Ein Gespräch über Thiagos Kindheit und Jugend, Interesse von Real Madrid, die wichtigste Lektion seines Vaters und sein erstes Gespräch mit Pep Guardiola. Außerdem: Wie Thiago beim FC Barcelona landete, wer ihn in La Masia am meisten beeindruckte und wie er über seinen umstrittenen Trainer Niko Kovac denkt.
Thiago, was ist Ihre Lieblingserinnerung aus Ihrer Kindheit oder Jugend?
Thiago Alcantara: Puh, schwierige Frage. Ich habe viele schöne Erinnerungen an diese Zeit. Ich habe natürlich sehr viel Zeit mit meinem Bruder verbracht, der knapp zwei Jahre jünger ist als ich. Ich weiß noch, dass wir als kleine Jungs nach den Spielen meines Vaters in den verschiedenen Stadien auf dem Rasen gespielt haben.
Ihr Vater Mazinho war brasilianischer Nationalspieler. Er spielte in Brasilien, Italien und Spanien. Was war die wichtigste Lektion, die Sie von ihm gelernt haben?
Thiago: Fußballerisch hat er mich gelehrt, befreit aufzuspielen, Spaß zu haben, aber gleichzeitig Verantwortung zu übernehmen und eine gewisse Ernsthaftigkeit an den Tag zu legen. Ich habe immer versucht, diese Mischung zu beherzigen. Ich möchte den Zuschauern Freude bereiten und gleichzeitig gute Entscheidungen für meine Mannschaft treffen.
In Ihrer Jugend spielten Sie zunächst für kleinere Klubs in Spanien, dann in Brasilien bei Flamengo und anschließend wieder in Spanien bei Ureca Negran. Inwiefern unterscheidet sich der spanische vom brasilianischen Fußball?
Thiago: "In Brasilien ist Fußball Religion"
Thiago: In Brasilien ist Fußball Religion. Im ersten Jahr beginnst du mit Futsal, spielst ein paar Turniere, um deine technischen Fähigkeiten zu verbessern. Im zweiten Jahr spielst du dann ganz normalen Fußball auf einem herkömmlichen Platz. Diese Kombination macht den brasilianischen Fußball aus. Im Futsal geht es um Schnelligkeit, Finten und feine Bewegungen auf engstem Raum. Wenn du diese Dinge im Fußball einbringst, kann dir das extrem helfen. In Spanien dagegen geht es nur um Fußball. Die Ausbildung der Spieler ist dort beeindruckend.
2005 sind Sie im Alter von 14 Jahren zum FC Barcelona gewechselt. Wie kam der Kontakt zustande?
Thiago: Ich habe in einer Mannschaft aus Vigo gespielt. Meine Mutter hat mir damals nicht erlaubt, für Celta zu spielen, weil mein Vater dort während seiner Zeit als Profi ein paar Probleme hatte. Also habe ich mit ein paar Schulfreunden zusammen für einen kleineren Verein gespielt. Dort haben wir in einer Saison Real Madrid geschlagen, wir haben auch Celta und Deportivo geschlagen. Eigentlich haben wir gegen alle spanischen Teams gewonnen. Eines Tages spielten wir dann in Barcelona. Nach dem Spiel sagte mein Vater zu mir: 'Thiago, ich wollte es dir vor dem Spiel noch nicht sagen, aber Barca will, dass du kommende Saison bei ihnen spielst.' In dem Moment war ich total perplex, Barca ist ja ein gigantischer Verein. Damals waren auch Real Madrid und andere Vereine an mir dran, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich meine Entscheidung schon getroffen.
Dann spielten Sie also in der berühmten La Masia. Welcher Spieler hat Sie damals am meisten beeindruckt?
Thiago: Gai Assulin, ein Junge aus Israel. Er war in meinem Alter - und er war mir immer einen Schritt voraus. Er hat es dann in die zweite Mannschaft geschafft, aber den Sprung zu den Profis verpasst. Letztlich hat er nur in der zweiten und dritten spanischen Liga gespielt. Und trotzdem war er der talentierteste Spieler, den ich je in La Masia gesehen habe.
2009 haben Sie als 18-Jähriger unter Pep Guardiola bei den Profis debütiert. Wie haben Sie Ihr erstes Gespräch in Erinnerung?
Thiagos erstes Gespräch mit Pep während des U16-Trainings
Thiago: Das war schon viel früher, während einer U16-Trainingseinheit. Es ging ums Positionsspiel und man hat sofort gemerkt, was für außergewöhnliche Gedanken er sich im taktischen und technischen Bereich macht. Man hat auch direkt gesehen, dass er sehr gut in seinem Job ist, und hatte Respekt, weil er ein großartiger Spieler war, von dem man vieles lernen kann. Aber man konnte damals noch nicht absehen, dass er eine derart herausragende Trainerlaufbahn hinlegen würde.
Welche Kabinenansprache fällt Ihnen ein, wenn Sie an Guardiola denken?
Thiago: Es gab viele großartige Ansprachen. Wenn ich mich für eine entscheiden müsste, würde ich die vor dem Champions-League-Finale 2011 in Wembley gegen Manchester United nehmen. Vor so einem Spiel fühlt man sich anders als vor normalen Spielen oder selbst einem Clasico gegen Real.
