Negativstrudel geraten, aus dem wir uns bis jetzt nicht mehr befreien konnten. Wenn du die Hinrunde so gegen die Wand fährst, ist es schwer, den Turnaround zu schaffen. Das ändert für mich nichts daran, dass der VfB ein Verein mit großem Potential ist. Aber aktuell brauchen wir keine schönen Pläne für die Zukunft zu schmieden, aktuell geht es nur ums Überleben in der Liga.
Haben Sie vor der Saison denn im Ansatz eine Gefahr gesehen nach einer vielleicht überbewerteten Rückrunde?
Zieler: Nicht vielleicht. Die Rückrunde wurde sicher teilweise überbewertet. Intern haben wir es realistischer eingeordnet, aber natürlich auch niemals mit solch einer Saison gerechnet. Ich war vor der Saison davon überzeugt, dass wir eine gute Truppe zusammen haben. Davon bin ich Stand heute immer noch überzeugt, auch wenn sich das komisch anhört, wenn man so wenige Punkte geholt hat. Aber die Mannschaft lebt, das ist definitiv so. Ich spüre, dass jeder weiß, um wie viel es für den Verein geht. Auch wenn das Spiel gegen Nürnberg eine erneute Enttäuschung war, müssen wir weiter an uns glauben. In den letzten beiden Spielen hatten wir zwei Latten-Kopfbälle von Marc Oliver Kempf, so ein Ball muss in den letzten sechs Spielen einfach auch mal ins Tor gehen. Wir müssen das Glück erzwingen. Ich glaube fest daran, dass wir noch Tabellenplatz 15 erreichen können, aber wenn wir am Ende den Weg über die Relegation gehen müssen, dann müssen wir auch diesen Weg als Chance begreifen.
Die Stimmung bei den Fans ist der Lage und der generellen Entwicklung im Verein entsprechend schlecht. Ein Vorwurf ist, dass zu viel schöngeredet wird.
Zieler: Ich kann die Fans so gut verstehen, wir machen es ihnen wirklich nicht leicht. Aber wir haben es am meisten satt, dass wir viel zu wenige Spiele gewinnen. Ich ziehe den Hut vor unseren Fans. Wie sie uns unterstützen, ist fantastisch. Der VfB bedeutet Emotionen. Ich weiß, wie sehr die Fans leiden, aber wir brauchen sie in den letzten drei Heimspielen. Wir müssen da zusammen durch.
spoxZieler: "Ich hatte in der Hinrunde eine schlechte Phase"
Gegen Nürnberg haben Sie dem VfB mit einer sensationellen Parade am Ende den Punkt gerettet. Wie brutal ist der Abstiegskampf speziell für Sie als Torwart, der weiß, dass er sich überhaupt keinen Fehler mehr erlauben darf?
Zieler: Das nennt man dann wohl Berufsrisiko. (lacht) Ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse, als ich mich ins Tor gestellt habe. Für mich ist es wichtig, mir nicht unnötig noch mehr Druck zu machen, als ohnehin schon da ist. Ich weiß, was ich kann. Darauf versuche ich mich zu besinnen und Ruhe auszustrahlen. Gerade im Abstiegskampf würde es der Mannschaft nicht helfen, wenn hinten jemand drin steht, der sich ständig den Kopf zerbricht.
Sie haben in dieser Saison sehr gute Spiele gezeigt, hatten aber auch böse Patzer drin. Wie würden Sie Ihre Saison persönlich einschätzen?
Zieler: Ich habe vorhin gesagt, dass wir viel zu selten unsere Leistung abgerufen und unsere Qualität auf den Platz gebracht haben. Das gilt natürlich auch für mich. Ich hatte in der Hinrunde eine schlechte Phase, in der es für mich nicht gut gelaufen ist und mit der ich nicht zufrieden sein konnte. Auf der anderen Seite weiß ich, dass jeder Sportler solche Tiefs erlebt, niemand kommt ohne Kratzer durch eine Karriere. Ich habe aber nie mein Selbstvertrauen verloren. Ich habe jetzt knapp 230 Bundesliga-Spiele am Stück gemacht, das ist eine ordentliche Statistik und zeigt, dass ich über Jahre meine Qualität nachgewiesen habe. Ich habe meine Leistung zuletzt wieder gebracht, ich bin mir aber bewusst, dass ich als Torwart immer besonders unter Beobachtung stehe. Wenn ich an das 0:1 in Frankfurt denke...
