Er war Kellner in Kroatien, Fanshopverkäufer in Stuttgart und stürzte nach seinem sensationellen Profi-Debüt brutal ab. Nun ist Ante Covic als Trainer zurück in der Bundesliga. Der Coach von Hertha BSC im exklusiven Interview mit SPOX und Goal.
Gut gelaunt eilt Ante Covic zum Interview-Termin am Vereinsgelände von Hertha BSC. Der 43-Jährige macht einen ähnlich positiven Eindruck wie zu seinen Spielerzeiten. Doch seit dem Karriereende als Profi musste der gebürtige Berliner lange warten, ehe er die Chance bei seinem Herzensklub bekam.
Nach sechs Jahren als Trainer der U23 betreut Covic seit dieser Saison erstmals eine Profimannschaft - und hat sich viel vorgenommen. Im Interview spricht der Kroate über seine Entwicklung vom einstigen Schönspieler zum akribischen Trainer, seinen großen Förderer, seine Spielphilosophie und das Stadtderby gegen Union.
Bayerns Nachwuchsleiter Hermann Gerland hat sich vor Ihrem ersten Bundesligaspiel in München mit Ihnen getroffen und gilt als Ihr Mentor. Woher kommt die Verbindung?
Ante Covic: Hermann hat mich vor über 20 Jahren vom VfB Stuttgart zum 1. FC Nürnberg geholt, als er dort Trainer war. Ich war jung und kein einfacher Typ, ein paar graue Haare hat er sicher von mir. Zu dem Zeitpunkt habe ich noch nicht begriffen, dass er nur das Beste für mich wollte. Aber ich habe ihn immer als superehrlichen Menschen erlebt, auch deshalb ist der Kontakt nie abgerissen. Da zwei seiner drei Töchter in Berlin leben, ist er häufig hier. Und weil ich ein sehr wissbegieriger Mensch bin, habe ich immer wieder angezapft. Wir haben abends oft mit einer Taktiktafel zusammengesessen und er hat mir erklärt, was genau die Idee bei Bayerns Trainern ist.
Gerland sagt, er sei noch keinem fleißigeren und neugierigeren Trainer begegnet als Ihnen. Als Spieler hat er Sie etwas anders beurteilt.
Covic: Das stimmt, aber völlig zurecht. Als Spieler war ich nicht gerade der Fleißigste. Das hat sich erst am Ende meiner Karriere gravierend geändert. Da habe ich in den Spiegel geschaut und mir ehrlich eingestanden, dass ich mehr aus mir hätte herausholen können, zu wenig aus meinen Möglichkeiten gemacht habe. Ich war mit Talent gesegnet, aber mir war nicht klar, dass man ohne Einsatz nichts erreichen kann. Ich habe mir damals geschworen, dass es niemals mehr am Fleiß scheitern wird.
War das der entscheidende Punkt, um es im Trainergeschäft zu versuchen?
Covic: Absolut. Als Profi hatte ich zwei Kreuzbandrisse sowie zwei Schien- und Wadenbeinbrüche und somit viel Zeit zum Nachdenken. Ich habe schon als Spieler von Herthas U23 Teile der Trainingsarbeit übernommen, weil es mir Spaß gemacht hat, etwas auszutüfteln. Da liegt einfach mein Talent, weil ich mich von klein auf dem Fußball verschrieben habe.
Egal, wen man fragt: Fast alle sagen, Sie seien als Trainer genau das Gegenteil von dem, wie Sie als Spieler waren. Nerven Sie die Geschichten mittlerweile?
Covic: Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte. Dazu sollte man stehen, man muss sie nur ehrlich aufarbeiten. Wer mit 43 Jahren sagt, er habe im Leben alles richtig gemacht, belügt sich. Ich habe einige Fehler gemacht, aber die Kunst ist es, daraus seine Lehren zu ziehen. Ich glaube, dass ich das getan habe.
Sie sind in den 90er Jahren erst durch Umwege in die Bundesliga gekommen.
Covic: Ich bin zwar in Berlin geboren, dann aber sehr früh zurück nach Kroatien gezogen. Dort habe ich in der Jugend bei Hajduk Split gespielt und eine Kellnerlehre begonnen. Als der Jugoslawien-Krieg 1991 begann, kehrte ich dann zurück in meine Stadt Berlin. Ich war damals 16 Jahre alt, konnte kein Wort Deutsch.
Sie wechselten aber nur ein Jahr später im Alter von 17 Jahren zum VfB Stuttgart. Warum?
Covic: Hertha war damals eine graue Maus in der zweiten Liga mit 2000, 3000 Zuschauern. Der große Fußball wurde leider woanders gespielt. Wenn du Talent hattest, musstest du raus aus Berlin. Ralf Rangnick, damals Jugendleiter beim VfB, hat meine Qualitäten früh erkannt und wollte mich gleich beim ersten Treffen mit nach Stuttgart nehmen. Es hat aber mehrere Besuche gebraucht, um meine Eltern zu überzeugen, denn ich bin ja bei meiner Oma in Kroatien aufgewachsen und sie wollten mich nicht schon wieder gehen lassen. Ich habe beim VfB im Fanshop gearbeitet und nach einem Jahr in der A-Jugend bei der U23 gespielt.