Was hat Guardiola Ihnen damals gesagt?
Thiago: Einiges, aber sorry: Was in der Kabine passiert, muss auch in der Kabine bleiben.
Was ist das Wichtigste, das Sie von Guardiola gelernt haben?
Thiago: Diese unfassbare Leidenschaft für den Fußball.
2013 sind Sie Guardiola zum FC Bayern gefolgt. Wie hat er sich mit der Zeit entwickelt?
Thiago: "Guardiola wurde von Jahr zu Jahr magischer"
Thiago: Pep wurde von Jahr zu Jahr ein besserer Trainer, magischer, erfahrener, taktisch versierter.
Welcher Spieler hat Sie in Ihrer Anfangszeit bei den Bayern am meisten beeindruckt?
Thiago: Philipp Lahm. Alles sah bei ihm so einfach aus, aber es war Perfektion. Er hat ausschließlich richtige Entscheidungen getroffen. Es war unglaublich, das zu sehen und von ihm angeführt zu werden. Für mich war es wirklich eine Ehre, mit ihm in einer Mannschaft gespielt zu haben.
Sie haben bereits sechs Saisons mit dem FC Bayern gespielt. War die vergangene Spielzeit die turbulenteste?
Thiago: Die schwierigste Zeit war für mich zwischen April 2014 und April 2015 aufgrund meiner Verletzung.
Was haben Sie damals gelernt?
Thiago: Deutsch, ich konnte mich aufs Deutschlernen konzentrieren. (lacht) Vorher hatte ich dafür zu wenig Zeit. Aber im Ernst: Das war eine harte Zeit. Ich hoffe, dass mir so etwas nie wieder passiert. Dafür arbeite ich täglich.
Es wurde in der vergangenen Saison viel über Niko Kovac diskutiert. Welche Qualitäten hat er, die andere Trainer nicht haben?
Thiago: Kovac mit dem Klub wachsen
Thiago: Niko ist ein junger Trainer, er will alle Titel mit Bayern gewinnen, er will mit dem Klub wachsen. Er macht einen großartigen Job. Wir alle mögen ihn.
Inwiefern unterscheidet er sich von Guardiola?
Thiago: Pep arbeitet viel mit Videos und erklärt dir beispielsweise genau, wo bespielbare Räume sind und warum du gewisse Dinge tun sollst. Niko ist da anders, er gibt dir mehr Freiheiten. Er will, dass du in den Spielen deine eigenen Entscheidungen triffst.
Mats Hummels ist zum BVB zurückgekehrt. Wird der FC Bayern seine Qualitäten vermissen?
Thiago: Mats ist ein wunderbarer Fußballer, der bereits jetzt auf eine große Karriere zurückblicken kann. Er war unglaublich. Wir werden ihn definitiv sehr vermissen, weil er nicht nur ein großartiger Spieler, sondern auch eine Persönlichkeit ist.
Neben Hummels spielen auch Arjen Robben, Franck Ribery, Rafinha und James Rodriguez kommende Saison nicht mehr für den FCB. Braucht der Klub neue Spieler, um konkurrenzfähig zu sein?
Thiago: Ich bin beim FC Bayern angestellt, um Fußball zu spielen. Meine Aufgabe ist es nicht, mich um Transfers zu kümmern. Dafür werden andere bezahlt. Ich bin dafür mitverantwortlich, was wir auf dem Platz machen.
Dort ist es das große Ziel, mal wieder die Champions League zu gewinnen. Ist es heutzutage aufgrund der finanziell immer stärker werdenden Konkurrenz schwieriger, den Henkelpott zu holen als noch vor ein paar Jahren?
Thiago: Champions-League-Gewinn "genauso schwierig wie früher"
Thiago: Es ist immer schwierig, die Champions League zu gewinnen. Man denke nur an all die großen Vereine, die Jahr für Jahr leer ausgehen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Meines Erachtens ist es genauso schwierig wie früher, es hat sich dahingehend nichts verändert.
Sie haben mit Bayern und Barca bereits in vielen imposanten Stadien gespielt. Welches war Ihr liebstes Stadionerlebnis?
Thiago: Ich liebe es, auswärts zu spielen. Das Santiago Bernabeu und der Signal Iduna Park sind für mich ganz besondere Stadien, weil ich dort gegen den jeweils größten Konkurrenten meines Klubs spielte. Solche Situationen geben mir nochmal einen Extraschub Motivation. Wenn du gegen deinen größten Rivalen spielst, in dessen Stadion, dann ist das die größtmögliche Herausforderung. Das macht es so interessant.
Wo sehen Sie sich in drei, vier Jahren?
Thiago: Es gibt ja nicht mal eine Garantie, dass ich morgen noch lebe. Wie soll ich da wissen, was ich in drei Jahren mache? Ich versuche einfach, meinen Job zu genießen. Ich möchte das Gefühl beibehalten, das ich jeden Tag spüre, wenn ich aufwache. Man weiß nie, was in drei Jahren passiert. Ich will keine Pläne schmieden. Ich hasse Pläne. Lasst uns im Hier und Jetzt leben.