Außerdem erklärt der 30-Jährige, warum es schade ist, dass der Fußball einen so hohen Stellenwert in der heutigen Gesellschaft hat, er selbst nie nach China wechseln würde und warum er sich die "Was-wäre-möglich-gewesen-wenn"-Frage nie stellen würde.
Herr Petersen, Ihr Trainer Christian Streich vertritt den Standpunkt: "Ich will nix mehr von mir lesen." Warum könnte Streich das sagen?
Petersen: Gute Frage. (lacht) Er hat natürlich eine wahnsinnig große Reichweite, wird oft zitiert, weil er Dinge sagt, die über den Tellerrand hinausgehen. Er ist zwar jemand, der oft das Wort ergreift, aber er sagt über sich selbst auch, dass er selten Interviews oder Sportberichte liest. Er erzählt vielleicht einfach lieber, als dass er das Geschriebene dann liest.
Wie sehen Sie das denn? Wollen Sie auch nichts mehr von Ihnen lesen?
Petersen: Das ist ganz unterschiedlich. Man kennt ja mittlerweile die Medienwelt und weiß, was man sagen darf oder eher nicht sagen sollte. In der Karriere fällt man ja auch das ein oder andere Mal auf den Mund und merkt dann recht schnell: "Oh, da hab' ich jetzt was Falsches gesagt." Interna, die nicht nach außen dringen sollten zum Beispiel. Oder in den Sozialen Medien, wo sich jeder frei äußern, machen und tun kann. Da muss jeder Acht geben.
Sie sind zumindest einmal in Ihrer Karriere auf den Mund gefallen. Als Sie vor anderthalb Jahren dem Focus ein Interview gegeben haben, bestimmte das wochenlang die Schlagzeilen.
Petersen: Ich wollte niemals eine so große Welle auslösen. Darauf war dieses Interview gar nicht abgezielt.
Bereuen Sie im Nachhinein das Interview?
Petersen: Nein. Ich habe ja nur das ausgesprochen, was ich in dem Moment gefühlt habe. Ich wollte eigentlich nur darauf aufmerksam machen, dass der Fußball manchmal einen zu hohen Stellenwert einnimmt. Ich habe manchmal einfach das Gefühl, dass andere Menschen, die in meinen Augen viel mehr leisten, dafür viel zu kurz kommen. Aber das ist nun mal so in unserer Gesellschaft. Wenn ein Arzt, ein Handwerker, ein Anwalt und ein Fußballer am Tisch sitzen, wird trotzdem der Fußballer die vermeintlich spannendsten Geschichten auf Lager haben, die jeden interessieren. Und das finde ich manchmal sehr schade. Auch ich habe viele spannende Gesprächspartner, kann sie aber nichts fragen, weil alle nur etwas über mein Fußballerleben wissen möchten.
Erzählen Sie.
Petersen: Das kann morgens beim Bäcker passieren oder wenn man den Nachbar kennenlernt, der vielleicht Archäologe oder Richter ist. Diese Berufswelt mit einer 40- bis 50-Stunden-Woche kennt der normale Fußballprofi ja nicht und ich finde das spannend, darüber zu reden. Da passieren ja die Dinge, die das Leben eigentlich bestimmen. Ein Familienvater, der 30 Jahre arbeiten muss, um den Kredit für das Haus abzubezahlen. Diesbezüglich sind wir Fußballer natürlich privilegiert und dafür können wir im Grunde auch nichts. Aber ich finde es schade, dass manche uns dadurch so einen hohen Stellenwert geben, obwohl andere viel mehr zu bieten haben und dennoch zu kurz kommen.
Bundesligaprofis wurden in der Folge plötzlich nach ihrem Bildungsstand gefragt, einige Spieler kritisierten Sie aufgrund Ihrer Aussagen.
Petersen: Der eine oder andere mag das falsch verstanden haben und es gab auch sicherlich Spieler, die das doof fanden, oder Menschen in der Öffentlichkeit, die gesagt haben: "Was erzählt der denn da für einen Blödsinn? Der soll lieber Fußball spielen." Das ist für mich auch völlig okay. Aber wenn man zu seinem Interview gebeten wird, redet man auch manchmal einfach drauf los.
Sie sagten, dass Sie nie derartige Wellen lostreten wollten. Als diese Welle aber kam, wie unangenehm war es für Sie?
Petersen: Es ist generell nicht so schön, dass von 40 Sätzen dann einer völlig aus dem Zusammenhang rausgerissen wird. Aber das ist stinknormal heutzutage, weil die Leute sich nach Sensation sehnen und nicht nach einer Überschrift nach dem Motto "Uns geht es gut" oder "Alles ist schön".
In Ihrem Fall haben Sie damals letztendlich nur über Ihre persönliche Wahrnehmung gesprochen, was von der Presse dankend angenommen und auch aufgebauscht wurde. Ist das ein grundsätzliches Problem, dass man als Fußball-Profi nicht mehr sagen kann, was man wirklich denkt?