Aber nur für drei Spiele, dann feierten Sie im September 1994 ein spektakuläres Bundesliga-Debüt, als Sie nach Ihrer Einwechslung zwei Tore zum 4:1-Sieg gegen Eintracht Frankfurt beisteuerten. Die von vielen prognostizierte große Karriere blieb aber aus.
Covic: Weil ich mir mit 19 Jahren noch nicht im Klaren war, was da passiert war. Ich empfand das alles als normal, aber das war es natürlich nicht. Mein ganzes Leben in Stuttgart wurde komplett auf den Kopf gestellt. Das war nicht so leicht zu verarbeiten. Nach einem Jahr bin ich dann zum 1. FC Nürnberg gewechselt, weil damals nur drei Ausländer in der Bundesliga spielen durften und der VfB Elber, Dunga und Sverrisson hatte und dann auch noch Balakov verpflichtet hat.
Ein Rückschritt in die zweite Liga, aber Sie haben Hermann Gerland kennengelernt.
Covic: Da habe ich dank des Tigers richtig Lehrgeld gezahlt. Er wollte aus mir einen Arbeiter machen und ist nie müde geworden, mir zu sagen, dass ich mehr Einsatz zeigen muss. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich damals nicht wirklich auf ihn gehört habe. Leider. 1996 bin ich zurück zu Hertha gewechselt, wir sind aufgestiegen und hatten ein überragendes erstes Bundesligajahr. Danach kamen Verletzungen, ich bin erneut gewechselt, erst zum VfL Bochum, dann zum 1. FC Saarbrücken. Ich kam aber nicht mehr richtig auf die Beine. 2002 wollte mich Pavel Dotchev nach Paderborn holen, aber ich hatte Heimweh und wollte zu meiner Familie nach Berlin zurück.
Von 2003 bis 2010 spielten Sie dann für die zweite Mannschaft der Hertha. Wie kam es zum Übergang in den Trainerjob?
Covic: Ich war mir schon zu meiner Zeit in der zweiten Mannschaft nicht zu schade, die jungen Spieler auszubilden. Das war dann für mich ein fließender Übergang, für den ich bis heute sehr dankbar bin. Als Hertha mir die U15 angeboten hat, habe ich sofort angenommen - wohl wissend, dass einige meiner Ex-Kollegen mich damals belächelt haben. Wer damals als Profi-Trainer werden wollte, fing mindestens in der U19 an, darunter ging nichts.
Und nur eineinhalb Jahre später waren Sie plötzlich Co-Trainer in der Bundesliga.
Covic: Als Otto Rehhagel im Februar 2012 Michael Skibbe ersetzte, wurde noch ein zweiter Co-Trainer benötigt. Leider konnten wir den Abstieg nicht vermeiden. Auch wenn wir vielleicht keinen so gravierenden Anteil daran hatten, waren wir letztlich verantwortlich. Ein Abstieg ist immer brutal für den gesamten Verein. Aber ich habe sehr viel aus dieser Zeit mitgenommen, weil Otto Rehhagel eine unfassbare Ausstrahlung und ein unglaubliches Wissen hatte.
Sie haben ab 2013 sechs Jahre lang Herthas zweite Mannschaft trainiert und in diese Zeit mehrere Angebote abgelehnt, unter anderem von Dresden, Aue und Bayern II. Warum sind Sie bei Hertha geblieben?
Covic: Es war einfach nicht das richtige Angebot dabei, ich wollte keine Kompromisse eingehen. Außerdem hat es mir Spaß gemacht, bei Hertha die Talente zu entwickeln. Und wie es aussieht, hat sich das Warten ja gelohnt.
Waren Sie nicht wütend, als Ihnen 2015 der damalige U15-Trainer Pal Dardai als Hertha-Chefcoach vorgezogen wurde?
Covic: Natürlich war ich sauer. Ich wäre ja ein schlechter Trainer, wenn ich mit der Fußball-Lehrer-Lizenz in der Tasche nicht das Ziel gehabt hätte, unsere Profis zu betreuen. Und wenn man die U23 trainiert, sieht man sich natürlich als zweiter Mann im sportlichen Bereich und in der Favoritenrolle für die Nachfolge bei den Profis. Aber im Nachhinein war es ganz gut so, dass ich mich bei der U23 noch etwas entwickeln konnte.
Auch im Frühjahr, als Pal Dardais Abschied feststand, beschäftigte sich Hertha mit externen Kandidaten. Hätten Sie den Verein verlassen, wenn Sie es wieder nicht geworden wären?
Covic: Das weiß ich nicht. Der Verein hat mir immer das Gefühl gegeben, dass ich eine gute Chance auf den Job habe. Jetzt herrscht eine gewisse Aufbruchstimmung. Dem versuchen ich mit meinem Team gerecht zu werden, bislang läuft es ganz gut.
Sind Sie auch deshalb die richtige Wahl, weil Hertha so viele Talente wie lange nicht mehr im Profi-Kader hat, die Sie größtenteils ausgebildet haben?
