Auch wenn Werder Bremen mit viel Glück den Bundesliga-Klassenerhalt gesichert hat und das vermutlich auch dem 1. FC Nürnberg eine Etage tiefer gerade so gelingen wird: Das Scheitern des Hamburger SV, der wirtschaftliche und sportliche Absturz von Schalke 04, der Zweitligaabstieg von Dynamo Dresden und die Ansammlung ehemaliger Deutscher Meister in der finanziell desaströsen dritten Liga haben die Diskussionen um die Zukunft der sogenannten Traditionsvereine neu entfacht.
Ein Kernproblem, das all diese Klubs haben: Aufgrund der heimatlichen Verwurzelung sind sie zwar in ihrer Region meist die klare Nummer eins, haben aber wegen des oft anhaltenden sportlichen Misserfolgs darüber hinaus wenig bis keine Strahlkraft. Deshalb haben der VfB Stuttgart, Eintracht Frankfurt oder der 1. FC Nürnberg deutschlandweit kaum Fans - es sei denn, sie kommen aus dieser Gegend oder sind so alt, dass sie sich noch an längst vergangene Erfolgszeiten erinnern können (zum Beispiel beim 1. FC Köln an das Double vor 42 Jahren). In allen Bundesländern eine mehr als überschaubare Anzahl an Fans haben im Grunde nur der FC Bayern und Borussia Dortmund.
Ein Negativbeispiel in allen Bereichen war bislang Hertha BSC: Die Berliner fristen national und erst recht international im Vergleich zu Teams aus anderen Metropolen ein Schattendasein. Selbst in der eigenen Stadt ist der Verein nicht die unumstrittene Nummer 1, im Osten dominiert klar der Lokalrivale Union.
Neben der Tatsache, dass zahlreiche Zugezogene in der Hauptstadt (Schwaben!) treu zu ihren Heimatvereinen stehen, leidet Hertha noch immer unter den Folgen der 1980er-Jahre, als die Mannschaft sogar in der Berliner Oberliga kickte und sich junge Fußballfans erfolgreicheren Vereinen wie dem FC Bayern und Borussia Dortmund zuwendeten. Das hat sich seit der Bundesliga-Rückkehr 1997 nur teilweise geändert. Echte Erfolge blieben aus - die beiden einzigen Meistertitel gewann Hertha 1930 und 1931.
Hertha BSC: Ende 2018 noch 123 Millionen an Verbindlichkeiten
Da der Verein den großspurigen Visionen vom "schlafenden Riesen" und von der "Meisterfeier am Brandenburger Tor" auch in diesem Jahrtausend keine Taten folgen ließ und sogar zweimal abstieg, gab es nie einen Hertha-Hype in der Hauptstadt. Auch weil jahrzehntelange Misswirtschaft keine großen Sprünge erlaubte. Noch Ende 2018 wiesen die Berliner laut der Wirtschaftswoche ein nicht durch Eigenkapital gedecktes Defizit von 109,8 Millionen Euro auf, die Gesamtverbindlichkeiten beliefen sich sogar auf 122,4 Millionen Euro. Im Gegensatz zur Stadt, die laut des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit angeblich "arm, aber sexy" sei, war die Alte Dame arm und unsexy.
Doch seit vergangenen Sommer ist bekanntlich alles anders. Da erschien der weiße Ritter in Person des Unternehmers Lars Windhorst, einem der reichsten Deutschen, auf der Bühne. Seitdem steckte der gebürtige Ostwestfale mit seiner Tennor-Holding unglaubliche 374 Millionen Euro in den Verein, erst kürzlich erhöhte er seine Anteile an der Fußball-KGaA auf 66,6 Prozent (wobei wie von der DFL gefordert weiterhin nur 49,9 Prozent der Anteile Stimmrecht haben.
"Hertha BSC stand wirtschaftlich in seiner Geschichte nie besser da", sagte Präsident Werner Gegenbauer. Und Finanzchef Ingo Schiller erklärte: "Wir haben im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen jetzt Chancen, überhaupt etwas investieren zu können."
Eberl über Hertha BSC: "Der nächste große Player"
Tatsächlich könnte der Klub zum großen Krisengewinner werden. Denn während sich sogar Topteams wie Dortmund, Gladbach oder Frankfurt aufgrund der Corona-Verluste auf dem Transfermarkt zurückhalten müssen, ist Hertha plötzlich reich - und dadurch vielleicht sogar ein bisschen sexy.
Gladbachs Sportdirektor Max Eberl bezeichnete den Abstiegskandidaten der vergangenen Saison bereits als "nächsten großen Player" und künftigen Bayern-Herausforderer, der durch Windhorsts Millionen gegenüber den Konkurrenten "mal eben zehn Jahre in einem Sommer aufholt".
Bereits in der Winterpause setzte der Verein mit den weltweit höchsten Ausgaben für neue Spieler von fast 80 Millionen Euro ein Ausrufezeichen. Angeblich bereits ein Vorgriff auf die neue Saison, mit den jetzt geflossenen Summen sollen demnach laut kicker vor allem Schulden abgebaut werden. Die Sport Bild hingegen will wissen, dass die jüngste Tennor-Tranche von 50 Millionen in Neuzugänge investiert werden wird - auch Eberl rechnet mit der nächsten Transferoffensive.