Uli Hoeneß verabschiedet sich nach über 40 Jahren als Bayern-Boss: Verhasst, verehrt, verurteilt

Dennis Melzer
15. November 201915:30
Uli Hoeneß ist mittlerweile Präsident des FC Bayern München.imago
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Über 40 Jahre leitete Uli Hoeneß den FC Bayern, am Freitag tritt er als Präsident zurück. SPOX und Goal sprachen mit Weggefährten und porträtieren den beispiellosen Werdegang eines Polarisierers.

Dieser Artikel erschien in seiner Original-Version erstmals im Mai 2019.

Ein zweistöckiger Betonbau mit für die 1970er Jahre typischen Buntsteinputz-Elementen in Untergiesing-Harlaching. Daneben eine Mehrzweckhalle, dahinter ein paar Fußballplätze. Uli Hoeneß erscheint in hellblauem Hemd und grauem Sakko, hat sich geschäftstüchtig einen Notizblock unter den Arm geklemmt, als er seinen neuen Arbeitsplatz betritt. Das Büro in der Geschäftsstelle an der Säbener Straße ist minimalistisch gehalten: Schreibtisch, darauf ein Stapel jungfräuliches Papier nebst mausgrauem Wählscheibentelefon. Alles andere hatte sein Vorgänger Robert Schwan mitgenommen. Nun sollte er, Hoeneß, die Geschicke beim FC Bayern München leiten. Einstiegsdatum 1. Mai 1979, im Alter von 27 Jahren.

"Ich war ganz unternehmungslustig und hochmotiviert", lässt Hoeneß seinen ersten Tag als Bayern-Manager Anfang dieses Jahres im Gespräch mit der dpa Revue passieren. "Eine Sekretärin hatte ich nicht. Ich habe zwei Stunden rumtelefoniert, dann bin ich wieder nach Hause gegangen." Der Notizblock füllt sich zum Amtsantritt nicht. "Da stand gar nichts drin", verrät er. "Aber danach ging es los. Ich hatte einen Bekannten, der Geschäftsbeziehungen nach Kuwait hatte. Da bin ich dann mal hingeflogen. Damals brachten Freundschaftsspiele in Deutschland nur 10.000 bis 20.000 Mark ein. Und ich dachte, es kann doch nicht wahr sein, dass der FC Bayern für solche Summen durch die Gegend fährt. Damals haben wir zwölf Millionen Mark Umsatz im Jahr gemacht und hatten 20 Mitarbeiter."

Hoeneß und sein Faible für Zahlen, die Leidenschaft für wirtschaftliche Prozesse, wohnt ihm schon in jungen Jahren inne. Nach dem Abitur, das er in seiner Heimatstadt Ulm mit einem Schnitt von 2,4 abgelegt hatte, strebt der Sohn einer Metzgerfamilie ein BWL-Studium in München an. Der Numerus clausus, der zur Zulassung berechtigt, liegt in jenen Jahren bei 3,0 - für Anwärter, die ihr Abitur in Bayern gemacht haben. Bewerbern aus anderen Bundesländern wird ein Malus von einer ganzen Note auferlegt, sodass er die Voraussetzungen nicht erfüllt, stattdessen ein Lehramtsstudium beginnt und nach zwei Semestern abbricht.

Auch, weil er seine Karriere als Fußballer forciert. Bei den Bayern, die ihn 1970 vom SSV Ulm in die Isar-Metropole locken. Dort avanciert er in einem Ensemble verheißungsvoller Kicker zum unangefochtenen Stammspieler und Starangreifer. Dreimal gewinnt er den Europapokal der Landesmeister, ebenso häufig die Deutsche Meisterschaft, mit der Nationalmannschaft stemmt er im Sommer 1974 den Weltmeisterpokal in den Münchner Nachthimmel, nachdem er zwei Jahre zuvor schon mit der DFB-Auswahl Europameister geworden war.

Weggefährte und Ex-Bayern-Torwart Walter Junghans erinnert sich im Gespräch mit SPOX und Goalund an die Bayern-Granden der Siebzigerjahre. "Ich bin 1977 von einem kleinen Verein, Viktoria Hamburg, zum FC Bayern gewechselt. Ich habe Uli Hoeneß als großen Spieler wahrgenommen und habe mich neben Leuten wie ihm, Sepp Maier oder Gerd Müller damals nicht als gleichwertiger Profi gefühlt." Junghans schiebt nach: "Für mich war es einfach nur schön, dort mittrainieren zu dürfen."

