VfB Stuttgart spielt mal wieder Game of Cannstatt: Fragen und Antworten zum Machtkampf zwischen Hitzlsperger und Vogt

Filippo Cataldo
05. Januar 202116:59
SPOXgetty
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Vorstandschef Thomas Hitzlsperger will Präsident des VfB Stuttgart werden, obwohl er das laut Satzung womöglich gar nicht darf. Präsident Claus Vogt will einen Datenskandal aufdecken und beschäftigt eine teure und umstrittene Agentur. Treibt der Machtkampf im Ländle nur wieder mal die absurdesten Blüten oder entscheidet sich in Stuttgart sogar, wem der Fußball gehört - SPOX und Goal versuchen, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.

Die entscheidenden Fragen kann (oder will) einem auch bald eine Woche - und einem sorgsam inszenierten Scheinfrieden samt gemeinsamem Tribünenbild und beschwichtigenden Tweets später - rund um den VfB Stuttgart niemand erklären:

  • Warum bewarb sich Vorstandschef Thomas Hitzlsperger um das Amt des Präsidenten des Vereins?
  • Warum um alles in der Welt begründete er diesen selbst für Profifußballverhältnisse absurd anmutenden Griff nach der absoluten Macht mit einem vierseitigen Brief, der einer verbalen Hinrichtung des amtierenden Präsidenten Claus Vogt gleichkam?
  • Und warum setzt der bis dahin allseits beliebte Meisterheld von 2007 nicht nur seinen guten Ruf, sondern womöglich auch eine Funktionärskarriere aufs Spiel?

SPOX und Goal versuchen das Geschehen beim VfB trotzdem einzuordnen.

VfB: Darf Hitzlsperger überhaupt Präsident werden?

Womöglich darf der dafür zuständige Vereinsbeirat Hitzlspergers Kandidatur zu der für März geplanten Wahl gar nicht zulassen. Ganz unabhängig davon, dass das natürliche Ausschlusskriterium für die Personalunion, dass sich der Vorstandsvorsitzende Hitzlsperger dann nämlich vom Präsidenten Hitzlsperger kontrollieren lassen würde, allenfalls mit maximal gedehnten juristischen Winkelzügen aus dem Weg geräumt werden könnte.

Wer Präsident des VfB Stuttgart werden möchte, muss laut §16, Satz 3 bcc der Vereinssatzung "über eine mindestens zehnjährige Erfahrung in wirtschaftlichen Angelegenheiten in einer hohen Managementposition oder in einer vergleichbaren Führungsposition und/oder im aktiven Leistungssport" verfügen. Hitzlsperger kann zwar auf eine zwölfjährige Karriere als Profifußballer zurückblicken, der Meisterheld von 2007 ist aber erst seit 2016 als Funktionär beim VfB aktiv (seit 2019 im Vorstand).

Dabei sorgt vor allem die "und/oder"-Formulierung im Satzungstext für Diskussionen. Der Satz könnte womöglich auch so gelesen werden, dass das "und/oder" das Wort "wirtschaftlichen" im ersten Teil des Satzes durch "aktiven Leistungssport" ersetzen würde und daher nicht die "Führungsposition" maßgeblich wäre. Klar scheint angesichts der aufgeheizten Atmosphäre: Sollte Hitzlsperger nominiert werden, dürften sich Gerichte mit den schwammigen Formulierungskünsten der schwäbischen Satzungsschreiber beschäftigen.

VfB: Wieso tritt Hitzlsperger trotzdem an?

Seriös beantworten kann diese Frage natürlich nur Hitzlsperger selbst. In seinem Brief begründet er die Bürgerkriegserklärung vor allem mit der angeblichen vollumfänglichen Inkompetenz und Profilierungssucht Vogts und seiner Sorge um "die Existenz des ganzen Vereins". Drunter macht er es nicht.

VfB: Wieso tritt Hitzlsperger wirklich trotzdem an?

Seriös beantworten kann diese Frage natürlich nur Hitzlsperger selbst. Vogt verweist in seiner im Ton etwas milderen, in der Sache aber nicht weniger scharfen ebenso vierseitigen Replik auf den Datenskandal, an dem hochrangige Klub-Mitarbeiter beteiligt sein sollen und der die Mitglieder des VfB seit September außer Atem hält.

Die Aufklärung der Affäre habe er "im Namen von 72.500 Mitgliedern zur Chefsache erklärt". Dazu gehörte etwa, dass Vogt das Berliner Beratungsunternehmen Esecon mit der Aufklärung beauftragte. Zusätzlich ermittelt der Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg.

