Im zweiten Teil des Interviews mit SPOX und DAZN spricht Bosz über die Gespräche mit Cruyff, dessen Einfluss auf seine Fußballphilosophie und das Für und Wider seiner Spielweise. Bosz äußert sich zudem zu seiner Zeit bei Ajax Amsterdam und beim BVB, spricht über die Arbeit mit seinem Sportpsychologen und welche Bedeutung Musik für ihn hat.
Hier geht's zum ersten Teil des Interviews mit Peter Bosz. Dort spricht Bosz über seine prägenden Auslandsstationen als Spieler, die ersten Gedanken an eine Trainerkarriere im Alter von 16 Jahren und sein uraltes, bis heute existierendes Notizbuch.
Herr Bosz, ein anderer großer Trainer neben Rinus Michels oder Wim Jansen, der Sie beeinflusst hat, war Johan Cruyff. Was ist Ihre erste Erinnerung an ihn?
Peter Bosz: In Holland war und ist er der Größte. Jemanden wie ihn hatten wir Anfang der 1970er Jahre noch nie gesehen. Nach seiner Rückkehr nach Holland mussten mein Bruder und ich unbedingt seine Spiele sehen. Mein Bruder war verrückt nach Ajax, nach Cruyff und auch nach Marco van Basten. Wir haben uns also immer dann Karten gekauft, wenn ich selbst nicht spielen musste. Als Kind habe ich ihn vorher schon gesehen, aber mit 18 oder 19 Jahren hatte ich noch einen anderen Plan vom Fußball.
Sie haben auch zusammen mit Freunden aus Apeldoorn Artikel und Interviews von Cruyff aus Zeitungen ausgeschnitten und sie in einem Album gesammelt. Wann fing das an?
Bosz: Das war auch zu dieser Zeit. Er war damals nur noch ein Jahr Spieler, ehe er Trainer bei Ajax wurde. Das war auch speziell: Wie er mit seinem Torhüter gespielt, wie er Druck nach vorne entwickelt, wie er seinen Mittelfeldspieler eingesetzt hat - das war alles neu in Holland. Wir haben alles gesammelt, was er über Fußball gesagt hat und es in Rubriken unterteilt: Jugendfußball, Offensivfußball, Konditionstraining und so weiter.
Was haben Sie als Erstes vom Trainer Cruyff mitgenommen?
Bosz: In der Jugend ohne Rückendeckung zu spielen. Denn nur so lernen die Spieler, dass ein Fehler zu einem Tor führen kann.
Im Jahr 2016 waren Sie Trainer bei Maccabi Tel Aviv. Dort war Cruyffs Sohn Jordi Sportdirektor und Sie lernten Johan Cruyff kennen. Erzählen Sie!
Bosz: Ich habe ihm zuvor schon einmal in Barcelona die Hand geschüttelt, aber dass wir so richtig lange Zeit hatten, über Fußball zu reden, das war in Tel Aviv. Es war aufregend. Er käme bei jedem Training vorbei, hat Jordi gesagt, weil sein Vater nicht den ganzen Tag mit seiner Mutter im Hotel bleiben wollte. (lacht) Und dann war er wirklich jeden Tag dabei und wir haben danach bei Kaffee oder beim Essen über Fußball gesprochen. Ich habe mich gefreut wie ein Kind.
Sie sagten einmal, Sie seien vor dem ersten Training, das Cruyff damals beobachtete, sehr nervös gewesen. Welche Inhalte hatte diese Einheit schließlich?
Bosz: Ich wollte natürlich, dass das Training super wird, aber das war unnötig. Cruyff war so lieb und so normal. Er war nicht kritisch, er wollte nur seinen Sohn sehen und über Fußball reden. Ich hätte also gar nicht nervös sein müssen.
Was war letztlich das Wichtigste, das Sie aus den damaligen Gesprächen mit Cruyff mitgenommen haben?
Bosz: Dass mein Co-Trainer Hendrie Krüzen und ich auf dem richtigen Weg waren. Wir sind seit 20 Jahren zusammen und wollen unseren Fußball spielen. Da ist die Bestätigung von jemandem wie Cruyff natürlich besonders. In den Gesprächen habe ich mich darauf beschränkt, zuzuhören. Ich wollte wissen, was er zu sagen hat, ihn einfach reden lassen und später mit Hendrie analysieren. Am Ende waren es aber die einfachen Ansichten und Worte, die uns weitergeholfen haben. Aussprüche wie: Wenn man ein Tor machen will, muss man schießen. Klar muss man das, aber es geht darum, nicht noch einmal und noch einmal breit zu spielen. Schießen! Cruyff sagte auch: Den einfachen Fußball zu spielen, ist die größte Herausforderung.
