RB Leipzig ist wohl der einzige Klub, der dem FC Bayern München den neunten Meistertitel in Folge noch streitig machen kann. Haben die Roten Bullen dem langjährigen FCB-Verfolger Borussia Dortmund den Rang abgelaufen? Ist Leipzig mittlerweile die Nummer zwei im deutschen Fußball? Das Pro und Contra.
RB Leipzig hat den BVB als Bayern-Verfolger überflügelt
von Stefan Petri
In Leipzig ist Understatement nicht erst seit dieser Saison en vogue. So vermied RB-Boss Oliver Mintzlaff in der aktuellen Sport-Bild-Ausgabe nicht nur eine Kampfansage an die Bayern, sondern auch an Borussia Dortmund im Hinblick auf den Platz des ersten Verfolgers: Für den Titel fehlten noch "Entwicklungsschritte", auf die aktuelle Saison sei man "stolz". Und natürlich durfte der Hinweis auf den Aufstieg 2016 nicht fehlen.
Dabei ist Fußballromantik bei der Brause-Werbeplattform bekanntlich fehl am Platze. Und Understatement ebenfalls. RB Leipzig hat den BVB überflügelt und ist auf dem besten Wege, sich als zweite Kraft im deutschen Fußball zu etablieren. Vor Borussia Dortmund.
Zwar haben die Schwarz-Gelben den größeren Umsatz (487 zu 300 Millionen Euro) und einen höheren Gehaltsetat (140 zu 85 Millionen Euro) vorzuweisen, aber RB ist dabei, diese Lücke Stück für Stück zu schließen. Das Fanpotenzial als "Ostklub" ist enorm, die Trainersituation im Vergleich zum BVB langfristig stabil. Im Kampf um junge Supertalente kann Leipzig mittlerweile ebenfalls mithalten.
Und sportlich gesehen? Ein Blick auf die Bilanzen der letzten Jahre zeigt: Seit Beginn der Saison 2017 hat Leipzig in der Liga genau einen Punkt weniger geholt als Dortmund, den Champions-League-Platz für die kommende Spielzeit aber im Gegensatz zum BVB praktisch sicher. Auch in den Pokalwettbewerben feierte man jeweils die größeren Erfolge, wobei Dortmund in diesem Jahr noch in allen Wettbewerben vertreten ist.
RB Leipzig und Borussia Dortmund: Die letzten Jahre im Vergleich
RB Leipzig | Borussia Dortmund | |||||
Bundesliga | Champions League | DFB-Pokal | Bundesliga | Champions League | DFB-Pokal | |
2020/21* | Platz 2 (57 Punkte) | Achtelfinale | Halbfinale (aktiv) | Platz 5: 43 Punkte) | Viertelfinale (aktiv) | Halbfinale (aktiv) |
2019/20 | Platz 3 (66 Punkte) | Halbfinale | 3. Runde | Platz 2 (69 Punkte) | Achtelfinale | 3. Runde |
2018/19 | Platz 3 (66 Punkte) | - (EL-Gruppenphase) | Finale | Platz 2 (76 Punkte) | Achtelfinale | 3. Runde |
2017/18 | Platz 6 (53 Punkte) | - (EL-Viertelfinale) | 2. Runde | Platz 4 (55 Punkte) | Gruppenphase | 3. Runde |
*Stand: 31. März
Trotzdem: Sportlich ist Leipzig seit dieser Saison am BVB vorbeigezogen, und dieses Kriterium muss entscheidend sein - denn in puncto Tradition, Fanbase etc. könnte man sonst auch für Schalke 04 argumentieren.
Man darf ebenfalls nicht außer Acht lassen, dass Leipzig mit Red Bull einen potenten Geldgeber in der Hinterhand und deshalb in der nun schon über ein Jahr andauernden Corona-Pandemie ein Ass im Ärmel hat. Ein Geldgeber, der mitten in der Krise schon mal 100 Millionen Euro Schulden erlässt.
Natürlich ist der Vorsprung ein kleiner, und im Gesamtpaket aus Finanzkraft, Kader, Stadion und Fanaufkommen hat Dortmund immer noch ein deutlich größeres Potenzial als die Roten Bullen. Die Kräfteverhältnisse könnten sich also wieder umkehren, womöglich schon in der kommenden Saison. Sollte Dortmund allerdings die Königsklasse verpassen und sich vom einen oder anderen Starspieler trennen müssen, könnte RB den Vorsprung genauso gut ausbauen und auch mittelfristig den ersten Bayern-Herausforderer geben.
Nicht mal der Meistertitel würde RB Leipzig zur Nummer 2 machen
Von Filippo Cataldo
Sollte RB Leipzig in dieser Saison Meister werden (was nicht passieren wird), würde vermutlich nicht mal Red-Bull-Patron Didi Mateschitz auf die Idee kommen, seinen Klub schon zur neuen deutschen Fußballmacht auszurufen. Ein deutscher Meister RB Leipzig hätte noch nicht einmal den BVB überholt als natürlichen Bayernjäger Nummer 1.
Karl-Heinz Rummenigges dementsprechender Verweis im Sport Bild-Interview auf die Fünfjahreswertung ist die nüchternere, aber deswegen nicht falsche Umschreibung von Hansi Flicks wichtigstem Lehrsatz: "Der Erfolg ist nur gemietet". Die Bundesligatabelle lügt nicht, doch nachhaltig aussagekräftig sind nur Langzeitbeobachtungen.
Zumal sportlicher - und wirtschaftlicher - Erfolg nicht alles sind. Selbst Vorstandschef Mintzlaff gab in der Sport Bild bei der Frage, wieso sich Erling Haaland einst gegen einen Wechsel von Red Bull Salzburg zum deutschen Schwesterklub entschied, freimütig zu: "Als neutrale Person hätte ich Haaland auch zum BVB geraten."
Als Grund für dieses absolut richtige, aus diesem Munde aber etwas überraschende Geständnis, nannte der RB-Boss eben nicht nur, dass Leipzig zum damaligen Zeitpunkt in der Offensive gut aufgestellt gewesen sei. Sondern eben auch: "Dazu kam die Strahlkraft des BVB und das finanzielle Paket, das in Dortmund besser war."
RB Leipzig: Keiner sagt "neuer deutscher Clasico"
Ob der zweite Teil des Satzes einem Faktencheck standhielte, sei mal dahingestellt; die größere Strahlraft des BVB ist jedoch unstrittig - und für Leipzig eben auch nicht durch ein paar stärkere Saisons aufzuholen. Jude Bellingham, Gio Reyna, Haaland und Co. mögen auch den BVB nur als letzte Durchgangsstation zu einem noch größeren und noch finanzstärkeren Verein ansehen, doch ihre Nachfolger würden sich auch dann eher für den BVB und gegen RB entscheiden, sollte der BVB jetzt mal die Qualifikation für die Champions League verpassen.
Es ist ja so: RB Leipzig macht viel richtig; die Mannschaft ist klug zusammengestellt und hat einen tollen Trainer; die Frage, ob RB Leipzig wie ein normaler Fußballverein betrachtet werden kann, spaltet die Gemüter; Mateschitz' Fußballklub gewordenes Marketing-Baby kann man hassen und leidenschaftlich verteidigen.
Und doch emotionalisieren Spiele mit Beteiligung der Leipziger den gemeinen Fußballfan kaum. Was immerhin die wohltuende Nebenwirkung haben dürfte, dass hoffentlich nie jemand auf die in allen Belangen dämliche Idee kommen wird, das Duell des FC Bayern München gegen RB Leipzig als "neuen deutschen Clasico" zu bezeichnen.