Hitzlsperger hätte die Angelegenheit dem Vernehmen nach lieber intern geklärt und verweist in seinem Brief unter anderem auf die hohen Kosten der externen Agentur, die vom DFB etwa im Zuge der schleppenden Aufarbeitung des Sommermärchen-Skandals mit einer Generalinventur beauftragt wurde. Laut Vogt seien die Kosten aber größtenteils durch eine Versicherung gedeckt.

So oder so: Sehr weit sollen die Esecon-Ermittler bisher nicht gekommen sein. Die von ihnen befragten Funktionäre und Klub-Mitarbeiter sollen größtenteils eine Mauer des Schweigens gebildet haben. 400.000 Euro soll die schleppend verlaufende Aufklärung dem VfB bisher gekostet haben. "Man kann zu dem Eindruck kommen, dass es im und um den VfB Menschen/Personen gibt, die diese Aufklärung nicht wollen. Warum? Das überlasse ich Ihrer Einschätzung", schreibt Vogt.

Ein Duktus, der auch in Städten, die nicht als Hochburgen von Verschwörungstheoretikern gelten, wilde Spekulationen auslösen würde.

VfB: Was hat es mit dem Datenskandal auf sich?

Der kicker deckte im September 2020 auf, dass zwischen März 2016 und Oktober 2018 211.000 Datensätze mit persönlichen Informationen von Mitgliedern von Mail-Accounts von VfB-Mitarbeitern an den PR-Unternehmer Andreas Schlittenhardt geschickt wurden.

Schlittenhardts damalige Agentur war vom VfB mit der PR- und Marketing-Kampagne zur umstrittenen Ausgliederung der Profifußballabteilung beauftragt worden und hatte unter anderem den Slogan "Ja zum Erfolg" erfunden.

Gleichzeitig soll es aber noch eine informellere Zusammenarbeit gegeben haben zwischen dem Klub und der von Schlittenhardt auf Facebook betriebenen Fanseite "Fokus VfB". Dem kicker liegt die Präsentation einer als "streng vertraulich" gekennzeichneten Kampagne mit dem Titel "Glaubwürdiges Guerilla-Marketing - Fokus VfB" vor.

"Dem derzeitigen Anschein nach" seien "die persönlichen Daten unserer Mitglieder unerlaubt weitergegeben und zu deren Täuschung und Beeinflussung genutzt" worden, schreibt Vogt.

Mails von hochrangigen VfB-Mitarbeitern an Schlittenhardt etwa mit der Betreffzeile "Abgleich Facebook-Nutzer" nähren den Verdacht der Wahlbeeinflussung durch illegal weitergegebene Social-Media-Nutzerdaten.

VfB: Worüber streiten Vogt und Hitzlsperger?

Kommunikationschef Oliver Schraft muss wegen seiner mutmaßlichen Rolle in der Affäre derzeit sein Amt ruhen lassen. Vogt soll Schraft, mit kurzer Unterbrechung seit fast 20 Jahren im Klub und ein versierter Strippenzieher im Stuttgarter Kessel, komplett loswerden wollen.

Dagegen wehrt sich jedoch Hitzlsperger. "Ich werde mich brutal für ihn einsetzen", sagte der Vorstandschef bereits vor Wochen.

Schraft soll zwar 2016 als Erster die Idee gehabt haben, Hitzlsperger zum VfB zurückzuholen, doch ob Dankbarkeit allein diese Nibelungentreue rechtfertigt, die Hitzlsperger gegen Vogt All-in gehen lässt?

Rund um den VfB fragen sich angesichts der Eskalation kurz vor dem Jahreswechsel Mitglieder beider Streitlager spätestens jetzt nicht mehr bloß, ob noch weitere sprichwörtliche Leichen im Keller des roten VfB-Clubhauses liegen, sondern welche das wohl sind.

Oliver Schraft (von li.), Wolfgang Dietrich, Thomas Hitzlsperger.getty

VfB: Wer steht hinter Hitzlsperger?

Seine Funktionärskarriere hat Hitzlsperger in Rekordzeit weitgehend unter dem vorwiegend in Gutsherrenart agierenden Ex-Präsidenten Wolfgang Dietrich gemacht. Ehe der ebenso umtriebige wie bei den Mitgliedern von Beginn an umstrittene Unternehmer 2019 über die Wlan-Panne bei der Mitgliederversammlung stolperte und den Weg freimachte für Vogt, war Hitzlsperger vom Vorstandsberater zum Präsidiumsmitglied, Jugendleiter und Sportvorstand und kurz nach Dietrichs Ende auch zum Vorstandsvorsitzenden aufgestiegen.