Wie sehr hat es Sie getroffen, dass Cruyff ein paar Tage nach seinem Besuch in Tel Aviv gestorben ist?
Bosz: Ich habe davon im Radio erfahren und bin erschrocken. Er hat mit uns sehr offen über seine Krankheit geredet, aber ich wusste nicht, dass er so krank war. Er war stattdessen immer positiv, das war unglaublich.
Ihre Spielphilosophie ist sehr an Cruyff angelehnt. Was gefällt Ihnen an diesem offensiven Geist so sehr?
Bosz: Es gibt so viel Fußball im Fernsehen, deshalb möchte ich, dass die Leute bei einem Spiel von Bayer 04 sagen: Jetzt müssen wir gucken, das kann interessant werden! Wenn ich Fußball sehe, dann will ich überrascht werden, mich freuen und Spaß haben. Die Leute bezahlen sehr viel Geld, um ein Spiel im Stadion anzuschauen. Deshalb müssen sie auch begeistert werden - und das versuchen wir. Es bleibt immer das wichtigste, das Spiel zu gewinnen, aber das kann man auf verschiedene Weisen tun. Und unsere muss besonders attraktiv sein.
Wäre es einem Leverkusen-Fan, der mal wieder einen Titel feiern möchte, nicht egal, wie seine Mannschaft spielt - Hauptsache, sie gewinnt?
Bosz: Es ist doch auch möglich, Titel zu gewinnen und attraktiv zu spielen. Daran glaube ich fest, dafür gibt es genug Beispiele. Und diese Titel bleiben im Gedächtnis der Menschen.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie eine Mannschaft übernehmen: Wie bringen Sie Ihren Plan konkret an die Spieler?
Bosz: Das Training ist natürlich sehr wichtig, aber auch Feedback mittels Videoanalysen. Gerade am Anfang geht es sehr viel um Theorie. Immer kurze Sequenzen, vielleicht zehn Minuten lang, weil sich Fußballspieler nicht so lange wie Studenten konzentrieren können. In diesen zehn Minuten erklären wir unsere Spielprinzipien. Früher habe ich immer erst die defensiven und dann die offensiven Prinzipien behandelt. Heute nehme ich die jeweils zwei wichtigsten von Defensive und Offensive, zudem das Umschalten. Und dann kommt immer noch ein bisschen mehr dazu. Nach sechs Wochen müssen alle Spieler wissen, wie wir spielen.
Sie fordern bei Ballverlust ein sofortiges Gegenpressing der gesamten Mannschaft. Wie schwierig ist es, den Spielern den Instinkt abzugewöhnen, sich nach einem Ballverlust erstmal fallen zu lassen und das Tor abzusichern?
Bosz: Das benötigt Zeit und Training. Manchmal dauert es länger, aber es ist immer möglich. In Leverkusen war es ziemlich einfach, die Spieler von dieser Spielweise zu überzeugen. Am Ende haben die Spieler Spaß, wenn sie Spaß an ihrer Spielweise haben. Vielleicht braucht man ein oder zwei Jahre und den einen oder anderen neuen Spieler, um das ganze Konstrukt umzubauen. Das sieht man ja auch bei anderen Klubs.
Sie sagen selbst, dass der Raum hinter der Abwehr offenliegt, wenn die Spieler den Plan nicht konsequent umsetzen. Ist es denn nicht auch utopisch, dass dies jedem Spieler in jeder Partie über 90 Minuten gelingt?
Bosz: Das stimmt. Fehler gehören dazu, sonst wäre das Spiel steril. Wir versuchen, diese Fehler beim Gegner zu forcieren. Wenn wir 60, 70 oder sogar 80 Prozent Ballbesitz haben, müssen wir nur 40, 30 oder 20 Prozent gegen den Ball arbeiten. Das ist einfacher, als 80 Prozent gegen den Ball zu arbeiten. Wenn wir seltener den Ball verlieren, müssen wir auch weniger laufen. Gehen die Laufdaten zurück, sind wir also nicht konditionell schwächer, sondern wir spielen besser. Wenn wir gut im Ballbesitz sind und der Gegner viel laufen muss, schwindet am Ende auch dessen Kraft, die Konter auszuspielen und hinter unsere Kette zu laufen.
Wenn Sie mit Ihren Teams einmal zwei, drei Spiele lang nicht gewinnen, heißt es immer, die offensive Spielweise sei schuld. Wie ermüdend ist das für Sie?
Bosz: Am Anfang war es das, aber jetzt nicht mehr. Kritik gehört dazu.
Peter Bosz: Seine Trainer-Bilanz in Deutschland
Verein | Spiele | Siege | Unentschieden | Niederlagen |
Borussia Dortmund | 24 | 8 | 6 | 10 |
Bayer Leverkusen | 31 | 16 | 5 | 11 |