Die erste Erkenntnis lieferte Philippe Coutinho bereits, ehe er überhaupt das erste Wort gesprochen hatte: Landsmann und Ex-Liverpool-Kollege Roberto Firmino und er sind offenbar beim selben Zahnarzt in Behandlung. Mit einem Lächeln, das jedem Colgate-Mitarbeiter die Freudentränen ins Gesicht getrieben haben dürfte, nahm der Neuzugang des FC Bayern bei seiner Präsentation in der Allianz Arena Platz und ließ - ohne sein fluoreszierendes Strahlen auch nur für einen Moment abzulegen - den Blick über die üppig besetzten Reihen schweifen.
"Ich bin wirklich sehr beeindruckt", erklärte der Brasilianer einleitend und führte aus: "Ich bin heute Morgen angekommen und wenn ich die ganze Anlage hier so sehe, dann freue ich mich, hier zu sein." Freude, die auf Gegenseitigkeit beruht. Die Verantwortlichen des Rekordmeisters, in Person von Sportdirektor Hasan Salihamidzic und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge auf dem Podium neben Coutinho sitzend, wirkten erstmals nach vielen kräftezehrenden Wochen einigermaßen entspannt. Weil es doch noch gelungen war, einen Spieler mit internationaler Strahlkraft an die Isar zu locken.
Man habe sich bereits seit einiger Zeit mit Coutinho befasst, sagte Rummenigge, der nebenbei noch verriet, dass die vermeintlich günstigen Konditionen (8,5 Millionen Euro Leihgebühr, Anm. d. Red) als "Freundschaftsdienst" des FC Barcelona zu verstehen seien. Mit den Blaugrana habe man nämlich "seit Jahren ein sehr gutes Verhältnis. Außerdem wollte Barca Philippe den Wechsel nicht erschweren, weil er unbedingt zu uns wollte."
"Projekt" überzeugte Coutinho
Doch welche Argumente überzeugten den prominenten Mittelfeldspieler letztlich? Während der Pressekonferenz verwiesen die Protagonisten immer wieder auf ein "Projekt", mit dem man Coutinho für sich gewonnen habe. "Wir haben Philippe in Barcelona ein sportliches Projekt vorgelegt und er hat es angenommen, darüber bin ich sehr glücklich", frohlockte Salihamidzic und schob später diesbezüglich nach: "Das Projekt, das wir vorgestellt haben, beruht auch auf Flexibilität. Philippe ist sehr flexibel, kann den Ball durchstecken und unsere Spitzen und Flügelspieler einsetzen." Zudem sei Coutinho torgefährlich.
Voraussetzungen, die eigentlich perfekt auf ein Stellenangebot für einen klassischen Zehner zugeschnitten sind. Passenderweise sieht der 27-Jährige sich selbst in ebenjener Rolle auch am stärksten. "Meine Lieblingsposition ist die Zehn, da kann ich mich am besten entfalten", stellte Coutinho vorsichtig klar, um sich gleich darauf in Kompromissbereitschaft zu üben: "Aber der Trainer entscheidet, wo ich spiele."
Vermutlich wohlwissend, dass dieser ein System präferiert, in dem kein typischer, schöngeistiger Spielmacher per Definition vorgesehen ist. Hier stellt sich die Frage: Wie planen die Bayern und insbesondere Kovac mit der technisch versierten Leihgabe?
Stellt Niko Kovac sein System für Coutinho um?
Im Prinzip ergeben sich drei Möglichkeiten: Eine Option wäre, dass der Kroate von seinem 4-3-3 abrückt und zu einem 4-2-3-1-System zurückkehrt. Allerdings gelang es dem 47-Jährigen bereits bei James, ebenfalls freiheitsliebender Hybrid aus Dribbler und Gestalter, nicht, diesen bestmöglich einzugliedern.
Weil Kovacs Interpretation eines Zehners eher der einer hängenden Spitze nahekommt. Die Spielweise Thomas Müllers wäre das prädestinierte Beispiel, wie sich der FCB-Übungsleiter den nominellen Offensivmann hinter Robert Lewandowski vorstellt. Um Coutinho auf dessen bevorzugter Position aufzustellen, müsste Kovac quasi von seiner eigenen Philosophie abrücken.
Sollte er seiner Linie treu bleiben und weiterhin auf einen Sechser und zwei Achter setzen, käme Coutinho für die linke Halbposition infrage. Eine ähnliche Position bekleidete der 55-malige Nationalspieler bisweilen beim FC Liverpool unter Jürgen Klopp. Im Tandem mit wahlweise Leon Goretzka, Thiago, Corentin Tolisso oder Renato Sanches könnte Coutinho den etwas offensiveren Part mimen, seine Qualitäten im Kurzpassspiel einbringen sowie mit seinen gefürchteten Distanzschüssen für Gefahr sorgen.
Coutinho als Linksaußen?
Bliebe zu guter Letzt noch die Alternative, Coutinho als Linksaußen zu bringen. Dort kam er vornehmlich in Barcelona und für die Reds zum Einsatz. Anders als in Liverpool, wo er gemeinsam mit Firmino und Sadio Mane wirbelte und sich somit in den Fokus anderer europäischer Schwergewichte spielte, war der "kleine Magier" bei den Katalanen nicht unumstritten, vermochte er es neben Lionel Messi, Luis Suarez und Co. nicht, seine Qualitäten vollends auf dem Platz zu bringen. Ein Grund, warum sein Weg ihn nun in die bayrische Landeshauptstadt führte.
Coutinho ist kein typischer antrittsstarker Flügelflitzer a la Kingsley Coman oder Serge Gnabry, die aktuell die Außenbahnen beackern. Stattdessen zieht es ihn immer wieder in die Mitte, um die gegnerischen Abwehrreihen per Kombinationsspiel aus dem Zentrum zu knacken. Eine mögliche positive Konsequenz dessen wäre, dass die Münchner weniger ausrechenbare Flanken in den Strafraum schlagen müssten, wie jüngst gegen Hertha BSC geschehen, als eine Hereingabe nach der anderen von Berlins wuchtigen Innenverteidigern bereinigt wurden.
Ganz egal, für welche Variante sich Kovac letztlich entscheidet - dem FC Bayern ist mit dieser Verpflichtung ein vielversprechender Coup, ein Transfer mit Tragweite gelungen. Das belegt unter anderem auch die Tatsache, dass die eigentlich für diese Saison geblockte Rückennummer zehn von Arjen Robben aktiviert wurde. Mit Einverständnis des Niederländers selbstverständlich, der in Coutinho laut Rummenigge einen "würdigen Nachfolger" sieht.
"Das Trikot mit der Nummer zehn des FC Bayern ist eine große Verantwortung. Sie gehörte immerhin Arjen Robben, einem großartigen Fußballer", schwärmte Coutinho damit konfrontiert. "Ich hoffe, die Erwartungen bestätigen zu können." Bescheidene Worte. Worte, die er natürlich mit einem strahlenden Lachen über die Lippen brachte.
Philippe Coutinho im Steckbrief
geboren | 12. Juni 1992 in Rio de Janeiro |
Größe | 1,72 m |
Gewicht | 72 kg |
Position | Offensives Mittelfeld |
starker Fuß | rechts |
Stationen | CR Vasco da Gama, Inter Mailand, Espanyol Barcelona, FC Liverpool, FC Barcelona, FC Bayern |