Im Oktober wird Frank Geideck 25 Jahre durchgängig als Co-Trainer gearbeitet haben und an der Marke von 900 betreuten Profispielen kratzen. In diesem Sommer feierte der 52-Jährige sein zehnjähriges Dienstjubiläum bei Borussia Mönchengladbach.
Im Interview mit SPOX und Goal spricht Geideck über die Anfänge seiner Karriere, den Posten als Cheftrainer und seine veränderte Wahrnehmung des Fußballs dank der Zusammenarbeit mit Lucien Favre.
Zudem erzählt er, wie er sich an das Aus von Dieter Hecking an seinem eigenen Geburtstag erinnert, wie er mit dem Schwebezustand als Co-Trainer umgeht und warum er sich wegen eines Schuldirektors mit Irokesenschnitt kaputtlachte.
Herr Geideck, Sie sind im Oktober 1994 erstmals Co-Trainer geworden, damals in Ihrer Heimat bei Arminia Bielefeld. Seitdem arbeiteten Sie mit elf unterschiedlichen Trainern zusammen. Wissen Sie auswendig, wie viele Pflichtspiele Sie als Co-Trainer bereits hinter sich gebracht haben?
Frank Geideck: Keinen Schimmer. Weit weg von 1.000 bin ich aber wohl nicht mehr.
Es sind 879. Hinzu kommen noch sieben Partien, bei denen Sie als Interimscoach in Bielefeld tätig waren. 114 Partien fehlen also noch, um die 1.000 voll zu machen. Würde Sie das freuen?
Geideck: Es ist überhaupt kein Ziel für mich und mir auch vollkommen wurscht. Hinter der Zahl steht ja, dass ich schon lange dabei bin, viel mitgemacht habe und glücklicherweise durchgängig ohne Pause im Job war. Ich hoffe, dass es noch lange geht, aber das orientiert sich nicht an Statistiken.
Wie lange denn?
Geideck: Keine Ahnung. Ich hatte in dieser Hinsicht noch nie einen Plan. Dass ich 25 Jahre lang Co-Trainer sein werde und lediglich bei zwei Vereinen war, damit hätte ich vorab ja auch nicht gerechnet.
spoxSie waren als Spieler und Trainer insgesamt 21 Jahre in Ihrer Geburtsstadt bei Arminia angestellt. Nachdem Bielefeld in der Saison 1995/96 in die Bundesliga aufstieg und Sie bereits als spielender Co-Trainer agierten, beendeten Sie Ihre Spielerkarriere - und wurden Co-Trainer von Ernst Middendorp. Wie sind Sie damals dazu gekommen?
Geideck: Ernst hat mich schlicht gefragt, ob ich das mache möchte. Ich war 27 Jahre alt, hatte Sport mit Schwerpunkt Rehabilitation und Prävention studiert und nebenbei in einem ambulanten Rehazentrum gearbeitet. Ich kam also aus der theoretischen Universitätslandschaft, war aber auch im Fußball und somit in beiden Welten zu Hause. Das passte alles irgendwie zusammen. Zumal ich als Spieler auch nicht so gut war, dass ich die 1. Liga auseinander gespielt hätte. (lacht) Die Arbeit im Rehazentrum wurde schließlich zu viel und ich habe nur noch den Co-Trainer gemacht.
Wie sehr hat sich Ihre Arbeit im Laufe der Jahre verändert, wenn Sie gerade an diese Anfangszeit zurückdenken?
Geideck: Der Fußball ist seitdem eine ganz neue Sportart geworden. Der Beruf als Co-Trainer hat sich entsprechend komplett verändert. Früher gab es Chef-, Co- und Torwarttrainer - das war's. Ich weiß noch, wie ich Videoanalyse mit VHS-Kassetten gemacht habe, die ich dauernd vor- und zurückspulen musste. Die heutige Arbeit hat bei Umfang und Inhalt nichts mehr mit damals zu tun.
Kürzlich feierten Sie Jubiläum, denn seit nun zehn Jahren arbeiten Sie für Borussia Mönchengladbach und haben dort mit Michael Frontzeck, Lucien Favre, Andre Schubert, Dieter Hecking und jetzt Marco Rose schon fünf Trainer erlebt. Hätten Sie im Juli 2009 gedacht, dass es Sie so lange bei den Fohlen hält?
