Freiburgs Entdeckung Ermedin Demirovic im Interview: "Man muss auch mal auf die Schnauze fallen"

Stefan Rommel
29. Januar 202111:58
Ermedin Demirovic mit Coach Christian Streichgetty
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Ermedin Demirovic hat in jungen Jahren schon viel im Profifußball erlebt. Im Interview mit SPOX und Goal spricht Freiburgs Entdeckung der Saison über gute und schlechte Erfahrungen im Ausland, die Widrigkeiten des Geschäfts und seine wohl größte Stärke.

Außerdem erklärt der 22-Jährige seinen Boxer-Torjubel und verrät, welchen Traum er sich unbedingt erfüllen möchte.

Herr Demirovic, glauben Sie an Zufälle?

Ermedin Demirovic: Ja, eigentlich schon.

Wie würden Sie also Ihren Abstecher nach St. Gallen im Rückblick einordnen?

Demirovic: Schon als eine Art glückliche Fügung. Ich habe erst am vorletzten Tag des Transferfensters vom Interesse aus der Schweiz gehört und mir davor in diese Richtung gar keine Gedanken gemacht. Ein Wechsel in die Schweiz war nicht geplant. Ich hatte eigentlich noch mit einem anderen Angebot gerechnet, das dann doch nicht zustande kam.

Und St. Gallen suchte auch eher einen offensiven Mittelfeldspieler und keinen Stürmer.

Demirovic: Richtig. Aber die Gelegenheit war da, die Gespräche waren sehr gut und die Verantwortlichen gaben mir sofort zu verstehen, dass sie mir vertrauen und auf mich setzen wollen. Das hat die Entscheidung am Ende sehr leicht gemacht.

Ihre Zeit in St. Gallen war sehr erfolgreich für Sie und den Klub und endete mit der überraschenden Vizemeisterschaft. Was war da anders als bei Ihren Stationen zuvor in Sochaux, Almeria und vor allen Dingen Alaves?

Demirovic: Die Verantwortlichen und ich hatten von Beginn an eine gemeinsame Ebene. So ein Wechsel passiert ja eigentlich nicht innerhalb von nur zwei Tagen. Nach dem Gespräch mit dem Herrn Zeidler (Trainer beim FC St. Gallen, Anm. d. Red.), der mich noch aus seiner Zeit bei Red Bull kannte, war klar: Da hat sich jemand mit mir befasst, der kannte meine Spielart und wusste, wie ich in das System passen könnte.

Welches dann auch wegen Ihnen auf ein 4-4-2 angepasst wurde, also auf einen zweiten Angreifer neben Cedric Itten.

Demirovic: Es war ursprünglich geplant, mich langsam heranzuführen. Ich sollte mich herantasten und dann nach und nach meine Einsatzzeiten bekommen. Dann hat sich Cedric (Itten, Anm. d. Red.) am ersten Spieltag eine Gehirnerschütterung zugezogen und ich rutschte in die erste Elf. Ich habe dann gleich getroffen und beide Seiten haben gesehen: Das funktioniert sehr gut. Wir hatten eine junge Mannschaft mit einigen Spielern vom Balkan, die mich ganz schnell aufgenommen haben. Das hat keine drei Tage gedauert, bis ich mich pudelwohl gefühlt habe.

Demirovic über seine Zeit bei RB Leipzig

Wiederholt sich dieser enge Kontakt zu einzelnen Spielern nun auch in Freiburg?

Demirovic: Es hat sich schon ergeben, dass ich jetzt auch schon mit einigen Spielern wirklich in engem Kontakt bin. Und wenn ich mich schnell in der Mannschaft einfinde, hilft das auf dem Platz extrem weiter. Der Günni (Freiburg-Kapitän Christian Günter, Anm. d. Red.) hat sich schon vor der Saison bei mir gemeldet, da war ich noch im Urlaub. Das hat mir gezeigt, dass die Mannschaft sich auch auf diesen Wechsel gefreut hat und mir helfen wollte.

Sie haben Peter Zeidler schon erwähnt, einen Trainer aus dem Red-Bull-Kosmos: Gab es damals in Leipzig für Sie gar keine Perspektive beim Übergang von der Jugend in den Profibereich?

Demirovic: Es gab schon einige Gespräche mit den Leipzig-Verantwortlichen, die auch Interesse gezeigt haben. Damals wurde aber die U23 abgeschafft. Es wurde mir angeboten, mich nach Liefering zu schicken. Mit mehreren Spielern aus meiner damaligen Mannschaft wurden Profiverträge abgeschlossen und die Spieler dann verliehen, das war also ein normaler Vorgang. Ich wollte das aber nicht, für mich war das keine Option. Und weil das Interesse bei Leipzig nicht so groß war, haben wir uns für etwas anderes entschieden.

