Lothar Matthäus arbeitet seit rund 20 Jahren als TV-Experte und Kolumnist. Im Interview mit SPOX und Goal erklärt der 60-jährige Rekordnationalspieler seine unterschiedlichen Tätigkeiten, lässt seine bisherige Medien-Karriere revue passieren und verrät, wofür er bei seinen Auftritten gerne kritisiert wird.
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Herr Matthäus, Sie gelten als einer der gefragtesten und meistzitierten Fußballexperten Deutschlands. Wie beurteilen Sie Ihre Rolle als Meinungsmacher?
Matthäus: Das macht es umso schwieriger, alles so zu beurteilen, dass ich keinem auf den Schlips trete. Ich möchte korrekt sein: sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Generell lobe ich lieber, als etwas schlechtzureden. Aber wenn ich schlechte Spiele, schlechte Ergebnisse oder Fehler sehe, dann muss ich kritisch damit umgehen. Ich kann aber jedem, den ich kritisiert habe, in die Augen schauen. Als Spieler habe ich früher mit Kritik leben müssen, die teilweise unter die Gürtellinie gegangen ist. Ich weiß also, wie das wehtut. Wichtig ist, dass ich mich mit meinen Aussagen wohlfühle. Ich möchte Spielern oder Trainern nach einem Spiel nicht mit einem schlechten Gewissen gegenüberstehen.
Gibt es eine Aussage, die Sie im Nachhinein bereut haben?
Matthäus: Das ist uns doch allen schon passiert. Sowas tut mir leid. Ich bin mir in so einem Fall aber auch nicht zu schade dafür, meine Sätze oder Worte so schnell wie möglich mit dem Betroffenen auszuräumen.
Wie oft melden sich Spieler, Trainer oder Funktionäre bei Ihnen, nachdem Sie sie kritisiert haben?
Matthäus: Eigentlich gar nicht, weil ich immer versuche, meine Aussagen zu untermauern und zu erklären. Warum sage ich beispielsweise, dass Bayern nicht den stärksten Kader der Bundesliga hat? Weil ich den Kader von Dortmund, Leipzig oder Wolfsburg auf den Plätzen 15 bis 22 stärker finde. Als journalistischer Experte versuche ich, glaubwürdig rüberzukommen. Das ist für mich das Wichtigste in meinem Job.
Lothar Matthäus: "Dafür brauch man mich nicht zu fragen"
Bekommen Sie oft Fragen gestellt, die Sie nerven?
Matthäus: Wenn mich jemand fragt, wer der beste Spieler der neuen Saison wird, dann nervt mich das nicht. Aber es ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann, weil ich kein Hellseher bin. Ich kann behaupten, dass Bayern München um die Meisterschaft mitspielen wird. Aber das ist kein Geheimnis. Auch nicht, dass Leipzig und Dortmund wahrscheinlich die stärksten Konkurrenten sind, dass Fürth, Bielefeld und Bochum eher gegen den Abstieg spielen werden, und dass Hertha BSC eine Wundertüte ist. Das sind alles Dinge, die man auch selber schreiben kann. Dafür braucht man mich gar nicht zu fragen.
Wo sehen Sie den Mehrwert in Ihrer Tätigkeit?
Matthäus: Bei Spielen kann ein ehemaliger Spieler, der schon so lange dabei ist wie ich, besser beurteilen. Man fragt sich: Was ist wichtig für den Zuschauer? Was will er von dir wissen? Hast du irgendwelche Hintergründe gesehen, die du mit Bildmaterial erklären kannst? Zum Beispiel Timo Werners Laufweg vor Kai Havertz' entscheidendem Tor im Champions-League-Finale. Das ist etwas, das der Fußball-Fan zuhause vielleicht nicht so sieht wie ich. Das möchte ich rüberbringen.
Sehen Sie sich eigentlich als Journalist?
Matthäus: Ja.
Seit Beginn Ihrer Experten-Karriere?
Matthäus: Ja. Ich wusste, dass ich kein Spieler und kein Trainer mehr bin, sondern ab jetzt eine journalistische Tätigkeit habe. Ich bin aber ein Journalist, der auch von seinen Kollegen interviewt wird. Das ist eigentlich eine komische Situation.