Geideck: Nein, das wäre vermessen gewesen. Die durchschnittliche Verweildauer eines Trainers in der Bundesliga beträgt 13 Monate. Mein Job als Co-Trainer hängt dadurch auch immer etwas in der Schwebe. Es gehört zu meinen Aufgaben, mich immer wieder an die einzelnen Trainer zu adaptieren. Wenn ich mich selbst zu 100 Prozent verwirklichen wöllte, müsste ich selbst Cheftrainer werden.
Mit Ihrer Vita gehören Sie einer speziellen Spezies an: den ewigen Co-Trainern. Peter Herrmann, Roland Koch oder Seppo Eichkorn sind weitere Beispiele. Dabei haben Sie einst in Bielefeld selbst einmal gesagt: "Ich hätte es durchziehen müssen. Ich habe den Sprung auf den Posten des Cheftrainers nicht mit letzter Konsequenz gemacht." Wie war das gemeint?
Geideck: Bei den Malen, als ich in Bielefeld als Cheftrainer übernahm, hatte ich mir immer die Zusage geben lassen, dass ich wieder Co-Trainer werden kann, wenn es nicht funktioniert. Das war rückblickend sicherlich ein Fehler und inkonsequent, weil ich deshalb Entscheidungen nicht bis zur letzten Konsequenz durchgezogen habe. Mir hat in dem Moment die letzte Überzeugung gefehlt.
Haben Sie grundsätzlich einmal in Ihrer Karriere in Richtung Cheftrainerposten gestrebt?
Geideck: Ich war bei Arminia im Februar 2007 eigentlich nicht Interims-, sondern Cheftrainer. Das war keine Übergangsphase, sondern es war geplant, dass kein neuer Trainer kommt. Ich sollte das länger machen als letztlich nur die vier Spiele. Es hatte interne Gründe, warum das nicht so funktioniert hat - aber es lag auch an meiner gerade erwähnten Inkonsequenz.
Lagen Ihnen auch einmal konkrete Angebote vor, um irgendwo Cheftrainer zu werden?
Geideck: Nein. Die erste Reihe wäre sicherlich gewöhnungsbedürftig gewesen, aber ich hätte mich nicht davor gescheut. Es hat sich einfach nicht ergeben.
Wie denken Sie heute darüber: Sind Sie froh, dass es so gekommen ist?
Geideck: Ich bin froh, so wie es ist. Ich gehe jeden Tag gerne zur Arbeit, auch in sportlich schwierigen Phasen. Ich denke nicht: Zum Glück bin ich damals nicht dauerhaft Cheftrainer geworden oder vielleicht wäre es ja besser gewesen, wenn ich es doch geworden wäre.
Den Cheftrainer Geideck wird's also nicht mehr geben?
Geideck: Eine absolute Aussage will ich nicht treffen, weil ich nicht weiß, was in ein paar Jahren ist. Ich denke wirklich nicht darüber nach.
Sie haben einmal gesagt: "Ostwestfalen ist meine fußballerische Sozialisation. Mönchengladbach ist meine erste Auslandsstation."
Geideck: Ich bin eben 500 Meter Luftlinie von der Bielefelder Alm aufgewachsen. Dazwischen lag meine Grundschule und die Universität, auch das Gymnasium war dort. Mein ganzes Leben und Umfeld hat sich sozusagen in diesem Mikrokosmos abgespielt. Und zu meinem fünften Geburtstag habe ich die Mitgliedschaft bei Arminia geschenkt bekommen.
Wie hat es Michael Frontzeck denn dann überhaupt angestellt, dass Sie Arminia verlassen haben?
Geideck: Ich hatte als Co-Trainer schon Angebote, um den Verein zu wechseln. Beim Gladbacher Angebot stimmte für mich einfach das vielzitierte Gesamtpaket: mein Alter, die familiäre Situation, der Bezug zum Verein - zuvor hatten diese Komponenten immer nie so wirklich gepasst. Die Borussia war in den 1970er Jahren zudem auch mein zweiter Verein neben Arminia. Ich hatte sogar ein T-Shirt von Allan Simonsen aus unserem Dänemark-Urlaub. Und dann war Michael vor allem ein fantastischer Vorgesetzter und super Typ. Es hat sehr gut mit ihm harmoniert.
Das soll es Ihren Aussagen nach auch mit Favre. Sie sagten einmal, er habe Ihnen eine neue Sicht auf das Spiel eröffnet. Inwiefern?