Augenthaler über Hoeneß und Co.: "Ich habe bezweifelt, dass ich mit denen mithalten kann"

Ganz ähnlich äußert sich Klaus Augenthaler, der 1975 vom FC Vilshofen zum FCB gewechselt war, bei SPOX und Goal: "Wir sind im Mai 1974 mit unserem Verein (Vilshofen, Anm. d. Red.) zum Europapokal-der-Landesmeister-Finale nach Brüssel gereist. Da hat Uli Hoeneß dieses sensationelle Tor gemacht (Bayern gewann gegen Atletico Madrid das Wiederholungsspiel - nachdem man sich im ersten Aufeinandertreffen 1:1 getrennt hatte - mit 4:0, Hoeneß glänzte als Zweifachtorschütze, Anm. d. Red.).

Bis dahin kannte ich die ganzen Größen nur aus dem Fernsehen. In Brüssel durfte ich sie zum ersten Mal live spielen sehen. Ein paar Monate später durfte ich mit diesen Spielern trainieren und habe natürlich zu ihnen aufgeschaut. Ich habe bezweifelt, dass ich mit denen mithalten kann."

Bis 1978 schnürt Hoeneß die Fußballschuhe für die Bayern, ehe er auf Leihbasis beim Südrivalen 1. FC Nürnberg anheuert, weil ein Wechsel zum Hamburger SV am Medizincheck scheitert. Der Grund: Sein Knie ist zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr intakt. Im Europapokalfinale drei Jahre zuvor gegen Leeds United hatte er sich das rechte Außenband gerissen. "Mit den heutigen Methoden hätte ich viel länger Fußball spielen können", sagt er rückblickend. "Eine Meniskusverletzung war damals keine Kleinigkeit. Heute macht man einen kleinen Schnitt, und der Spieler ist in 14 Tagen wieder fit." Der Club ist seine letzte Station als Fußballprofi, ehe er sich als Manager-Youngster in München versucht.

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Uli Hoeneß: Robert Schwan "hat mich als seinen Mini-Manager betrachtet"

"Für mich war es eine Erlösung, als der Anruf aus München kam, weil klar war, dass ich mit meinem lädierten Knie die Karriere nicht mehr hätte fortsetzen können. Das hat mein Leben total verändert", erklärt er. Manager habe er "sowieso mal werden" wollen, während eine Tätigkeit als Trainer "nicht infrage" kam. FCB-Boss Schwan habe ihm die Aufgabe im operativen Geschäft schmackhaft gemacht. "Ich hatte immer eine besondere Beziehung zur wirtschaftlichen Seite des Fußballs. Robert Schwan konnte ich über die Schulter schauen. Er hat mich schon als Spieler als seinen Mini-Manager betrachtet. Wenn wir etwa in Südamerika waren, und es waren Hotelabrechnungen zu erledigen oder Flugumbuchungen, hat er mich immer mitgenommen."

Dass sich der vormalige "Mini-Manager" letztlich zum echten Entscheidungsträger in der bayrischen Landeshauptstadt mausert, ist allerdings einem Zufall geschuldet. Angeführt von Kapitän und Torhüter Maier beschließt die Mannschaft am Abend des 19. März 1979, gegen Vereinspräsident Wilhelm Neudecker zu meutern. Der konservative Bauunternehmer hatte zuvor im Alleingang angeordnet, Coach Gyula Lorant durch Max Merkel auszutauschen, dem der Ruf des Trainerdiktators anhaftete. Kollektiv lehnt sich die Truppe gegen die Entscheidung Neudeckers auf, droht damit, das Training am nächsten Tag zu boykottieren. Autor Thomas Hüetlin ordnet die damalige Situation in seinem Werk "Gute Freunde" ein: "Zum ersten Mal in der Geschichte des deutschen Fußballs hatten ein paar Spieler einen ganzen Klub übernommen."

