Die Statistiker feuerten am Sonntagabend aus allen Rohren. Marcel Schmelzer hatte ein Tor geschossen! Nicht etwa im Training, sondern in einem echten Pflichtspiel. Wer das breite Grinsen in Schmelzers Gesicht nach seinem Treffer zum zwischenzeitlichen 5:1 beim SC Paderborn 07 sah, der konnte sich nur mitfreuen - und zugleich sehen, was er dem Urgestein von Borussia Dortmund bedeutete.
Erstmals seit dem 21. September 2013 konnte eine Anzeigetafel mal wieder den Namen Schmelzer einblenden. Kein Dortmunder hat in der Bundesliga jemals länger zwischen zwei Toren gewartet. Nun steht sein Konto im deutschen Oberhaus bei drei und eine Premiere gab's noch dazu: Im 365. Profispiel für den BVB verbuchte Schmelzer zum ersten Mal zwei Torbeteiligungen in einer Partie. Vier Minuten zuvor hatte er Achraf Hakimis 4:1 aufgelegt.
Diese 2444 Tage oder 9359 Spielminuten Wartezeit waren daher gerade in den sozialen Medien Anlass genug, Schmelzers gnadenlose Effektivität hervorzuheben. Alle 11,5 Minuten eine Torbeteiligung, hieß es da zum Beispiel. Hochgerechnet auf 90 Minuten bedeutet das, Schmelzer schießt in dieser Saison 3,21 Tore pro Spiel - Erling Haaland kommt da nur auf läppische 1,18 Buden. Oder, die bissige Variante unter Dortmunder Fans: Seit dem 8. März kommt Schmelzer auf genauso viele Tore wie der FC Schalke 04.
Marcel Schmelzer: Sportliche Situation unter Favre verheerend
"Marcel Schmelzer ist schon seit einigen Wochen auf einem guten Weg, man merkt das im Training und auf dem Platz. Seine Leistung war sehr, sehr gut. Ein Tor, ein Assist - ich bin sehr zufrieden mit ihm. Es freut mich sehr für ihn, er macht einen guten Eindruck", lobhudelte auch Trainer Lucien Favre, der für individuelle Lobhudeleien eigentlich nicht bekannt ist.
Man muss kein Prophet sein: Die vielen warmen Worte, die der Linksverteidiger von seinem Coach oder den Beobachtern sowie Fans im Internet erhielt, werden Schmelzer sicherlich sehr erfreut haben. Doch auch wenn Schmelzer von Favre in drei der vier Bundesligapartien seit dem Neustart der Liga eingewechselt wurde, bleibt seine sportliche Situation unter dem Schweizer verheerend.
Daher kam am Sonntag Favres Rückblick auf Schmelzers bisherigen Saisonverlauf auch reichlich verkürzt daher: "Er war leider mehrmals unnötig verletzt, aber jetzt ist er seit drei, vier Wochen im Training. Und er hat sehr gut trainiert - und heute auch gut gespielt," sagte der 62-Jährige.
BVB-Freigabe verweigert: Schmelzer wählt deutliche Worte
Richtig ist, dass Schmelzer gegen Ende des letzten Jahres von einer Zerrung und später einem Muskelfaserriss mehrere Wochen zurückgeworfen wurde. Dass dadurch seine Chancen auf regelmäßige Einsätze gesunken seien, lässt sich anhand von ganzen vier Spielminuten in der Hinrunde allerdings nicht behaupten.
Hakimi, Raphael Guerreiro, im Vorjahr noch Abdou Diallo - sie alle ließ der Coach eher ran als Schmelzer, der bereits in der ersten Favre-Saison lediglich 13 Pflichtspiele absolvierte. Und auch jetzt bleibt fraglich, ob Schmelzer für seine angesprochenen Trainingsleistungen belohnt worden wäre, würden wie gewohnt nur drei Wechseloptionen bestehen.
Es überraschte daher höchstens die Deutlichkeit, die Schmelzer in seinen Worten wählte, als er Anfang des Jahres im kicker erstmals seit der Rückgabe der Kapitänsbinde im Mai 2018 wieder öffentlich sprach. "Sehr enttäuscht" sei er gewesen, dass ihm der BVB im vergangenen Sommer keine Freigabe erteilt habe. "Weil ich damals schon das Gefühl hatte, dass ich kaum Einsatzchancen erhalten würde. Und so kam es ja auch ...", sagte Schmelzer.
Schmelzer und der besondere Moment in Gladbach
Der ehemalige Magdeburger, seit 2005 in Dortmund, hatte sich bereits mit einem ausländischen Klub auf einen Wechsel verständigt, wo er parallel zum Trainings- und Spielbetrieb auch seine angestrebte Karriere als Coach auf den Weg hätte bringen können. Diese Doppelfunktion sei für ihn "fast der wichtigste Punkt in den Gesprächen" gewesen.
Ein paar Wochen zuvor stand Schmelzer in Mönchengladbach vor der mit vielen tausend BVB-Anhängern gefüllten Gästekurve. Das Wunder blieb damals aus, Dortmund zog am 34. Spieltag nicht mehr an Tabellenführer FC Bayern vorbei. Die Fans skandierten wie schon eine Woche zuvor nach dem Heimspiel gegen Düsseldorf Schmelzers Namen. Das Gespür derjenigen, die ihn in den Jahren zuvor auch häufig kritisierten, war Balsam für seine Seele: "Es war ein unheimlich emotionaler Moment für mich. Wahrscheinlich einer der schönsten in meinem sportlichen Leben."
Der effektive Kurzeinsatz in Paderborn könnte für Schmelzer nun der emotionale Abschluss dieser Saison sein - und sollte es auch, wenn in den restlichen fünf Spielen nicht sogar noch weitere Torbeteiligungen hinzukommen, für seine Zeit beim BVB bedeuten. Zwar soll es der Verein dem 32-Jährigem selbst überlassen, ob er seinen bis 2021 laufenden Vertrag erfüllt oder nicht, eine weitere Saison als Dauerreservist erscheint jedoch mehr als widersinnig.
Schmelzer-Wechsel mehr als wahrscheinlich
"Der Fokus liegt auf dem kommenden Sommer", blickte Schmelzer im Januar voraus. "Wenn sich bis dahin an meiner Situation in Dortmund nichts geändert haben sollte, würde ich gerne ins Ausland wechseln, noch mal etwas Exotisches machen."
Geändert hat sich beileibe nichts, ein Wechsel ist daher mehr als wahrscheinlich. Man möchte dem verdienten Borussen nach 15 Jahren in Dortmund daher zurufen: Geh' und komm' bald wieder. Denn es wäre mehr als schade, wenn Schmelzer in Zeiten von Geisterspielen auf den ihm zustehenden Abschied vor der Südtribüne verzichten müsste.
Doch in diesem Fall werden sich die Dortmunder Verantwortlichen sicherlich etwas einfallen lassen - und die Zeremonie schnellstmöglich nachholen, wenn wieder Zuschauer im Stadion zugelassen werden.
Marcel Schmelzer: Die Leistungdaten seiner BVB-Karriere
Wettbewerb | Pflichtspiele | Tore | Assists |
Bundesliga | 256 | 3 | 23 |
DFB-Pokal | 35 | 2 | 0 |
Champions League | 44 | 1 | 7 |
Europa League | 26 | 1 | 4 |