Geideck: Bei Uwe Rapolder in Bielefeld war es ähnlich wie bei Lucien. Ich hatte zuvor quasi nur ein Gefühl, wie Fußball funktionieren könnte, aber es fehlten noch die Struktur, eine konkrete Sichtweise und die Möglichkeiten, dies auch einer Mannschaft vermitteln zu können. Ich vergleiche das gerne mit einer Tür, die einen Spalt weit aufsteht. Man hat eine Ahnung, was dahinter ist, aber weiß es nicht genau. Uwe hat mir die Tür zu einem besseren Spielverständnis das erste Mal aufgestoßen. Er hat seinen Fußballlehrer interessanterweise wie Lucien auch in der Schweiz gemacht. Durch beide ergab sich für mich von vorne bis hinten eine Struktur, es fügten sich Teile zusammen und ergaben ein Bild.
Was kam durch Favre für Sie hinzu, was Sie von Rapolder noch nicht kannten?
Geideck: Was bei Lucien anders neu war, ist das Spiel im eigenen Ballbesitz mit einem klar strukturierten Positionsspiel gewesen. Ich war anfangs auch wirklich skeptisch und nicht sicher, ob das so wie von ihm skizziert funktionieren würde. Ich dachte immer, es bräuchte eine Barcelona-Mannschaft, um eine solche Ballbesitz-Philosophie umsetzen zu können. Dies so zu spielen, wie es Lucien tat, haben zu dieser Zeit nicht viele in Deutschland gemacht.
Favre hat den Ruf, ein begnadeter Taktik-Tüftler, aber auch ein Zauderer zu sein. Stimmt dieses Bild?
Geideck: Die Öffentlichkeit kategorisiert die Menschen immer sehr gerne. Dabei ist es doch vollkommen selbstverständlich, dass er und viele andere, die in Schubladen gepackt werden, weitaus vielfältiger sind. Die Entscheidungen, die er getroffen hat, sind immer sehr klar gewesen und wir haben immer klaren Fußball gespielt. Ihn also darauf zu reduzieren, wäre vollkommen ungerecht. Man kann mit ihm auch sehr gut über viele Themen außerhalb des Fußballs sprechen.
Favre ist in Gladbach im September 2015 vom einen auf den anderen Tag zurückgetreten und kommunizierte das noch vor dem Verein, was diesen natürlich brüskierte. Es ist bestätigt, dass er schon zuvor immer mal wieder seinen Rücktritt einreichte, vom Klub aber umgestimmt wurde. Wie denken Sie heute darüber?
Geideck: Das können Sie mir glauben oder nicht, aber an diesen Tag erinnere ich mich nicht. Ich kann auch nicht sagen, ob er vorher schon mehrfach seinen Rücktritt eingereicht hat, weil er das nicht bei mir tat. Als er damals von sich aus gegangen ist, hat mich das natürlich überrascht und war für uns alle sehr schade. Auf der anderen Seite sind solche spontanen Entscheidungen nichts Ungewöhnliches im Fußball. Man muss sich eigentlich immer wieder auf neue Begebenheiten oder Situationen einstellen, entweder von Saison zu Saison oder von jetzt auf gleich.
Stehen Sie mit ihm noch in Kontakt, wollte er Sie vielleicht sogar mit nach Dortmund nehmen?
Geideck: Wir haben losen, unregelmäßigen Kontakt. Es war aber weder von ihm, noch von mir ein Thema, mit nach Dortmund zu kommen.
Ähnlich überraschend kam in der Vorsaison das Aus von Hecking. Wie haben Sie davon erfahren?
Geideck: Ich war zuvor nicht eingeweiht, was auch nicht üblich und richtig so ist. Wir haben das morgens erfahren, auch hier war ich sehr überrascht. Daran erinnere ich mich auch deshalb gut, weil die Verkündung an meinem Geburtstag stattfand. Sonst wird immer für das Geburtstagskind gesungen, doch das wurde an dem Tag irgendwie vergessen. Ich habe zumindest kein Ständchen bekommen. (lacht)
Wenn ein Trainer aufhört, ist es für Sie als Co nie in Stein gemeißelt, dass es auch für Sie weitergehen wird. Wie sehr beschäftigt das einen in solchen Situationen?
Geideck: Es gibt angenehmere Dinge, als dann nicht zu wissen, wie es weitergeht. Der Moment des Übergangs ist deshalb unangenehm, weil ich mit den Cheftrainern immer auch sehr gerne und eng zusammengearbeitet habe und ein Bestandteil des Teams plötzlich nicht mehr da war. Man kann halt einfach nicht aktiv werden. Die eigenen Handlungsmöglichkeiten sind ziemlich beschränkt, denn als Co-Trainer gestalte ich die Cheftrainerfrage ja nicht mit. Man wartet einfach, was passiert und wie es weitergeht. Bislang hatte ich immer etwas Glück, aber auch zuvor etwas geleistet, dass ich unter den verschiedenen Trainern bleiben konnte.