Neudecker tritt aufgrund der renitenten Protest-Profis zurück. "Mit einem solchen Kapitän und dieser Mannschaft kann ich nicht weiter zusammenarbeiten", teilt er dem Team mit. "Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien alles Gute. Auf Wiedersehen." Heute werden jene aufsehenerregenden Geschehnisse von vor über 40 Jahren als Neugeburt des FC Bayern gewertet. Weil Hoeneß wenige Tage später seine Zusage gibt. "Als wir in Nürnberg gespielt haben mit dem FC Bayern, bekam ich die Sonderaufgabe vom damaligen Präsidenten, Uli Hoeneß auszuschalten. Und kurz darauf war er plötzlich mein Chef", lacht Augenthaler.

"Ich habe das damals natürlich registriert. Dass er schon in jungen Jahren als Manager des FC Bayern agierte, war schon etwas Besonderes. Heutzutage ist jeder erstmal Manager, aber damals war das noch etwas ganz anderes", sagt Junghans. Ihm zufolge sei Hoeneß in seiner neuen Funktion von Beginn an bei seinen ehemaligen Mannschaftskameraden hochangesehen gewesen. "Es kam vor, dass er auch mal in die Kabine kam. Er hat dann seine Kommentare abgegeben, positiv sowie negativ. Er hat damals, mit seinen 27 Jahren, schon sehr viel Autorität ausgestrahlt. Die Spieler hatten großen Respekt vor ihm. Er wurde als Vorgesetzter akzeptiert."

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Uli Hoeneß holt sich Anregungen in den USA

Neben seinen Ausflügen in die Bayern-Kabine zieht es Hoeneß raus in die weite Welt, "dahin, wo das große Business war." Vor allem in den USA holt sich der gebürtige Schwabe Anregungen bezüglich der Vermarktung eines Sportvereins. "Ich war in San Francisco bei den 49ers, einer Mannschaft im American Football, und bei den San Francisco Giants, damals World-Series-Sieger im Baseball. Ich sollte für meinen Sohn eine Lederjacke von Joe Montana mitbringen, dem Quarterback. Da war ich in einem Laden der 49ers in der City und habe zu meiner Frau gesagt: Wenn ich mir vorstelle, dass beim FC Bayern auch mal an einem Montagmorgen nicht nur die klassischen Fans, sondern Banker und Geschäftsleute für ihre Kids einkaufen, dann haben wir es geschafft."

Auch in Manchester lässt sich Hoeneß inspirieren: "United, die im Fußball mit weitem Abstand im Merchandising die Nummer eins waren, habe ich besucht. Die hatten schon einen Fanshop und eine eigene Versandabteilung." Im Gegensatz zu den Münchnern: "Wir hatten eine Poststelle. Da lag ein Schal aus, dazu ein paar Postkarten. Das war unsere Abteilung für Fanartikel."

Hoeneß setzt alle Hebel in Bewegung, das triste beziehungsweise nicht vorhandene Merchandising-Konzept seines Klubs zu revolutionieren. Augenthaler erinnert sich an einen konkreten Fall: "Als Uli Hoeneß schon Manager war, kam ein Geschäftsmann bei einem Auswärtsspiel vorbei. Der hatte etliche Fanartikel dabei. Unter anderem Kaffeetassen. Das wurde am Nebentisch abgewickelt und ich habe mich gewundert, was für Zahlen da aufgerufen wurden. Aber Uli hat schon damals den Wert des FC Bayern erkannt", sagt der Weltmeister von 1990 und schiebt mit Hinblick auf Hoeneß' Künste als Zahlenjongleur nach: "Das habe ich beim Kartenspielen damals mitbekommen. Er war immer der Erste, der wusste, was ein Spiel kostet. Ein absoluter Zahlenmensch."

Die von Hoeneß angestoßene Ausrichtungsveränderung ist bitter notwendig. Anfang der Achtzigerjahre hat der FC Bayern nämlich nichts mit dem heutigen Branchenprimus gemein. Den bereits genannten zwölf Millionen Mark, die sich zu einem Großteil aus Ticketverkäufen zusammensetzen, stehen sieben Millionen Mark Schulden gegenüber. "Uli hat beim FC Bayern durchgezogen, nie mehr Geld auszugeben als eingenommen wurde. Das ist einfaches kaufmännisches Denken", sagt Augenthaler und ergänzt: "Die Bayern standen aus finanzieller Sicht damals nicht so gut da und mussten beispielsweise Karl-Heinz Rummenigge, den man rein sportlich natürlich nie hätte verkaufen dürfen, an Inter Mailand abgeben." Die Nerazzurri zahlen elf Millionen Mark für Rummenigge, der viele Jahre später als Funktionär an seine alte Wirkungsstätte an der Säbener Straße zurückkehrt.

