Um die Misere bei Borussia Dortmund zu veranschaulichen, reichen ein paar glasklare Fakten. Zum Beispiel: Der BVB hat unter Interimstrainer Edin Terzic nur 14 von 30 Punkten in der Bundesliga geholt. Dort wurde nur eines der jüngsten sechs Spiele gewonnen. Lediglich zwei der vergangenen 16 Pflichtspiele konnten ohne Gegentor über die Bühne gebracht werden. Und die sechs Torschüsse, die Dortmund beim 2:2 gegen Hoffenheim zustande brachte, sind neuer Negativrekord in der laufenden Spielzeit.
Mats Hummels war am Samstag dagegen "immer noch der Meinung, dass wir auf dem Weg der Besserung sind". Der Abwehrchef sei "zu 100 Prozent überzeugt": Man werde Dortmunds "aktiveren und aggressiveren Stil gegen den Ball" in dieser Saison noch zu Gesicht bekommen. "Falls es nicht so ist, sage ich, ich lag falsch", sagte Hummels.
Was also, wenn Hummels schließlich falsch liegen sollte? Auch der ehemalige Nationalspieler dürfte zustimmen, dass man zumindest aus dem Auszug der dargelegten Zahlen nicht darauf schließen würde, hier bewege sich gerade eine Mannschaft in die richtige Richtung. Hummels darf freilich gerne anderer Meinung sein, das Problem der Borussia ist aber: Die derzeitigen Darbietungen auf dem Platz lassen ebenfalls alles andere als den Schluss zu, Hummels' hundertprozentige Überzeugung könnte eines Tages tatsächlich zutreffen.
Die Mannschaft hat auch unter Lucien Favres Nachfolger Terzic bislang kaum überzeugt, einzig die zweiten 45 Minuten beim Sieg in Leipzig stechen heraus und genügen den Ansprüchen des BVB. Ansonsten stolpern die Schwarzgelben von einer schwachen Leistung in die andere, das Selbstvertrauen des Teams tendiert mittlerweile gen Null. Die angestrebte Konstanz ist meilenweit entfernt und höchstens im negativen Sinne gegeben. Dortmunds Baustellen scheinen vielmehr mit jeder weiteren Partie anzuwachsen.
BVB scheint in seinen Negativmustern festzuhängen
Die Mängelliste ist lang und zieht sich durch die verschiedenen Mannschaftsteile: Zuletzt kassierte die Borussia in beinahe jedem Spiel einen haltbaren oder von den Torhütern Roman Bürki und Marwin Hitz selbst verschuldeten Gegentreffer. Das gesamte Defensivverhalten - zu Saisonbeginn gehörte die Abwehrreihe noch zur stabilsten der Liga - ist unzureichend, inkonsequent und wird durchzogen von individuellen Fehlern. Hoffenheim kam beispielsweise auf doppelt so viele Torschüsse wie Dortmund und muss sich ärgern, nicht drei Punkte mitgenommen zu haben. Die eklatante Schwäche beim Verteidigen von Standardsituationen hat derweil fast schon Slapstick-Niveau erreicht.
Im Mittelfeld fehlt es an einer ausgewogenen Mischung, mit Giovanni Reyna und Julian Brandt spielten zuletzt zwei Spieler auf den Flügeln, die dort nicht hingehören und zentral bewiesenermaßen besser aufgehoben sind. Dort agiert aber Kapitän Marco Reus, der wie zahlreiche seiner Kollegen jegliche Form vermissen lässt und am Wochenende gewiss nicht nur aus Gründen der Belastungssteuerung auf der Bank saß.
Reus und andere Führungsspieler wie Hummels, Emre Can - der in dieser Saison schon drei verschiedene Positionen spielte - oder Thomas Delaney haben sich längst von der allgemeinen Verunsicherung anstecken lassen. Einen echten Anführer vermisst das Team derzeit, stattdessen wirkt es strukturell instabil und lässt sich von Unwägbarkeiten im Spielverlauf viel zu schnell aus dem Konzept bringen. Dortmund hing zuletzt immer deutlicher in den eigenen wiederkehrenden Negativmustern fest.