Also sind Sie nach Alaves, dort wurden Sie dann in zwei Jahren drei Mal verliehen. Wieso hat es aus sportlicher Sicht überhaupt nicht funktioniert?

Demirovic: Das ging schon richtig schlecht los, es gab Probleme mit meinen Papieren. Ich war nicht spielberechtigt für die erste Mannschaft, weil sie irgendwas verplant haben mit meiner Spielgenehmigung. Weil sie offenbar dachten, ich hätte einen deutschen Pass. Den habe ich aber nicht. Dann wurde mir am zweiten Spieltag gegen Barcelona gesagt, ich stünde im Kader - um mir dann kurz vor dem Spiel mitzuteilen, dass doch keine Spielberechtigung vorliege. Also durfte ich im ersten halben Jahr gar nicht in der ersten Mannschaft spielen. Die wussten ja, dass ich kein Spanisch spreche, dass ich alleine in eine neue Stadt komme und am Ende gar nicht spielen darf. Das war alles sehr ernüchternd und ich habe wie eine Art Wand aufgebaut um mich herum, ich habe einfach zugemacht.

Ermedin Demirovic ist die Entdeckung der Saison beim SC Freiburg.getty

Demirovic über seinen Wechsel nach Freiburg

Wie ging es weiter?

Demirovic: Nach diesem ersten halben Jahr habe ich ein paar Einsätze bekommen, aber früh genug auch gewusst: Hier möchte ich nicht bleiben. Es gab genug Dinge, die nicht gepasst haben - die ich jetzt aber nicht weiter ausführen möchte. Ich wollte lieber verliehen werden. Deshalb die vielen Vereine in relativ kurzer Zeit.

Wobei die letzte Leihe dann ja fast perfekt lief, zumindest für Sie. Der Klub, der Sie aus- und weitergebildet hat, stand am Ende aber quasi mit leeren Händen da: Die Ablösesumme aus Freiburg wanderte komplett nach Alaves.

Demirovic: Und das tut mir auch im Herzen weh! Ich finde das so schade, dass St. Gallen nicht einen Cent meiner Ablöse einstreichen konnte für die Arbeit, die sie dort geleistet haben. Wir haben noch versucht, eine Einigung zu finden, dass sie mich mitten in der Saison für etwas weniger Geld kaufen - um dann bei einem anderen Angebot selbst finanziell zu profitieren. Aber das ließ sich nicht realisieren. Das tut mir sehr leid für den Verein.

Nun sind Sie in Freiburg. Auch, weil Christian Streich Sie unbedingt haben wollte. Wie war der Austausch vor dem Transfer und was hat Sie am Ende von Freiburg überzeugt?

Demirovic: Der Kontakt war schon früh da, auch andere Klubs waren interessiert. Dann kam die Corona-Zeit. Die Vereine wollten dann Corona abwarten, haben sich zwischenzeitlich nicht wieder gemeldet und auf später vertröstet. Nur Freiburg ist die ganze Zeit mit mir in Kontakt geblieben, hat sich gemeldet, sich bemüht. Ich hatte ein super Gespräch mit Christian Streich und Sportdirektor Klemens Hartenbach und wusste aus meiner Erfahrung mit St. Gallen: Wenn der Trainer mich unbedingt haben will, mir eine Perspektive aufzeigen kann und ich sein Vertrauen spüre, dann entscheide ich mich dafür. Eigentlich war nach dem ersten Kontakt schon klar, dass es Freiburg wird.

Freiburg gilt im Vergleich zu anderen Standorten in der Bundesliga immer als eine Art Biotop. Können Sie das nach ein paar Monaten dort bestätigen oder ist das nur ein schönes Klischee?

Demirovic: Ich kenne mich ja nicht so gut aus bei anderen Bundesligisten. Aber ich glaube tatsächlich, dass es anders ist. Freiburg ist so familiär, alles ist sehr eng beieinander. Als ich zum Beispiel zu Beginn der Saison wenig gespielt habe, war ich trotzdem nie außen vor. Ich habe die Wertschätzung und Wichtigkeit immer gespürt, selbst von direkten Konkurrenten auf meiner Spielposition.

Welche Art Trainer passt eigentlich besser zu Ihnen: Der harte Antreiber oder eher der empathische Typ?

Demirovic: Grundsätzlich brauche ich Vertrauen. Aber ich finde es auch gut, wenn der Trainer der Mannschaft auch mal einen Arschtritt mitgibt. Wenn Dinge kritisch, offen und schonungslos angesprochen werden. Das ist alles besser als Schönfärberei. Die bringt nämlich niemanden weiter. Ich mag es direkt und ich mag es, angetrieben zu werden.