Je mehr sich die finanzielle Situation bei den Münchnern verbessert, desto polarisierender wird der Klub in der Bundesrepublik wahrgenommen. Entweder man ist Bayern-Fan oder man hasst die Bayern. Stellvertretend für die Abneigung gegen den Klub steht Hoeneß. Erfolgsmensch und Macher für die einen, der Inbegriff des bösen Fußball-Bonzen für die anderen. Bei einem Gastspiel der Bayern Ende der 1980er in St. Pauli, der antikapitalistischen Bastion, bewerfen Fans der Kiezmannschaft Hoeneß beispielsweise mit Münzen, um ihrer Verachtung Ausdruck zu verleihen. Die Botschaft: Wir, die Kleinen, gehen wegen der voranschreitenden Kommerzialisierung des Fußballs unter, während Ihr, die Großen, immer reicher und mächtiger werdet.

Tatsächlich stehen die Hamburger einige Jahre später, 2003, vor dem Bankrott, vor dem Absturz ins Bodenlose. 1,9 Millionen Euro müssen die ohnehin schon hoch verschuldeten Braun-Weißen für die Erlangung der Drittligalizenz aufbringen. Eine T-Shirt-Kampagne spült zwar unerwartet viel Geld in die klammen Kassen, die Existenz ist allerdings weiterhin bedroht. Wie das Schicksal so spielt, springt ausgerechnet Hoeneß den Hanseaten zur Seite, sagt sofort zu, als Pauli-Boss Corny Littmann ihn um ein Benefizspiel bittet. 200.000 Euro spielt die Begegnung am Millerntor ein. Im Anschluss, als Hoeneß im Kampagnen-Shirt mit der Aufschrift "Retter" winkend seine Stadionrunde dreht, fliegen ihm keine Münzen, sondern die Herzen der Zuschauer entgegen. Hoeneß, der Aufrichtige, Hoeneß, der Gütige, gefeiert vom "Klassenfeind".

"Er kommt aus einer Metzgerfamilie, er war immer sehr bodenständig, ein Familienmensch", weiß Augenthaler. Hoeneß' wohltätige Ader, die immer wieder pulsiert, wenn es darum geht einen taumelnden Klub zu unterstützen oder einem gefallenen Spieler unter die Arme zu greifen, fußt nicht auf Kalkül. Sie zeigt schlicht die andere Seite des Managers, der während seiner Karriere so häufig aneckt.

Allseits bekannt ist die Fehde zwischen ihm und Christoph Daum, die früh ihren Anfang nimmt und eskaliert, als Hoeneß dem designierten Bundestrainer Kokain-Missbrauch vorwirft. Anfeindungen aus ganz Fußball-Deutschland und am Ende die Gewissheit, dass es sich nicht um haltlose Vorwürfe, sondern um die Wahrheit handelt. Ein anderer, jahrelanger Lieblingsfeind ist Bremen-Manager Willi Lemke, der immer wieder Spitzen in Richtung Deutschlands Süden richtet. Durch diesen habe Hoeneß "hassen gelernt", Lemke sei "der Erste, der nachher die Hand aufhält. Nur die Prügel, die lässt er gerne den Hoeneß einstecken, das Geld, das steckt er ein. Der ist nicht ernstzunehmen."

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Hoeneß' legendäre Wutrede

Doch Hoeneß legt sich nicht nur mit Verantwortlichen anderer Vereine an, auch in den eigenen vier Wänden weht bisweilen ein rauer Wind, wenn er in Fahrt kommt. Auf den Vorwurf eines Mitgliedes bei der Jahreshauptversammlung 2007, in der Allianz Arena herrsche maue Stimmung, weil man sich im Verein mehr um die hummerverzehrenden VIPs in den Logen kümmere als um die Basis, hält Hoeneß seine legendäre Wutrede: "Für die Scheiß-Stimmung seid Ihr doch verantwortlich, nicht wir", brüllt er ins prallgefüllte Paulaner am Nockherberg und führt aus: "Wir reißen uns für Euch den Arsch auf. Dafür lassen wir uns nicht an die Wand stellen. Was glaubt Ihr eigentlich, wer Euch das alles finanziert? Die Leute aus den Logen, denen wir die Gelder aus der Tasche ziehen. Das Stadion hat 350 Millionen gekostet, das ist mit sieben Euro Eintritt nicht zu finanzieren. Ihr wollt Ribery und Toni, aber keinen Champagner in den Logen."