Covic: Wir haben hier wirklich viele junge Spieler mit enormem Potenzial wie Maier, Mittelstädt, Torunarigha, Friede, Dilrosun oder Redan. Aber wir sind im Nachwuchs trotzdem nicht mehr die unangefochtene Nummer 1 in der Stadt. Bayern hat drei Scouts in Berlin, auch RB Leipzig hat drei, sogar Kaiserslautern hatte hier bis zum vergangenen Jahr einen Scout. Da kann man nicht davon ausgehen, dass jeder gute Jugendspieler automatisch bei uns landet.
Haben Sie umgekehrt Hoffnungen, dass die 125 Millionen Euro des neuen Hertha-Investors Lars Windhorst für hochkarätige Neuzugänge eingesetzt werden?
Covic: Wir haben hier langfristige Ziele und wollen unserer Philosophie treu bleiben, nicht nur Geld auszugeben, sondern auch aus- und weiterzubilden. Ich bin zufrieden mit unserem Kader, wir haben alle Positionen doppelt besetzt. Wenn man sieht, wie unsere Bank besetzt ist oder sich unsere topbesetzte Offensive mit Ibisevic, Kalou, Selke und Lukebakio anschaut, kann ich mich wirklich nicht beklagen. Aber die Transferperiode ist ja noch nicht vorbei. Sollte sich noch etwas ergeben, was für uns Sinn macht, dann könnten wir noch einmal tätig werden.
Herthas Ex-Kapitän Arne Friedrich hält einen Platz im internationalen Wettbewerb für möglich. Hat er Recht?
Covic: Arne ist ein Fußball-Fachmann und sieht offenbar gewisse Chancen mit unserer Mannschaft. Man darf aber nicht vergessen, dass wir mit Valentino Lazaro einen absoluten Leistungsträger verloren haben. Dazu mit Fabian Lustenberger noch einen erfahrenen Spieler. Wir haben keine 100 Millionen Euro investiert und keinen aufgeblähten Kader. Da ist Hertha seiner Philosophie treu geblieben. Jetzt müssen wir als Mannschaft das Bestmögliche rausholen und dann schauen, was am Ende dabei herauskommt.
Warum wollen Sie kein konkretes Saisonziel ausgeben?
Covic: Ich kenne keinen Sportler und keinen Trainer, der nicht das Maximum erreichen will. Was aber konkret im Mai sein wird, ist für mich im Moment nicht greifbar. Da Platz x vorzugeben, wäre für mich nur eine Floskel. Ich splitte die Saison lieber in Abschnitte mit greifbaren Zielen.
Haben Sie Sorgen vor zu hohen Erwartungen aus der Vereinsführung?
Covic: Das Gefühl habe ich überhaupt nicht, sonst hätte ich meinen Job auch nicht angetreten. Wir haben Einigkeit zwischen Trainer, Mannschaft und Management über unsere Ziele: uns Schritt für Schritt mit möglichst attraktivem Fußball weiterzuentwickeln.
Ist es richtig, dass Ihr Ansatz deutlich aktiver und offensiver als unter Pal Dardai ist?
Covic: Das wird uns nicht immer gelingen, aber das ist unser Ziel. Jeder Trainer hat einen etwas anderen Ansatz, legt einen anderen Schwerpunkt, kein Trainer ist wie der andere. Wir haben uns in den vergangenen Jahren im Umschaltspiel gut entwickelt. Jetzt geht es mir darum, dass wir im Spiel mit Ball noch mehr Gefahr ausstrahlen. Wir wollen nicht nur Ballbesitz haben, sondern mit einem hohen Ballbesitzanteil möglichst zügig nach vorne spielen und Tore erzielen. Das ist kein einfaches Vorhaben, bislang läuft es aber recht gut.
Die Hertha ist inzwischen keine graue Maus mehr, das Stadion aber trotz vier Millionen Einwohnern auch keineswegs immer voll besetzt. Haben Sie die Hoffnung, mit Ihrer offensiven Spielphilosophie wieder mehr Unterstützung zu bekommen?
Covic: Klar möchten wir auch durch attraktiven Fußball mehr Zuschauer anlocken. Aber das ist ja nur ein Baustein. Wir bräuchten aber beispielsweise auch deutlich mehr Unterstützung beim Bau eines neuen Fußballstadions, besonders aus dem Senat. Es gibt nicht viele Hauptstadtklubs, die keine eigene Spielstätte, kein reines Fußballstadion als ihre Heimat haben. Das muss sich ändern, dann gäbe es auch keine Diskussionen um ein halbleeres Stadion mehr.
Wie wichtig ist Ihnen als Herthaner ein Sieg im ersten Berliner Bundesliga-Derby seit 42 Jahren gegen Union?
Covic: Natürlich sehr wichtig. Wir waren schon immer die Nummer 1 in der Stadt und wollen auch die Nummer 1 bleiben. Deshalb sind wir es unserem gesamten Verein und unseren Fans schuldig, beide Duelle zu gewinnen, damit sie am Montag danach stolz zum Bäcker gehen können.