Die Katastrophe ist perfekt. Der VfB Stuttgart hat sich im Relegations-Krimi gegen Union Berlin nicht durchgesetzt und ist damit innerhalb von nur drei Jahren zum zweiten Mal abgestiegen. Zurück bleibt ein Verein im Gefühlschaos, gefangen zwischen ein wenig Hoffnung und sehr viel Wut. Und irgendwie doch auf dem richtigen Weg - wenn da nicht Präsident Wolfgang Dietrich wäre. Ein Kommentar von SPOX-Chefreporter Florian Regelmann.
Der VfB Stuttgart hat den Relegations-Pokal knapp verpasst! Unter Interimstrainer Nico Willig konnte sich das Team trotz einer klaren Aufwärtstendenz in den Wochen zuvor in letzter Sekunde doch nicht zusammenreißen und sein absurd betiteltes Ziel erreichen - in der nächsten Saison wird in Stuttgart kein Erstliga-Fußball zu sehen sein.
Alle VfB-Verantwortlichen müssen erkennen, dass 20 Niederlagen, lächerliche 28 Punkte und wahnsinnige 70 Gegentore am Ende eben doch zurecht schlecht genug waren, um mal wieder völlig verdient (trotz der oftmals guten fünf Minuten!) abzusteigen.
Trotz des erneuten Abstiegs ist der VfB aber eventuell auch auf dem richtigen Weg. Es mag verrückt klingen, sehr verrückt sogar, aber bei genauerer Betrachtung gibt es in Stuttgart einiges, was Hoffnung auf bessere Zeiten macht.
Ja, die Wut ist unfassbar groß. Und am 14. Juli wird sie sich in einer mit Spannung erwarteten Mitgliederversammlung in der Mercedes-Benz Arena gewaltig entladen. Im Mittelpunkt: Wolfgang Dietrich. 2018 wurde die Mitgliederversammlung nach der Mega-Rückrunde zu einer Art Feierstunde. Der von Beginn seiner Amtszeit an so umstrittene Dietrich war kein Thema mehr.
Die Causa Wolfgang Dietrich: Ein Rücktritt wäre angebracht
Nun hat sich das Blatt wieder um 180 Grad gedreht, Dietrich genießt kein Cent Vertrauen und steht mehr denn je unter Beschuss. Alleine sein letzter - mal wieder unglücklicher - TV-Auftritt, bei dem er die übelste Saison aller Zeiten als "Delle" bezeichnete, war grotesk.
Seine immer wieder aufs Neue wirren Erklärungen für die Entlassung des ehemaligen Sportvorstands Jan Schindelmeiser (der von Schindelmeiser präsentierte Kader wurde als zu schlecht bewertet, um die Klasse zu halten), seine Verwicklungen zum Investor Quattrex (eine Firma, die Darlehen an Vereine gibt, u.a. Union Berlin) - die Abneigung vieler Fans steigt und steigt und steigt.
Dabei geht es schon lange nicht mehr darum, ob Dietrich formaljuristisch alles richtig gemacht hat, wann in irgendwelchen Handelsregistern was eingetragen oder von der DFL durchgewunken wurde. Und auch nicht darum, ob sein Sohn dank Quattrex jetzt vom Aufstieg Unions profitiert, auch wenn das Geschmäckle an der ganzen Geschichte unerträglich ist.
Es geht um Integrität. Darum, wie Menschen auf Menschen wirken. Ob man ihnen glaubt. Dietrich ist spätestens nach dem Horror des erneuten Abstiegs der ungeeignetste Mann auf dem Planeten, um den VfB zu führen. Selbst ein Klassenerhalt hätte nicht dafür gesorgt, dass die "Dietrich raus"-Rufe verstummen. Überhaupt nicht. Wenn Dietrich etwas am VfB liegt, muss er die Konsequenzen ziehen und darf nicht weiter Teil eines neuen VfB sein - alles andere wäre eine Farce.
Walter, Mislintat, Krücken: Die spannenden Personalien des VfB
Warum ist der VfB dann dennoch in gewisser Weise auf dem richtigen Weg? Warum ist ein wenig Hoffnung begründet? Dafür steht vor allem ein Name: Thomas Hitzlsperger. Der Sportvorstand mag zu lange gewartet haben, um sich von Markus Weinzierl zu trennen, aber das ist der einzige "Fehler", den man ihm bislang ansatzweise ankreiden kann. Und selbst dieser ist verständlich, schließlich hat Hitzlsperger früh erkannt, was seit Jahren das Problem des Vereins ist und wollte mit aller Macht für Kontinuität sorgen.
Nein, Hitzlsperger überzeugt bislang in jeder Situation mit einer bemerkenswerten Mischung aus Kompetenz, Authenzität, Ehrlichkeit und Entschlossenheit, die Dinge trotz aller Widerstände zum Positiven zu verändern.
Seine bisherigen Personal-Entscheidungen sind allesamt spannend und vielversprechend. Sei es Sven Mislintat als Sportdirektor. Sei es Thomas Krücken als neuer sportlicher Direktor des NLZ. Oder sei es vor allem Tim Walter als neuer Coach, der mit seinem auf Ballbesitz und Kreativität ausgelegten, mutigen Offensiv-Fußball so etwas wie Vorfreude auslösen könnte, sobald der Schmerz des Abstiegs nachlässt. Auch dass ein Talent wie Benedict Hollerbach wohl wegen Walter aus der Bayern-Jugend nach Stuttgart kommt, ist so ein Mut machendes Mosaiksteinchen.
In Hitz we trust - Hitzlsperger verdient sich das Vertrauen
Hitzlsperger hat das letzte Wort, aber er baut sich seit Monaten wie angekündigt ein Team mit kompetenten Mitstreitern auf, die auf einer Ebene zum Wohle des VfB diskutieren. Und die perspektivisch dem Verein wieder eine Identität verleihen könnten. Abstieg hin oder her.
Immer wieder wird betont, dass die jungen Wilden in Stuttgart wieder aufleben sollen. Jetzt steht eine U19, die fast nur aus Spielern aus der Region besteht, vor dem Double. Schafft es der VfB, seinen eigenen Nachwuchs zu fördern und gepaart mit der einen oder anderen interessanten Verpflichtung aus der Ferne (der 18-jährige Argentinier Mateo Klimowicz als jüngstes Beispiel) die richtige Mischung zu finden?
Es bleibt abzuwarten, aber vieles deutet darauf hin, dass Hitzlsperger der richtige Mann ist, um den VfB aus einem tiefen, tiefen Tal in eine bessere Zukunft zu führen und ihn vielleicht sogar wieder zu einen. Er hat sich in wenigen Monaten das Vertrauen der Fans verdient.
Er hat es sich verdient, dass die Hoffnung beim x-ten Neuanfang in den letzten Jahren am Ende doch stärker ist als die über Jahre immer größer gewordene Wut. Er hat es sich verdient, dass er auf diesem Weg beim VfB von allen die volle Unterstützung erhält. Auf einem Weg, der durch den erneuten Abstieg enorm steinig geworden ist. Wolfgang Dietrich darf nur kein Teil dieses Weges sein.