Hat Ihnen das Ende von Hecking leidgetan?
Geideck: Leidtun ist das falsche Wort. Das würde der Sache auch nicht gerecht. Es war letztlich für alle überraschend. Dann schluckt man einmal und es geht weiter. Das ist der normale Ablauf. Das Persönliche kommt eher über die Frage, ob man künftig weiter in Kontakt bleibt und hin und wieder mal telefoniert.
Mit Rose bestreitet Gladbach nun einen neuen Weg, der Fußball der Borussia soll sich unter ihm weiterentwickeln. Wie gehen Sie jetzt in dieser Anfangsphase mit dem neuen Input um?
Geideck: Ich muss Marcos Idee bestmöglich adaptieren, kann mich aber auch mit Vorschlägen einbringen, die wir dann gemeinsam diskutieren. Wir sprechen permanent im Trainerteam und analysieren Spiele zusammen, um Marcos Vorstellungen bis ins Detail zu verstehen. Es ist wie ein Haus mit einem gewissen Fundament, bei dem nun eine neue Etage hinzukommt. Salzburg hatte unter Marco viel und sehr guten Ballbesitz, den sie mit klugen Bewegungen und Abläufen wunderbar ausgespielt haben. Diese grundsätzlichen Abläufe sind nahezu identisch zu dem, was wir zuvor in Ballbesitz ohnehin schon gemacht haben. Was neu hinzukommt, ist das Verhalten bei gegnerischem Ballbesitz.
Neu hinzugekommen ist auch vieles rund um den Fußball über die letzten Jahre gesehen. Welche Veränderungen finden Sie am erstaunlichsten?
Geideck: Mich betreffen ja die sozialen Medien nicht, weil ich nicht in der ersten Reihe stehe und ich mich damit auch nicht beschäftige. Ich bewundere aber die Spieler total, die dem Druck und den teils unsachlichen Anfeindungen standhalten, der durch diese permanente Öffentlichkeit und die Erfindung der Fotohandys entstanden ist. Das ist schon extrem schwer und nötigt mir großen Respekt ab, erst recht bei jungen Spielern, die 18 oder 19 Jahre alt sind.
Wie blicken Sie als 52-Jähriger denn auf die Verhaltensweisen der 18- und 19-Jährigen im Gladbacher Kader?
Geideck: Ich habe kürzlich ein Interview mit einem Schuldirektor aus Schleswig-Holstein gelesen, der einen pinkfarbenen Irokesenschnitt trug. Auf eine Frage zu den oft kritisierten Verhaltensweisen der heutigen Jugend zitierte er eine Textpassage. Sinngemäß hieß es da, dass die Jugend von heute nicht mehr nach den gewohnten Prinzipien lebt, dass bei ihr alles auf dem Ruder läuft und sie die Götter nicht mehr ehren würden. Dann hat er den Interviewer gefragt, was er denkt, aus welcher Zeit diese Passage stamme. Aus dem alten Griechenland, antwortete der. Doch er zitierte Keilschrift von den Sumerern, also im Prinzip die älteste schriftliche Überlieferung, die es überhaupt gibt. Auch damals hat man auf die Jugend geschimpft und ihr vorgehalten, man würde die Werte der älteren Generationen nicht mehr leben. Ich habe mich kaputtgelacht, weil ich das fantastisch fand und es ein tolles Beispiel war.
Wofür?
Geideck: Für mich ist es vollkommen daneben zu behaupten, die Jugend von heute würde etwas falsch machen. Die ist heute halt so und es ist auch okay, dass sie so ist. Ich bin ganz weit davon entfernt, es zu verurteilen, dass sie beispielsweise ständig auf ihr Handy schauen. Die sollen und werden in der Gesamtheit alle ihren Weg finden. Ich möchte generell meine Urteile oder Denkweisen niemandem aufzwingen oder gar 18-Jährigen überstülpen. Die Zeiten ändern sich. In den 1970er Jahren hat man die Fußballer nichts trinken, sondern sie nur den Mund mit Wasser ausspülen lassen. Darüber lachen wir doch heute. Man muss sich halt nur auch bewusst sein, dass die Leute in 30 Jahren genauso über das lachen, was wir heute machen.