Andreas Rettigs Kritik am System Fußball: "Immer größere Schritte in die falsche Richtung"

SID
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© imago images / Martin Hoffmann

Ex-Manager Andreas Rettig hat das System Profi-Fußball für den ignoranten Umgang mit der Corona-Pandemie und die immer exzessivere Gier erneut scharf kritisiert.

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Die Branche habe den Eindruck entstehen lassen, "dass man völlig entrückt ist vom realen Leben", sagte der frühere Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) im Gespräch mit Sky Sport News: "Es wird versucht, möglichst viel vom großen Kuchen mitzunehmen."

Die Reaktion des Fußballs auf die Corona-Krise unterscheidet sich nach Rettigs Ansicht erheblich von anderen Branchen: "In der Wirtschaft passt man sich und die Prozesse dem Coronavirus und den Zahlen an. Das erwarte ich auch von der Bundesliga. Da muss man sich Gedanken machen. Auch wenn ich mir jetzt die Länderspiele ansehe - da muss man den Modus überdenken."

Fehlentwicklung auch in der Pandemie sind aus Rettigs Sicht das Resultat von immer ungezügelterem Profitstreben. "Der Punkt ist längst erreicht, dass man zu konsequenten Entscheidungen kommen muss, auch wenn da ein paar Einnahmen auf der Strecke bleiben", meinte der 57-Jährige. Der Trend ist seiner Meinung nach allerdings gegenteilig: "Das geht mit immer größeren Schritten in die falsche Richtung."

Andreas Rettig fordert Änderung des Fußballkalenders

"Eine Branche, die mit und durch die Öffentlichkeit ihr Geld verdient, benötigt gesellschaftliche Akzeptanz. Wenn - wie jetzt - der Eindruck entsteht, als würde man sich vom realen Leben abkoppeln, schwindet diese", sagte Rettig zudem dem Kölner Express am Mittwoch und fordert während der Corona-Pandemie eine deutliche Entzerrung der internationalen Spiele.

Zurzeit stehen die ersten drei WM-Qualifikationsspiele für die deutsche Nationalmannschaft gegen Island, Rumänien und Nordmazedonien bis zum 31. März auf dem Programm. "Der Spielbetrieb kann genau wie Wirtschaftsaktivitäten nicht von aktuellen Corona-Zahlen abgekoppelt werden", äußerte der langjährige Bundesliga-Manager, "warum kann man nicht den Modus der WM-Qualifikation ändern und statt Hin- und Rückspiel nur ein Spiel absolvieren, so wie es sich in der Endrunde der Champions League bewährt hat? Statt bis zum Jahresende zehn Quali-Spiele durchzuziehen, könnte man fünf freie Termine schaffen."

Rettig sieht die Belastung der Spieler als großes Problem an, deshalb solle mehr Rücksicht bei der Ansetzung von internationalen Spielen genommen werden: "Das würde der Gesundheit der Spieler mit Blick auf die Regeneration Rechnung tragen und das Infektionsrisiko deutlich minimieren, weil es weniger Reisetätigkeit und Spiele gibt. Da fehlt mir das Verständnis."

Andreas Rettig: Champions-League-Teilnehmer sollten samstags spielen

Rettig fordert auch die DFL bei der Ansetzung der Spiele in der 1. und 2. Bundesliga zu mehr Flexibilität auf. "Es gibt Länderspiele am 31. März um 20.45 Uhr. Die Spieler kommen am 1. April nicht vor dem Nachmittag zurück zu ihren Vereinen. Dennoch sind am Samstag, 48 Stunden später, sieben Bundesliga-Spiele angesetzt. Warum war die Liga nicht so flexibel, den Spieltag komplett auf den Ostersonntag, teils vielleicht sogar Ostermontag zu verlegen?"

Ihm schwebe vor, dass nur die im Wettbewerb verbliebene Champions-League-Teilnehmer samstags spielen, um entsprechende Pausen vor den nächsten Spielen in der Königsklasse zu haben. "Dadurch würde die Regeneration verbessert und die Ansteckungsgefahr verringert", meinte Rettig.

Er vermisst zudem eine stärkere Einflussnahme vonseiten der Vertreter des DFB in den internationalen Gremien des Weltverbandes FIFA und der UEFA. Rettig: "Verbandsvertreter sollten sich stärker an der inhaltlichen Diskussion beteiligen. Allerdings sind viele mehr mit ihrer eigenen Karriereplanung beschäftigt. Da will sich niemand unbeliebt machen, weil bald beispielsweise Wahlen zum FIFA-Council und UEFA-Exekutivkomitee anstehen."