Würden Sie das als Torwart-Fehler bezeichnen?
Zieler: Für mich war das kein krasser Fehler. Aber es war ein Ball, den man auch mal halten kann.
Wie sehr leidet denn der Alltag unter einer so furchtbaren Saison?
Zieler: Die Lebensqualität leidet schon ein Stück weit. Du kannst die Situation nicht an der Haustür abstreifen. Ich bin dann schon mal schlechter gelaunt. Wenn meine Frau und ich überlegen, ob wir etwas unternehmen wollen, bin ich auch mal derjenige, der dann keine Lust hat, weil die Situation einfach nicht schön ist.
Über welche Themen wird im Hause Zieler so gesprochen? Sind Sie ein politischer Mensch?
Zieler: Ich interessiere mich immer mehr für politische Themen. Wir diskutieren da zuhause schon viel.
Zieler: "Bis jetzt haben keine Gespräche stattgefunden"
Aktuell gibt es eine Debatte um "Fridays for Future". Wie stehen Sie dazu?
Zieler: Grundsätzlich find ich es sehr beeindruckend und lobenswert, wie sich die junge Generation für die Zukunft engagiert. Auch wenn der eine oder andere vielleicht auch noch einen Nebeneffekt sieht. Denn wenn ich an meine Zeit als Schüler zurückdenke, weiß ich, dass ich jede Möglichkeit zum Schwänzen gerne angenommen habe. (lacht) Ich will die Bewegung damit aber auf keinen Fall abwerten. Ich finde es super, wenn sich Schüler so einbringen.
Wie haben Sie in der schwierigen VfB-Zeit im Herbst aus der Ferne das Hubschrauber-Unglück in Leicester um Besitzer VichaiSrivaddhanaprabha erlebt?
Zieler: Sein Tod hat mich sehr berührt und getroffen. Ich bin zwar jetzt schon einige Zeit aus Leicester weg, fühle mich aber immer noch dem Klub verbunden. Er war ein liebenswerter Mensch, der unheimlich viel für den Verein getan hat.
Ihr Vertrag beim VfB läuft noch bis 2020. Hatten Sie schon Gespräche über eine Verlängerung?
Zieler: Nein, bis jetzt haben keine Gespräche stattgefunden. Von Michael Reschke habe ich klare Signale bekommen, dass sich der Verein vorstellen kann, zu verlängern. Ich fühle mich hier auch trotz der schweren Situation sehr wohl. Seit dem Führungswechsel zu Thomas Hitzlsperger gab es keine weiteren Gespräche. Aber aktuell steht natürlich auch der Klassenerhalt im Vordergrund.
Zieler: "Ozan Kabak ist sehr beeindruckend"
Seit Thomas Hitzlsperger Michael Reschke abgelöst hat, scheint die Stimmung von außen betrachtet besser geworden zu sein. Wie nehmen Sie den neuen Sport-Vorstand wahr?
Zieler: Michael Reschke und Thomas Hitzlsperger sind von ihrer Art überhaupt nicht miteinander zu vergleichen. Thomas ist nahe an der Mannschaft dran, interpretiert seine Rolle aber ganz anders. Er ist zurückhaltender und analysiert mehr aus der Beobachter-Rolle.
Mit Ozan Kabak scheint Reschke auf jeden Fall eine hervorragende Verpflichtung gelungen zu sein. Wie erleben Sie den 19-Jährigen?
Zieler: Ozan ist sehr beeindruckend. Er hatte bei Galatasaray eigentlich alles, was er braucht. Er hat Champions League gespielt, er hatte ein gutes Leben da. Aber trotzdem hat er sich für den Schritt zum VfB und in die Bundesliga entschieden, weil er sich als Spieler und Mensch weiterentwickeln wollte. Vor diesem Weg habe ich großen Respekt. Ozan ist sehr lernwillig und unglaublich ehrgeizig. Dazu ist er für seine 19 Jahre extrem abgeklärt. Er macht seine Sache wirklich gut und hat eine große Karriere vor sich. Er hat auch vom ersten Tag an versucht, sich bestmöglich zu integrieren. Das ist das A und O. Wenn Spieler aus dem Ausland kommen, gibt es auch solche, die nicht so daran interessiert sind, die Sprache zu lernen und die Kultur anzunehmen. Bei Ozan war es komplett anders. Er wollte vom ersten Tag an Deutsch lernen und macht stetig Fortschritte. Das ist vorbildlich. Er ist ein toller Junge.