Während die meisten Profi-Klubs massive Verluste durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie befürchten und daher derzeit kaum mit Spielern verhandeln, handelt der deutsche Rekordmeister antizyklisch und verlängert mit einem Leistungsträger nach dem anderen.
Dass die Münchner die alte Börsenweisheit befolgen, gerade in der Krise zu investieren, dürfte Ex-Präsident und Aktien-Fan Uli Hoeneß mit Stolz zur Kenntnis nehmen. Ebenso, dass der von ihm auserkorene neue Hoffnungsträger Oliver Kahn nach kurzer Zeit im Vorstandsamt bereits das Heft des Handelns in die Hand genommen hat.
FC Bayern und Manuel Neuer bleiben zusammen: Das sind die Gründe
Für die am Ende unerwartet geräuschlose Einigung mit Manuel Neuer gab es auch mehrere stichhaltige Argumente - vor allem für den Kapitän:
1. Guter Kompromiss
Beide Seiten ist mit dem neuen Vertrag bis 2023 offenbar die von Neuer angemahnte "Win-win-Situation" gelungen, bei der jeder sein Gesicht wahrte. Die Bayern mussten nicht von ihrer internen Vorgabe abweichen, mit Spielern über 30 Jahren nicht mehr als zwei Jahre zu verlängern und sind somit trotz des Alters ein kalkulierbares Risiko eingegangen (Neuers alter Kontrakt lief noch bis 2021). Umgekehrt hat der 34-Jährige eine klare Perspektive bis ins für einen Profi hohe Alter von 37.
Und sein bisheriges Gehalt von angeblich rund 15 Millionen Euro pro Saison wurde nochmal auf geschätzt 17 bis 18 Millionen erhöht. In beiden Punkten trafen sich die Parteien also offenbar in der Mitte, schließlich soll Neuer zunächst einen Vertrag bis 2025 und ein Salär von 20 Millionen Euro gefordert haben - auch wenn sein Berater Thomas Kroth die konkreten Zahlen dementierte.
2. Koan Maulwurf
Noch vor rund einem Monat hatte sich Neuer in einem Bild-Interview öffentlich über seine angeblich gezielt an die Presse lancierten Forderungen beschwert (die obendrein noch falsch seien). Zumal schon zuvor mehrfach Interna aus den Verhandlungen publik geworden waren, was den Keeper dem Vernehmen nach schwer verärgert hatte. Verantwortlich für die Indiskretionen machte seine Seite relativ offen Hasan Salihamidzic, auch ohne ihn beim Namen zu nennen. Der Sportdirektor bestreitet diesen Verdacht nach wie vor.
Immerhin gelang es aber, relativ schnell und auch geräuschlos zur Tagesordnung zurückzukehren und schon zwei Tage später die Gespräche wieder aufzunehmen. Was auch daran lag, dass der FC Bayern auf eine empfindliche Geldstrafe verzichtete, obwohl der Routinier mit dem Interview am Verein vorbei gegen seine Vertragspflichten verstoßen hatte. Und danach wurde Neuers Bedingung, dass die Einigung nicht erneut vorher an die Medien durchgesteckt werden dürfe, auch erfüllt.
3. Option auf weitere Jahre
Sofern man den Informationen aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen glauben darf, wurde Neuer die Unterschrift mit einer Option auf eine Verlängerung schmackhaft gemacht. Sollte der Weltmeister und Champions-League-Sieger also seine momentane Topform auch in drei Jahren noch zeigen, dürfte das Karriereende zum Nutzen aller Beteiligten über 2023 hinaus aufgeschoben werden.
Der Ex-Schalker ist jedenfalls überzeugt, dass auch er wie so viele erfolgreiche Torhüter bis an die 40 spielen kann, zumal er seine lange Zwangspause aufgrund eines Mittelfußbruchs in der Saison 2017/18 quasi als zusätzliches Jahr obendrauf rechnet.
Gute Beispiele gibt es genug: Jens Lehmann stand mit 38 Jahren mit Deutschland im EM-Finale 2008, Andy Köpke spielte mit 36 Jahren die WM 1998 und hörte erst drei Jahre später auf, Uli Stein war mit 42 Jahren der zweitälteste Spieler der Bundesliga-Geschichte und Italiens Torwart-Idol Gianluigi Buffon steht im gleichen Alter aktuell noch bei Juventus Turin unter Vertrag.
4. Fürsprecher Kahn
"Ich kann mich sehr gut in die Situation, in der sich Manuel befindet, hineinversetzen", sagte Oliver Kahn nach der Vertragsverlängerung. Kein Wunder, schließlich war der einstige Welt-Torhüter individuell und mit dem FC Bayern nicht nur ähnlich erfolgreich, sondern beendete seine aktive Karriere auch erst 2008 mit 39 Jahren.