Hatten Sie ein Experten-Vorbild?
Matthäus: Genau wie früher als Spieler war auch in dieser Rolle Günter Netzer mein Vorbild. Er hat das damals gemeinsam mit Gerhard Delling sehr gut gemacht. Auch Jürgen Klopp fand ich hervorragend. Bei Jürgen hat mir seine Emotionalität gefallen, bei Günter seine Gelassenheit, Lockerheit und Schlitzohrigkeit.
Welchem aktuellen Spieler trauen Sie eine Karriere als Experten zu?
Matthäus: Christoph Kramer macht das gut. Was er während der Europameisterschaft losgelassen hat, ist nicht nur fachlich gut angekommen. Er war dabei auch witzig, locker, lustig und positiv.
Was war der schönste Moment Ihrer Experten-Karriere?
Matthäus: 2001 war ich gemeinsam mit Sebastian Hellmann beim Champions-League-Finale in Mailand. Obwohl ich zwei Jahre vorher die Finalniederlage gegen Manchester United mitnehmen musste, habe ich mich wahnsinnig über den Sieg von Bayern München gefreut. Ich habe mich gefreut für die Jungs, die mit mir zwei Jahre vorher dieses bittere Ereignis erlebt haben.
Was sind die wichtigsten Fähigkeiten, die man als Experte haben sollte?
Matthäus: Glaubhaftigkeit: Also dass man merkt, dass du es bist. Korrektheit: Dass alles faktisch richtig ist. Die Fähigkeit, Liebe und Leidenschaft zum Sport rüberzubringen. Und es muss immer Spaß dabei sein.
Matthäus über seine Schwächen als Experte
Inwiefern haben Sie sich als Experte im Laufe der Zeit weiterentwickelt?
Matthäus: Schon als Spieler haben mich jedes Training und jedes Spiel weitergebracht. Genau so ist es heute auch. Ich merke, dass ich das eine oder andere falsch mache: Dass ich vielleicht mal falsch in die Kamera schaue, dass ich mal zu lange rede, dass ich mal etwas falsch einschätze, dass ich mal Namen verwechsle. Aber das ist alles menschlich und ich will auch menschlich rüberkommen.
Was für externe Rückmeldungen bekommen Sie für Ihre Auftritte als Experte?
Matthäus: Manche sagen, dass ich das gut mache. Aber es gibt Gott sei Dank auch welche, die mich darauf hinweisen, was ich besser machen könnte. Ab und zu werde ich für meine Sitzhaltung kritisiert. Ich rutsche beim Sitzen gerne nach hinten, statt gerade zu bleiben. Manchmal bekomme ich während Sendungen auch Nachrichten wie: "Wie siehst du heute wieder aus? Geh' mal wieder zum Friseur! Rasier' dich mal!"
Bei Sky erscheint allwöchentlich Ihre geschriebene Kolumne. Wie läuft die Produktion ab?
Matthäus: Jeden Montag telefoniere ich eine halbe Stunde lang mit dem Ghostwriter. Da suchen wir uns zwei, drei spannende Themen vom Wochenende raus. Generell kommen keine Themen in Frage, die ich nicht haben möchte. Und wenn ich eines will, dann wird das auch geschrieben. Ich bin aber auch bereit, Vorschläge vom Ghostwriter anzunehmen. Zwei Stunden später ruft er mich wieder an. Dann gehen wir den Text eine Viertelstunde lang durch und verbessern Dinge. Es soll so rüberkommen, wie ich es sagen würde. Und nicht, wie er es schreibt. Manchmal nimmt er Wörter, die ich in meinem Sprachgebrauch nicht nehmen würde. Das wird dann umgeändert.
Würde es Sie reizen, die Kolumnen selbst zu schreiben?
Matthäus: Dafür bräuchte ich mehr Zeit. Ich könnte es aber auch nicht so rüberbringen, wie Leute, die das gelernt haben.
Lothar Matthäus arbeitet als Testimonial für den Wettanbieter Interwetten.