Petersen: Das stimmt schon. Es gibt viele Ex-Profis, die immer gerne sagen, dass es keine Typen mehr gebe. Aber es ist zu leicht zu behaupten, dass Fußballer keine Eier mehr hätten. Der Journalismus hat sich halt geändert und die Wahrnehmung auf den Fußball. Der Faktor Neid spielt da meiner Meinung nach auch eine große Rolle. Dann wird eben mal ein Zitat rausgenommen, das uns nicht so gut dastehen lässt oder das ein banales Thema aufbauschen lässt, obwohl man es gar nicht so gemeint hat.
Inwiefern spielt ein Neidfaktor da eine Rolle?
Petersen: Die Summen stehen ja mittlerweile überall. Es ist ein offenes Buch, was man als Fußballer verdienen kann. Jeder denkt über diesen Beruf automatisch, dass er ein Traum ist - und das stimmt auch teilweise. Aber die ganzen Nachteile, die er mit sich bringt, werden unter dem Strich kaum thematisiert und immer wieder mit dem Geld verglichen. Das Geschäft hat auch seine Schattenseiten.
Da kommt einem automatisch das fast schon berühmte Zitat von Sandro Wagner in den Kopf, der mal gesagt hat, dass Fußballer zu wenig verdienten.
Petersen: Er ist nun mal ein Typ, der polarisiert und ja auch jetzt nach China gewechselt ist. Die einen sagen, dass er das angesichts des Gehalts machen musste. Ich denke nicht so. Ich würde nicht alles stehen und liegen lassen und für zwei oder drei Jahre nach China wechseln. Dafür bin ich zu heimatverbunden. Er aber hat das Selbstbewusstsein und sagt, dass er das Geld mitnimmt und auch dazu steht. Es gibt so viele unterschiedliche Typen, die unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema haben. Das ist auch von dem Weg abhängig, den man gehen musste. Manche mussten sich das Profidasein hart erarbeiten, manche haben das in die Wiege gelegt bekommen, manche wurden auf dem Weg verwöhnt.
Wie würden Sie Ihren eigenen Weg bezeichnen?
Petersen: Ich hatte das Glück, mir viel zu erarbeiten. Natürlich war ich oft auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort, habe aber unter dem Strich nie damit gerechnet, nochmal diesen Weg zum Profifußball zu finden. Ich habe bis zur B-Jugend noch bei meinem Heimatverein gespielt und mit 18 Jahren in der 3. Liga auf der Bank gesessen. Da bin ich nicht davon ausgegangen, dass ich nochmal ein Länderspiel mache, bei Olympia spiele und über 100 Bundesligaspiele mache. Mir wurden Disziplin und Geduld in die Wiege gelegt - am Ende wohl die ausschlaggebenden Punkte, dass ich diesen Weg gehen durfte.
Das klingt so, als seien Sie im Reinen mit Ihrer Karriere.
Petersen: Die Frage nach dem "Was-wäre-wenn", die andere vielleicht gerade beim Thema FC Bayern immer wieder erwähnen, stellt sich mir nicht. Damit fange ich gar nicht erst an. Ich bin einfach nur dankbar, dass ich so gut durch die Karriere gekommen bin. Klar gibt es jene, die sagen, dass es bei mir nach der Zeit bei Bayern bergab gegangen sei. Aber das musste es ja auch, schließlich war ich mit Bayern schon fast ganz oben. Viel weiter hinauf geht es nicht mehr.
Der ganz große Wurf gelang Ihnen mit den Bayern aber nicht. Vizemeister, das traumatische "Finale dahoam", Finalniederlage im DFB-Pokal. Ihr erstes und einziges Jahr in München war ausgerechnet dieses für Bayern-Verhältnisse so seltene Vize-Jahr. Konnten Sie sich trotzdem darüber freuen, es überhaupt an die Säbener Straße geschafft zu haben?
Petersen: In den Momenten war ich natürlich enttäuscht und wollte auch keine Aufmunterung. Als Fußballer willst du Titel für deine virtuelle Visitenkarte gewinnen, um sagen zu können "Ich hab's geschafft und bin Deutscher Meister geworden". Es ist ja fast komisch, dass die Bayern seit ich weg bin in jedem Jahr Meister geworden sind. Von Tag zu Tag, von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr bin ich aber immer stolzer auf diese Zeit geworden. Ich habe einen Treppenaufgang, da hängt meine Silbermedaille von der Champions League und da schaue ich jedes Mal trotzdem voller Stolz hin.
Ab welchem Zeitpunkt war Ihnen klar, dass es beim FC Bayern für Sie nicht mehr weitergehen würde?
Petersen: Schon mit der Verpflichtung von Mario Mandzukic im Sommer 2012 war für mich klar, dass ich für Bremen ein guter Stürmer bin, aber es für die Bayern nicht reichen wird. Nach dem Triple sind auch Jupp Heynckes und Co-Trainer Peter Hermann gegangen, die beide meine Befürworter waren und mich überhaupt erst geholt hatten. Dann kamen Pep Guardiola und Matthias Sammer und ich bekam über den Berater schon mit, dass ich nicht mehr so gefragt war und nicht unbedingt nach München zurück muss. Ich habe das in München ein Jahr genießen dürfen, aber noch ein Jahr mit vielleicht zehn oder zwölf Spielen war für mich keine Option. In Bremen Stürmer Nummer eins zu sein und 34 Spiele zu machen, war eher meine Welt.