Es geht auch um die mittelfristige Zukunft des BVB
"Es geht zu schnell, dass wir in einem Rückschlag direkt eine Katastrophe sehen", hatte Delaney unter der Woche gesagt. "Ich hoffe, dass alle so enttäuscht sind wie ich", sagte Erling Haaland dann am Samstag - ein vielsagender Satz. Der aktuelle BVB spielt mit der Angst vor Verlust und nicht mit der Freude auf Gewinn.
Das ist gewissermaßen sogar nachvollziehbar, denn zu verlieren hat Dortmund eine Menge. Und da geht es nicht nur um die Qualifikation zur Champions League, die nach den Verlustmeldungen in der Corona-Krise finanziell elementar wichtig ist. Es geht auch ums sportliche Prestige, um den eigenen Anspruch als Klub und den der ambitionierten Spieler im Kader. Kurzum: Es geht um die mittelfristige Zukunft des Vereins.
Sollten die internationale Wettbewerbe in der kommenden Saison ohne die Westfalen ausgetragen werden, bricht dort natürlich nicht alles zusammen. "Aber es zwingt dich dazu, einen Schritt zurück zu machen, vielleicht auch mal zwei", sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke schon vor Wochen im kicker. Übersetzt heißt das: Dortmund müsste sein Tafelsilber feilbieten, der ohnehin schon notwendige Umbruch würde noch größer ausfallen und in Teilen von wirtschaftlichen Zwängen diktiert werden.
BVB und Edin Terzic: Zorc schließt Trennung aus
Momentan macht nicht viel Hoffnung, wie der BVB aus der in den Aussagen der Protagonisten bisweilen schöngefärbten Krise ausbrechen soll. Am Mittwoch wartet mit dem FC Sevilla ein Gegner mit einer vollkommen konträr verlaufenen Entwicklung, neun Spiele in Folge haben die Andalusier zuletzt gesiegt. Drei Tage später im Revierderby gegen die schwachen Schalker hat die Borussia kaum etwas zu gewinnen, eine Woche später gegen Bielefeld genauso wenig. Dann warten die beiden Auswärtsaufgaben in Gladbach im Pokal und beim FC Bayern.
Klar ist: Mit jedem weiteren Rückschlag potenziert sich der Druck, im Rennen um die nun schon sechs Punkte entfernte Königsklasse doch noch auf den letzten handelsüblichen Strohhalm zu setzen. Der sieht meist einen dann als dringend benötigten neuen Impuls verkauften Wechsel auf der Trainerposition vor. Doch da würde selbstverständlich schon das nächste Dilemma warten, schließlich wird im Sommer aller Voraussicht nach mit Marco Rose ein neuer Trainer übernehmen - es bräuchte also einen klassischen Feuerwehrmann, der in dieser brisanten Gemengelage kaum von extern zu besetzen sein dürfte.
"Wenn du eine schwierige Phase hast, wird schnell nach dem Trainer gefragt. So ist das Geschäft. Aber unsere Haltung hat sich nicht verändert. Wir gehen davon aus, dass wir mit Edin Terzic den Turnaround schaffen werden", schloss Sportdirektor Michael Zorc dieses Szenario am Sonntag gegenüber den Ruhr Nachrichten aus. Die Frage ist, ob Zorcs Aussage nicht in Bälde von der Realität eingeholt wird. Denn statt Fortschritte unter dem bemitleidenswerten Terzic erkennen zu können, mutet es in der aktuellen Phase eher an, als schlittere man sehenden Auges aus den Europapokalrängen.
BVB: Die nächsten Spiele im Überblick
Datum | Uhrzeit | Wettbewerb | Gegner |
17. Februar | 21 Uhr | Champions League | FC Sevilla (A) |
20. Februar | 18.30 Uhr | Bundesliga | FC Schalke 04 (A) |
27. Februar | 15.30 Uhr | Bundesliga | Arminia Bielefeld (H) |
2. März | 20.45 Uhr | DFB-Pokal | Borussia Mönchengladbach (A) |
6. März | 18.30 Uhr | Bundesliga | FC Bayern München (A) |