Wie lief der Start bei Benfica?
Witsel: Die ersten zwei, drei Wochen waren ungewohnt. Wenn ich im Training zweimal hintereinander den Ball berührt habe, war das schon gut. Das Tempo war viel höher. Bevor ich den Ball bekommen habe, musste ich wissen, wo ich ihn hinspiele. An dieses Niveau musste ich mich erst einmal gewöhnen, aber nach ungefähr drei Wochen war alles vertraut.
Hatten Sie in der Anfangszeit Zweifel?
Witsel: Nein, aber ich hatte Heimweh. Ich habe mich nicht wohl gefühlt, weil ich das Gefühl hatte, nicht gut genug zu trainieren. Ich bin jemand, der viele Ballkontakte braucht und wie ein Spielmacher agiert. Damals habe ich zu meinem Vater gesagt: 'Ich verstehe das nicht. Ich bekomme kaum den Ball und renne nur hin und her, das ist doch kein Fußball.' Er hat mich beruhigt und gesagt: 'Entspann dich, deine Zeit wird schon kommen. Es wird nur drei Wochen dauern, dann wirst du dich angepasst haben.' Auch damit hatte er Recht.
Axel Witsel: "Ich hätte auch zu Real wechseln können"
Warum sind Sie nur ein Jahr später nach Russland zu Zenit St. Petersburg gewechselt?
Witsel: Ich hätte auch zu Real Madrid wechseln können, als Jose Mourinho dort war. Dann hat Real aber Luka Modric verpflichtet, deswegen hat ein Transfer nach Madrid für mich keinen Sinn mehr ergeben. Kurz vor Ende der Transferperiode hat sich dann Zenit gemeldet. Ich hatte gute Gespräche mit den Verantwortlichen und habe zugesagt. Ich bin ein offener Mensch und hatte keine Angst vor Russland. Sankt Petersburg ist eine beeindruckende Stadt. Zudem muss man sehen, dass Benfica damals viel Geld mit mir verdient hat. Bis zu Joao Felix' Abgang waren die 40 Millionen Euro noch die größte Transfereinnahme der Vereinsgeschichte.
Wie war das Leben in Russland?
Witsel: Komplett anders als in Portugal. In Lissabon ist fast immer schönes Wetter, dort waren wir schnell am Strand. In Russland ist es kälter und die Menschen sind zurückhaltender, wenn sie dich nicht kennen. Es ist eine andere Mentalität, an die ich mich erst gewöhnen musste.
Axel Witsel über Rassismus in Russland
Sie und Hulk waren die ersten beiden farbigen Spieler bei Zenit. Haben Sie Erfahrungen mit Rassismus machen müssen?
Witsel: Nein. Ich konnte mich in der Stadt immer frei bewegen. Mein Vater ist schwarz, er hat mich mehrfach besucht, da gab es nie Probleme. Ich weiß aber, dass Hulk damals einige Schwierigkeiten hatte, zum Beispiel ein paar Auseinandersetzungen mit den Fans von Spartak Moskau. Im Fußball sollte es keinen Platz für Rassismus geben. Viele Menschen haben ein schlechtes Bild von Russland. Vor ein paar Monaten gab es auch einen Vorfall in Italien. Solche Dinge passieren also nicht nur in Russland, sondern überall in Europa.
Wie würden Sie Ihre Zeit in Russland zusammenfassen?
Witsel: Das erste Jahr war nicht einfach. Wir hatten Igor Denisov in der Mannschaft, der Nationalspieler Russlands war und von Anfang an ein Problem mit uns hatte. In der Zeitung sagte er Sachen wie: 'Witsel ist nicht Iniesta, wieso haben wir ihn für 40 Millionen Euro geholt?' Oder: 'Hulk ist nicht Messi'. Das war nicht fair. Die Stimmung in der Kabine war nicht gut - und trotzdem wurden wir direkt Zweiter in der Liga. Letztlich habe ich meine Zeit in Russland trotz der anfänglichen Schwierigkeiten wirklich genossen. Wir haben einige Titel gewonnen, darunter den Pokal und die Meisterschaft.
Axel Witsel über seinen Wechsel nach China und die Reaktionen
2017 wechselten Sie zu Tianjin Quanjian nach China und sorgten damit für öffentliche Entrüstung.
Witsel: Es war ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. Ein halbes Jahr zuvor war die Situation noch eine andere. Mein Vertrag bei Zenit lief aus und ich wollte zu Juventus wechseln. Ich hatte schon den Medizincheck bestanden und musste eigentlich nur noch den Vertrag unterschreiben. Ich habe den ganzen Tag im Büro gewartet und am Ende sagte mir Zenit, dass ich wieder zurückkommen müsse. Im Nachhinein war das vielleicht ein Wink des Schicksals. Vielleicht war es einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Als sich dann die Möglichkeit ergeben hat, nach China zu wechseln, habe ich für mich entschieden, diese Chance zu nutzen.
Sie haben zugegeben, dass es bei Ihrem Wechsel zu Tianjin vor allem ums Geld ging. Wie sind Sie mit den Reaktionen auf den Transfer umgegangen?
Witsel: Am Anfang war es schwer. Das Thema war dauerpräsent in den belgischen Nachrichten. Vor allem war es für meine Familie schwierig. Wenn jemand schlecht über mich redet, macht mir das nichts aus, weil ich selbst am besten weiß, was gut für mich ist. Meine Eltern, meine Schwester, sogar unsere Kinder haben aber darunter gelitten. Dabei habe ich nichts Verbotenes gemacht. Ich habe einfach nur eine Entscheidung getroffen und bin nach China gegangen.
Axel Witsel: "Es gibt vier schöne Städte in China"
Würden Sie jüngeren Spielern empfehlen, dorthin zu wechseln?
Witsel: Es ist immer eine persönliche Entscheidung. Es gibt vier schöne Städte in China: Shanghai ist wunderschön, Guanghzou im Süden und dann noch Peking und Tianjin. Tianjin ist eine riesengroße Stadt, dort leben 16 Millionen Menschen. Das kann man nicht mit Lüttich, Lissabon oder Dortmund vergleichen. Am Ende war es für mich die richtige Entscheidung und eine schöne Erfahrung. China ist eine ganz andere Welt. Ich war der erste Spieler aus der belgischen Nationalmannschaft, der dorthin gegangen ist. Jetzt spielen auch Moussa Dembele und Marouane Fellaini dort.
Wie sah Ihr Leben dort aus?
Witsel: Wir hatten ein Apartment im Hotel. Fabio Cannavaro war anfangs mein Trainer. Er und sein ganzes Team haben auch dort gewohnt, genauso wie alle anderen ausländischen Spieler. Die Schule war nur zwei Minuten entfernt, es wurde hauptsächlich auf Englisch unterrichtet. Ein wenig Chinesisch war aber auch dabei.