Letztmalig verlängerte Kahn bei den Bayern im Dezember 2005 vorzeitig um zweieinhalb Jahre "Nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Entschluss gekommen: Ich bin zu gut in Schuss, um aufzuhören", erklärte der damalige Kapitän. Ein knappes Jahr später wurde der erst 20-jährige Neuer Stammtorhüter bei Schalke 04.
Seitdem schätzen sich beide, so dass Kahn schon vor seiner offiziellen Tätigkeit als Fürsprecher seines Nachfolgers auftrat und ihn erst vor kurzem als "Identifikationsfigur des FC Bayern" bezeichnete.
5. Verlängerung mit Toni Tapalovic
Neuer und Tapalovic kennen sich schon aus der Schalker Jugend, als der Kroate Neuer erstmals als Torwarttrainer betreute. Bei seinem Wechsel 2012 nahm Neuer Tapalovic mit nach München, entsprechend eng ist die Verbindung.
"Ich weiß nicht, ob es in der Bundesliga noch einmal so eine Beziehung bei den Torwarttrainern gibt. Allein ein Blick reicht oftmals aus und wir beide verstehen, was gemeint ist. Das hilft uns auch in gewissen Spielsituationen, wenn man von außen noch den ein oder anderen Tipp mitgeben kann", meinte Tapalovic zur Zusammenarbeit.
In Zeiten des Lockdowns trainierten beide täglich zwei Stunden in Neuers Garten am Tegernsee zusammen. Daher machte Bayerns Nummer eins die Verlängerung seines Vertrauten zu einer Bedingung für den Verbleib: "Mir war wichtig, weiterhin mit unserem Torwart-Trainer Toni Tapalovic arbeiten zu können. Da dies nun geklärt ist, sehe ich mit großem Optimismus in die Zukunft", wurde Neuer in der Pressemitteilung zitiert.
6. Verlängerung mit Hansi Flick
Auch die Verlängerung mit dem Nachfolger von Niko Kovac bis 2023 war entscheidend für Neuer, für den die sportlichen Perspektiven laut eigener Aussage wichtiger für die Verlängerung waren als die finanziellen Fragen. Mit Flick sieht er die Münchner bereit, in den nächsten Jahren auch international wieder anzugreifen.
"Hansi ist ein super Trainer. Darum war seine Vertragsverlängerung für mich auch ein Signal", erklärte der Torhüter, der den Trainer schon aus den erfolgreichen Zeiten beim DFB inklusive der WM 2014 bestens kennt. Wobei er sich der Rückendeckung Flicks, der ihn mehrfach als klare Nummer eins bezeichnet hatte, auch nach der Verpflichtung von Alexander Nübel sicher sein kann.
7. Mangel an Alternativen
Zu Neuers Karriereplan gehörte ohnehin nie eine Station im Ausland, zumal er sich sportlich und privat in Bayern wohl fühlt. Aktuell gibt es aber auch keinen Topklub, der akut Bedarf auf der Torwartposition hat und in der aktuellen Situation über die nötigen Mittel verfügt.
Einzig der FC Chelsea soll loses Interesse signalisiert haben, noch aber steht der für 80 Millionen verpflichtete Spanier Kepa dort unter Vertrag und sportlich wären die Londoner für Neuer auch keine Verbesserung gewesen.
8. Finale Dahoam
In einem Interview mit dem vereinseigenen TV-Sender hat Neuer die Vergabe des Champions-League-Finales 2022 in die heimische Allianz Arena als weiteren Grund für seine Verlängerung bekanntgegeben.
Offenbar sinnt Neuer auf Wiedergutmachung für die bittere Niederlage gegen Chelsea im ersten Finale Dahoam 2012. Seinerzeit war der Nationaltorwart nach seinem Wechsel aus Schalke äußerst unfreundlich von den Bayern-Fans empfangen worden, u.a. mit "Koan Neuer"-Plakaten. Durch seine herausragenden Leistungen konnte er danach aber viele Kritiker überzeugen und hatte maßgeblichen Anteil am Einzug ins Endspiel, in dem er im letztlich verlorenen Elfmeterschießen sogar selbst als Schütze antrat und traf.
Immerhin gelang dem am Boden zerstörten Klub auch dank Neuer danach die Wende: Mit dem historischen Triple 2013 und insgesamt sieben deutschen Meisterschaften in Folge. Nach Neuers Wunsch soll es so weitergehen.