Worte, die beim viel zitierten kleinen Mann auf Unverständnis stoßen und nicht wenige Empfänger dazu veranlassen, Hoeneß Arroganz und Ignoranz vorzuwerfen. Andererseits auch eine Emotionalität, die kaum jemand im Business vorzuweisen vermag. Ein weiteres Beispiel für die vielleicht beispiellose Polarisierung. Genau deshalb seien die Bayern eben auch interessanter als andere Vereine. "Es gab viele Klubs in großen Städten, die Möglichkeiten hatten wie der FC Bayern", sagt Hoeneß. "Ich denke da an Hamburg, Köln, Stuttgart, Frankfurt, Berlin. Oder an 1860! In der 60er Jahren war Sechzig in München der große Verein."

Ähnlich sieht es auch Junghans: "Eigentlich hatten viele Vereine damals den gleichen Grundstock und ähnliche Voraussetzungen, um erfolgreich zu sein. Aber Uli Hoeneß hat es mit dem FC Bayern geschafft, weil er ihn immer wieder neu belebt und angekurbelt hat. Es gab bei den Bayern keinen Stillstand, deshalb hat sich der Klub so gut entwickelt." Nein, Stillstand gibt es dort nicht. Den gibt es auch um Uli Hoeneß nicht.

Uli Hoeneß, der Steuersünder

Ein Stern-Bericht zu Beginn des Jahres 2013 wird ihm, mittlerweile nicht mehr Manager, sondern Präsident, zum Verhängnis. "Ein Spitzenvertreter der deutschen Fußball-Bundesliga" habe bei der Schweizer Privatbank Vontobel ein Nummernkonto. Darauf befände sich ein dreistelliger Millionenbetrag. Versteckt. Besagter "Spitzenvertreter" ist Hoeneß. Der zeigt sich daraufhin selbst an und tritt eine mediale sowie juristische Lawine los, die ihresgleichen sucht.

Mehr und mehr verdichten sich die Hinweise darauf, dass ausgerechnet er, der sich nicht selten als Moralapostel aufgespielt hat, der stets für Ehrlichkeit eingetreten war, wissentlich Steuern hinterzogen und somit alle hinters Licht geführt hat. Es wird das Bild eines krankhaften Börsenzockers gezeichnet, der Geldbeträge jenseits aller Vorstellungskraft hin und her manövriert.

"Es war der Kick, pures Adrenalin", gibt er damals in einem umfangreichen Interview mit der Zeit zu. Er habe "all die Jahre ein schlechtes Gewissen wegen dieses Kontos in der Schweiz" gehabt. Hoeneß gibt sich reumütig, berichtet von schlaflosen Nächten und der "Hölle", als plötzlich eine Delegation der Polizei vor seinem Haus am Tegernsee aufschlägt und selbiges mittels richterlichem Bescheid durchsucht, dabei Handys und Computer einkassiert.

"Bis zu diesem Morgen dachte ich, ich habe ein Steuerproblem, aber kein strafrechtliches Problem. Ich war in keiner Weise darauf vorbereitet. Ich war mir todsicher, dass ich das irgendwie alleine hinkriege." Der Haftbefehl ist mit Fluchtgefahr begründet und wird gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro außer Vollzug gesetzt. Hoeneß ist zunächst auf freiem Fuß, darf Anfang Juni den größten Erfolg der Geschichte "seines" Klubs miterleben, als die Bayern in London die Champions League holen. Einen Tag später steht er stolz auf dem Marienplatz, viele würden ihn lieber hinter Gittern sehen.

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Tränen, Rücktritt, Gefängnis, Freilassung

Im November jenen Jahres bricht er auf der Jahreshauptversammlung in Tränen aus, gerührt von dem Zuspruch, den er im eigenen Lager erfährt. "Uli Hoeneß, Du bist der beste Mann", schallt es durch den Audi Dome im Münchner Westen. "Ich habe einen großen Fehler gemacht, zu dem ich stehe", sagt er und prophezeit mit Hinblick auf den bevorstehenden Prozess gegen ihn: "Ich möchte Ihnen das Recht geben zu entscheiden, ob ich noch der richtige Präsident für diesen Verein bin."

