Die Bundesliga in Zeiten von Geisterspielen: Die Atmosphäre eines Kreisligaspiels - nur der Rentner fehlt

Von Sascha Staat
Die Bundesliga spielt vor leeren Rängen.
© imago images

Die Bundesliga meldete sich am Samstag nach langer Coronapause wieder zurück. Zwar konnten alle angesetzten Spiele planmäßig ausgetragen werden, die Öffentlichkeit durfte am Geschehen aber nicht teilhaben. Auch in naher Zukunft wird sich daran wohl nichts ändern. Ein Erfahrungsbericht.

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Zigtausende strömen bei Heimspielen von Borussia Dortmund normalerweise in Richtung des Stadions. Schon Stunden zuvor belagern sie die Bier- und Würstchenbuden, schnacken mit ihren Freunden und Kollegen an ihren üblichen Treffpunkten und fachsimpeln über das, was sie später noch erwarten wird. Sie tragen die Trikots ihrer Lieblingsspieler, ihnen hängen Schals um den Hals, sie singen sich warm.

Doch diesmal ist das anders, ausgerechnet beim Duell mit Schalke 04, dem Derby schlechthin. Keine Staus auf dem Weg zum Stadion, keine Menschenmassen bei den Einlasskontrollen.

"Es hat schon etwas surreales, wenn Du in den letzten zwei Stunden vor Anpfiff aus aller Welt SMS bekommst, dass die Leute heute vor dem Fernseher sitzen und dann fährst Du durch Deine Stadt und es ist überhaupt nichts los. Das ist schon gewöhnungsbedürftig", beschreibt BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke die spezielle Situation.

Besonders auffällig ist es, in unmittelbarer Nähe des Herzstücks deutscher Fußballkultur, der Südtribüne. Am Eingang finden sich fünf Ordner wieder, dazu ein Polizeiwagen mit wenigen Beamten. Ein Jogger kreuzt den Weg, ein Radfahrer. Von Fußballstimmung, gar von Derbyfieber ist nichts zu spüren.

BVB-Sportdirektor Zorc: "Da blutet einem das Herz"

Auch an der Nordseite des Fußballtempels halten sich die Schlachtenbummler in Grenzen. Nur wenige sind dort gut eine Stunde vor Anpfiff der Partie zu finden. Auch hier dominieren die Ordner und die Polizei die Szenerie, dazu gesellen sich einige Journalisten. Sie fangen ein Bild ein, das es so noch nie gegeben hat. "Da blutet einem das Herz", hatte Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc im Vorfeld verlauten lassen. Und das ging sicherlich sehr vielen so.

Auch für die Journalisten ist alles anders, denn die besonderen Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Von den ursprünglich rund 200 Medienvertretern, die im Unterrang der Osttribüne normalerweise Platz nehmen, sind nur noch zehn übriggeblieben. Dazu kommen die TV- und Radio-Kommentatoren sowie wenige, sehr sorgfältig ausgewählte Personen, die an der Produktion des Fernsehsignals beteiligt sind.

Der Weg dorthin? Sonst immer ziemlich simpel. Parken wenige hundert Meter vom Eingang entfernt, Scannen der Akkreditierung, kurze Kontrolle der Taschen und rein geht's ins Medienzentrum. Aber wer zum Derby will, der muss flexibel sein. Parken direkt hinter der Gegentribüne, davor die Übergabe der Tageskarte. Kurios mutet es spätestens an, als die Körpertemperatur gemessen wird. Wer die 38 Grad erreicht oder gar überschreitet, der muss draußen bleiben.

Dazu hat die DFL noch ein Formular erstellt. Wer es unterschreibt, versichert, dass er zuletzt keinen Kontakt zu mit Corona infizierten Personen hatte und sich in den in den vergangenen 14 Tagen nicht in einem Risikogebiet aufgehalten hat. Die unwirkliche Atmosphäre ist endgültig komplett, als sich die Spieler aufwärmen. Die Musik vom Band singt niemand mit und auch Stadionsprecher Norbert Dickel hält sich bei seinen Ansagen emotional merklich zurück, selbst später bei den Toren.

BVB vs. S04: Die Atmosphäre eines Kreisligaspiels

Das Gefühl schleicht sich ein, dass dort unten gleich ein Kreisligaspiel beginnen wird. Da steht aber wenigstens immer der eine Rentner am Rand, der nichts unkommentiert und an den Spielern eher selten ein gutes Haar lässt. Er fehlt, genauso wie die Atmosphäre, die den Fußball ausmacht. Auch Vorfreude strahlt niemand aus. Der Moment, als die Spieler auf das Feld laufen, ihm fehlt das Knistern.

Als der Anpfiff endlich ertönt, da kehrt zumindest ein Funken Normalität ein. Das liegt vor allem an Borussia Dortmund, die Favre-Elf spielt ziemlich ansehnlich, bietet teilweise Zauberfußball. Aber es bleibt besonders, denn als Mahmoud Dahoud seine Mitspieler mit einem lauten "Rück vor!" zum Pressing auffordert, hört man es bis oben auf die Tribüne. Er ist vielleicht das Paradebeispiel dafür, wie sich das Spiel ohne Fans verändert.

Die Spieler wirken fokussiert, wie im Tunnel. Ihnen scheint das leere Stadion nicht viel auszumachen. "Für manche ist das vielleicht sogar ganz gut", sagt Roman Bürki hinterher und spielt damit auf den Druck an, den sonst 80.000 Menschen schnell ausüben können. Als der historische Kick zu Ende ist und die BVB-Spieler vor der leeren Südtribüne den Kantersieg mit einer La Ola feiern, ist das surreale Bild endgültig perfekt. Aber es passt, denn es ist eben kein Tag wie jeder anderer.

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