Welche Eigenschaft, die Sie von sich aus mitbringen und nicht unbedingt antrainiert ist, hilft Ihnen im Profi-Fußball am meisten?

Demirovic: Der Wille und die Mentalität, nie aufzugeben. Ich bin kein Schönwetter-Fußballer, der nur glänzen will. Ich gehe an meine Grenzen und will auch in scheinbar aussichtslosen Situationen alles versuchen. Dazu gehört auch der Glaube an mich selbst, wenn andere das vielleicht schon nicht mehr tun.

Ihr Spiel wirkt schon erstaunlich variabel: Sie sind Stoßstürmer, bedrohen aber auch die Tiefe. Sie sind zielstrebig vor dem Tor, übersehen aber auch nicht Ihre Mitspieler. Wie würden Sie sich selbst einordnen?

Demirovic: In der Jugend beim HSV habe ich noch hinter den Spitzen gespielt, vielleicht kommt der Rundum-Blick und das Auge für das Spiel noch aus der Zeit. Ich versuche aber schon auch, sehr direkt zu spielen und den Weg zum Tor zu suchen. Ich bin wohl ein Mix aus allem.

Demirovic: "Deswegen habe ich den Boxer-Torjubel gezeigt"

Auffällig ist auch Ihre aggressive Arbeit gegen den Ball und dass Sie sich in keinem Zweikampf schonen, sondern einstecken und austeilen können.

Demirovic: Ich glaube, das hat auch viel mit meiner Jugend zu tun. Wir wurden so erzogen, dass wir immer mehr machen mussten und uns durchbeißen mussten in verschiedenen Situationen. Deswegen habe ich in der Schweiz auch den Boxer-Torjubel gezeigt. Weil ich mich einfach immer wieder durchboxen musste. Ich lebe auf dem Platz viel Aggressivität aus, vielleicht bin ich nicht gerade der angenehmste Gegenspieler.

Darf man sagen, dass Sie eine gewisse Straßenkötermentalität mitbringen?

Demirovic: Das habe ich noch nie gehört. Was soll das sein?

Dass Sie gelernt haben, mit Rückschlägen und Widerständen umzugehen und auch mal hart gegen sich selbst sein können.

Demirovic: Es ist wichtig, dass man Widerstände überwindet und ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass man auch mal auf die Schnauze fallen muss, um zu lernen. Ich war schon ein paar Mal an einem Punkt, an dem es scheinbar nicht mehr weiterging. Und dann ging es doch irgendwie weiter. Das macht einen wohl nur noch stärker.

Ermedin Demirovic mit Coach Christian Streichgetty

Demirovic: "Wenn ich jetzt von Europa schwärme ..."

Sie haben einen Vierjahresvertrag in Freiburg unterschrieben. Wie sehen Ihre langfristigen Ziele aus?

Demirovic: Darüber mache ich mir ehrlich gesagt gar keine Gedanken. So weit plane ich nicht im Voraus. Ich will mit der Mannschaft den größtmöglichen Erfolg erreichen und mich zum Stammspieler entwickeln.

Und kurzfristig? Man sieht, dass es wegen Corona eine wilde Saison ist oder wird, den großen Klubs fehlt die Konstanz und womöglich fällt die eine oder andere Mannschaft erst noch in ein Leistungsloch. Freiburg hat zwölf Punkte Vorsprung auf Platz 16, aber nur drei Punkte Rückstand auf Platz sechs und wirkt total stabil. Sie waren mit St. Gallen Vizemeister, Sie wissen wie man Überraschungen schafft. Ist ein internationaler Platz Utopie oder ein realistisches Ziel?

Demirovic: Wenn ich jetzt von Europa schwärme, gibt das wohl Ärger im Klub ... Ich glaube, dass wir mit dem Abstieg wohl nicht mehr viel zu tun haben werden. Wir haben eine super Mannschaft mit allen Spielertypen, die man braucht: Die Beißer, die Kreativen, ein paar Kämpfer - das passt alles zusammen. Alle powern sich so aus in jedem Spiel, dass wir die Punkte einfahren. Das steht im Moment über allem. Wenn wir das weiter so durchziehen wie derzeit, werden wir schon noch ein paar Spiele gewinnen.

Den Traum von der Bundesliga haben Sie sich über ein paar Umwege nun erfüllt. Wie sehen Ihre Ziele mit der bosnischen Nationalmannschaft aus?

Demirovic: Es ist ein Riesen-Traum von mir, mein erstes Spiel bei der A-Nationalmannschaft machen zu dürfen. Dann will ich als Stürmer natürlich irgendwann auch das erste Tor schießen. Und das i-Tüpfelchen wäre aber die erfolgreiche Qualifikation für ein großes Endturnier, eine EM oder WM.