Die Frage beantwortet er einige Monate später selbst: Er tritt zurück, nachdem er vom Landgericht München wegen Steuerhinterziehung von mindestens 28,5 Millionen Euro zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Am 2. Juni, ironischerweise exakt ein Jahr nach der Triple-Ekstase auf dem Marienplatz, tritt er seine Haft im Gefängnis von Landsberg am Lech an.

Schon zu Beginn des darauffolgenden Jahres ist Hoeneß Freigänger, muss nur noch zum Übernachten in die JVA. Tagsüber arbeitet er in der Jugendabteilung des FC Bayern. 2016 wird er vorzeitig aus der Haft entlassen, mit einer Bewährungszeit von drei Jahren, die im März 2019 fristgerecht erlassen wird. In der Zwischenzeit war er mit 98,5 Prozent der Mitgliederstimmen erneut zum Präsidenten des FC Bayern gewählt worden.

Uli Hoeneß wäre aber nicht Uli Hoeneß, wenn er es dabei belassen, sich demütig in Schweigen bezüglich seiner Verurteilung gehüllt hätte. Stattdessen sorgt er 2017 bei einem Vortrag in einem Liechtensteiner Restaurant mit einigen Aussagen für Furore. "Ich bin der einzige Deutsche, der Selbstanzeige gemacht hat und trotzdem im Gefängnis war", wettert er. "Ein Freispruch wäre völlig normal gewesen. Aber in diesem Spiel habe ich klar gegen die Medien verloren."

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Uli Hoeneß: Der König der Presseschelten

Die Medien, die er im Oktober 2018 abermals angreift, gemeinsam mit Rummenigge, der Artikel 1 des Grundgesetzes zitiert, die angeblich fehlende Medien-Ethik in Verbindung mit der Berichterstattung rund um seinen FC Bayern anprangert. Eine insgesamt groteske Veranstaltung, die Wellen schlägt, aber nicht Hoeneß' letzter Rundumschlag gegen die Presse bleibt. Vor wenigen Wochen, nach einem handelsüblichen Champions-League-Gruppenspiel gegen Belgrad, bemängelt er die fehlende Unterstützung der "süddeutschen Presse" für Torhüter Manuel Neuer. Dieser hatte sich zuvor einen eigentlich recht harmlosen Schlagabtausch mit seinem Konkurrenten ums DFB-Tor, Marc-Andre ter Stegen, geliefert.

Zu jenem Zeitpunkt ist bereits klar, dass Hoeneß' Regentschaft nach über 40 Jahren endet. Im Sommer hatte er bekanntgegeben, bei der Jahreshauptversammlung am Freitag nicht erneut als Präsident kandidieren zu wollen. Auch auf das Amt als Aufsichtsratvorsitzender verzichtet er fortan, bleibt dem Kontrollorgan lediglich als Mitglied bis mindestens 2023 erhalten.

Der Abschied durchs "große Tor"

"Durchs große Tor" wolle er seinen Herzensklub verlassen, prophezeit Hoeneß auf seiner letzten großen Pressekonferenz Ende August. Um das zu ermöglichen, verlegt der FC Bayern das alljährliche Großereignis aus dem Audi Dome in die Münchner Olympiahalle. "Ich habe gehört, dass die Olympiahalle auseinanderplatzen wird", sagt er im Anschluss ans 4:0 gegen Dortmund am vergangenen Samstag. "Es werden 10.000 Mitglieder erwartet. Da wird einiges zu erwarten sein."

Dessen darf man sich gewiss sein. Wenn Hoeneß, der ankündigt, am Freitag eine freie Rede zu halten, deren Vorbereitung sicherlich "schlaflose Nächte" koste, seine beispiellose Karriere ein letztes Mal vor der Mitgliedern Revue passieren lässt. Er, der aus zwölf Millionen Mark 750 Millionen Euro machte. Er, der während seiner mit kurzer Unterbrechung 40 Jahre andauernder Funktion als Boss über 50 Titel einheimste, er, ohne den der deutsche Rekordmeister heute vielleicht nicht FC Bayern München heißen würde.

Augenthaler dazu: "Das ist einzig und alleine Uli Hoeneß' Verdienst. Der Weg, den die Bayern eingeschlagen haben, fußte auf seinen Ideen. Immer schon."