Mit Sportdirektor Sven Mislintat und Trainer Pellegrino Matarazzo bildet Hitzlsperger ein in seiner Diskussionsfreudigkeit geeintes Erfolgstrio.

Obwohl Hitzlsperger die Unterstützung des alten VfB-Establishments genießt, dem bei den Anhängern von Präsident Vogt verhassten Stuttgarter Klüngel, war er bis zur Eskalation des Streits auch bei den Anhängern Vogts und den VfB-Ultras beliebt. Hitzlsperger sei wohl der Einzige, der in einer Wahl gegen Vogt realistische Chancen auf den Sieg hätte, heißt es im VfB-Umfeld - von Vertretern beider Lager.

VfB: Wer steht hinter Vogt?

Der Inhaber eines Facility-Management-Unternehmens und Umweltmanager kommt aus der aktiven Fanszene. Der Streit zwischen den Lagern drehe sich auch um die Frage, wem der Fußball gehöre, dem Kommerz oder den Fans, hieß es dieser Tage aus dem VfB-Umfeld prompt.

Vogt war 2017 Mitgründer des FC PlayFair. Der Verein hat sich "Integrität und Nachhaltigkeit im Fußball" auf die Fahnen geschrieben, richtet sich gegen die Überkommerzialisierung im Fußball und will sich für Faninteressen einsetzen. Aktiv unterstützt wird die Initiative unter anderem vom früheren Grünen-Chef und VfB-Fan Cem Özdemir, vom Ex-FIFA-Schiedsrichter Urs Meier, aber auch vom langjährigen Mediendirektor des FC Bayern München Markus Hörwick.

Die Mitarbeiter und Funktionäre der ausgegliederten VfB-Profifußballabteilung sollen dem unbequemen Fankativisten, der unter anderem die vorzeitige Vertragsverlängerung mit Trainer Pellegrino Matarazzo noch vor dem Aufstieg im Aufsichtsrat hinterfragte, von Anfang an maximal skeptisch gegenübergestanden sein. So soll es Wochen gedauert haben, bis Vogt Einblick in den Gesellschaftervertrag erhielt.

Hitzlsperger wirft Vogt unter anderem vor, viele Versprechen aus seinem Präsidentschafts-Wahlkampf - etwa die Gründung einer Frauenfußballmannschaft beim VfB - nicht durchgesetzt zu haben. "Claus Vogt ist mit Zielen und Vorstellungen angetreten, die uns allen wichtig sind. Ein Jahr später ist so gut wie nichts davon umgesetzt", schrieb der 38-Jährige in seinem Brief über Vogt, der sich 2019 in einer Kampfabstimmung gegen den ebenfalls fannahen Christian Riedmüller mit 64,83 Prozent der Stimmen durchsetzte.

VfB Stuttgart: Wie geht es weiter?

Bislang haben weder Hitzlsperger noch Vogt ihre Bewerbungen um das Präsidentenamt zurückgezogen. Ab kommenden Montag führt der Vereinsbeirat Gespräche mit allen Kandidaten. Mittlerweile scheint es nicht mehr ausgeschlossen, dass Hitzlsperger und Vogt am Ende beide auf ihren aktuellen Posten bleiben. Hitzlsperger soll laut Stuttgarter Zeitung von den teils vernichtenden Fanreaktionen in den sozialen Netzwerken und von den nicht viel positiveren Kommentaren aus ganz Deutschland auf sein beispielloses Machtstreben schockiert gewesen sein. Und Vogt gilt zwar als unbequem, als Fundamentalist soll er aber auch nicht in Erscheinung getreten sein.

Und am Ende darf man nicht vergessen: So aussichtslos und verfahren die Lage auch scheint - Game of Cannstatt spielen sie beim VfB schon sehr lange.

VfB Stuttgart: Die Bundesligatabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Bayern München1444:212333
2.RB Leipzig1425:91631
3.Bayer Leverkusen1429:141528
4.Borussia Dortmund1428:181025
5.1. FC Union Berlin1429:181124
6.Wolfsburg1420:15524
7.Borussia M'gladbach1425:22321
8.Eintracht Frankfurt1423:23020
9.SC Freiburg1423:24-120
10.FC Augsburg1416:19-319
11.VfB Stuttgart1426:21518
12.Hertha BSC1423:24-116
13.TSG Hoffenheim1422:26-415
14.Werder Bremen1416:23-714
15.1. FC Köln1413:22-911
16.Arminia Bielefeld149:24-1510
17.1. FSV Mainz 051414:31-176
18.Schalke 04148:39-314