Henning Zülch ist Inhaber des Lehrstuhls Accounting and Auditing an der HHL Leipzig Graduate School of Management. In seiner Forschung beleuchtet er unter anderem die Managementqualität, die Bestandskraft und die künftigen Entwicklungsmöglichkeiten von Profifußballklubs.
Im Interview mit SPOX und Goal spricht Zülch über nötige Schritte für ausgeglichenere Verhältnisse zwischen den Bundesliga-Klubs, Hindernisse für einen Salary Cap und eine Reform des Financial Fairplay sowie die Bedeutung strategischer Investoren für die Zukunft der Vereine.
Außerdem erklärt Zülch die Probleme der Verfolger des FC Bayern München und kritisiert die DFL-Taskforce.
Zülch über...
... unterschiedliche Voraussetzungen zwischen den Bundesligaklubs: In der Bundesliga gibt es vom eingetragenen Verein bis zu einem börsennotierten Unternehmen eine große Bandbreite an Rechtsformen. Das ist Wettbewerbsverzerrung. In der Ligue 1 ist schon frühzeitig eine Vereinheitlichung hin zu einer Aktiengesellschaft vollzogen worden. Die Klubs sollten über eine Börsennotierung nachdenken, um transparenter in finanzieller Hinsicht zu sein. Wir brauchen die gleiche Rechtsform für alle.
... die daraus resultierenden Vorteile: Das erleichtert das Agieren auf dem Kapitalmarkt, Investoren anzuziehen und dadurch Einnahmen zu generieren. Dadurch wäre zudem Vergleichbarkeit in Sachen wirtschaftlicher Situation der Klubs hergestellt und sämtliche Klubs hätten die gleichen Grundvoraussetzungen, um ihre Investitionstätigkeit zu steuern. Sei es ins Nachwuchsleistungszentrum, Scouting etc. Mehr Transparenz bedeutet mehr Glaubwürdigkeit. Solange die Individuen nicht auf eine einheitliche Spur gebracht werden, weil der Regulator, wie in dem Fall die DFL, nicht stark genug ist, kann die Situation nicht gebändigt werden.
... Folgen für die Spannung in der Liga: An der Spannung wird sich grundsätzlich wahrscheinlich nichts ändern, weil einige Klubs einen gewissen Vorsprung haben. Diesen aufzuholen, wird schwierig. Wenn allerdings bislang erfolgreiche Klubs eine falsche unternehmerische Entscheidung treffen und nicht in den oder die richtigen Spieler investieren - Stichwort: Haaland-Ersatz - dann verpassen sie vielleicht die Champions League und kommen in einen finanziellen Engpass, der größere Investitionen verhindert. Relativ schnell könnte dann eine Abwärtsspirale eintreten, so wie bei Werder Bremen. Kein Team ist davor geschützt. Genau das macht das Ganze interessant.
... Probleme der Verfolger des FC Bayern: Der BVB hat sich stets dagegen verwahrt auszusprechen, dass man Deutscher Meister werden wolle. Diese Mannschaft muss aber bei dem vorhandenen Potenzial Anspruch auf Titel haben. Spreche ich dies allerdings nicht aus, dann bleibt mir immerzu die Verfolgerrolle und ich gelte vermeintlich als Ausbildungsverein. Aber genau das ist das Problem der Verfolger des FC Bayern: Wie sieht die langfristige Strategie des Klubs im Bundesliga-Wettbewerb sowie international aus? Man hat Angst, der Erwartung nicht gerecht zu werden. Obwohl wie bei allen Unternehmen eine Korrektur der ambitionierten Ziele durchaus möglich ist, solange eine strategische Marschrichtung erkennbar ist.
... Einführung von Salary Cap und einer Reformierung des Financial Fairplay in Deutschland: Das kann die DFL natürlich alles beschließen. Wenn man das aber nicht auf den internationalen Markt ausweitet, werden die Preise und die Gehälter dennoch nach oben schießen, während die Deutschen schauen müssen, wie ihre Liga sich entwickelt. Das wird nichts bringen. Ein attraktiver Spieler wird kaum nach Deutschland wechseln, wenn er weiß, dass national eine Gehaltsobergrenze herrscht.
... alternative Wege zur (internationalen) Konkurrenzfähigkeit: Man muss den "deutschen" Weg gehen, und zwar auf die Ausbildung des eigenen Nachwuchses zu setzen. Dort sind deutsche Klub besser als andere Nationen. Junge Talente entwickeln, zu den Profis ziehen und gewinnbringend verkaufen. Schalke und Stuttgart haben beispielsweise im vergangenen Jahrzehnt nachweislich die besten Jugendspieler - leider ohne nachhaltige positive Wirkung für die Klubs selbst - entwickelt.
... über planbaren Erfolg: Am Beispiel RB Leipzig kann man sehen, dass Erfolg grundsätzlich planbar ist, allerdings nur unter den dort gegebenen Bedingungen. RB hat zwar eine geringe Durchlässigkeit von eigenen Talenten, aber sie haben Farmteams. Das ist das Erfolgssystem. Dadurch wird die eigene Marke in anderen Regionen vorangetrieben, Präsenz gezeigt und Umsatz stabilisiert. Andere Klubs versuchen diese Strukturen jetzt beispielsweise in den USA oder in China ebenfalls aufzubauen. Das wird der Weg zum Erfolg sein: die Wettbewerbsfähigkeit durch vergleichsweise geringe Mittel stabilisieren. Auf der anderen Seite fehlt bei einer derartigen Entwicklung vom Reißbrett aus die Identifikation der Klubs mit Fans und Region, die automatisch zu einer höheren Emotionalisierung und Empathie führen und sich finanziell auszahlt.
... die DFL-Taskforce: Diese Taskforce ist grundsätzlich eine gute Sache. Nur geht sie nicht über die Idee hinaus. Operationalisierbare Taten müssen folgen. Aktuell steht Nachhaltigkeit an erster Stelle der Agenda. Das essentiellste Thema ist für mich aber der Einstieg strategischer Investoren und die dafür zu schaffenden Umweltbedingungen. Dies steht bei der DFL aber ganz hinten auf dem Zettel.
... Voraussetzungen der Klubs für den Einstieg strategischer Investoren: Alle Klubs, die Interesse an strategischen Investoren haben, müssen sich dementsprechend aufstellen: ihre Unternehmensstruktur verbessern, ihren Wert kennen. Den Klubs ist während der Pandemie die Geschäftsgrundlage weggebrochen. Gleichzeitig mussten Vereine wie der BVB oder Bayern ihre Marke weiter vertreiben. Wie steigere ich also meine Umsatzerlöse unabhängig vom Geschäft Fußball? Aufgrund der Fragilität dieses Modells ist jeder Klub auf strategische Investoren angewiesen. Die Vereine müssen gegenüber Investoren Attraktivität ausstrahlen, durch eine vernünftige Struktur, ein Nachwuchsleistungszentrum mit Leistungszielen, eine Durchlässigkeit bis zu den Profis. Kurzum: Das Geschäftsmodell muss langfristig ertragreich sein. Bei manchen Klubs weiß die Geschäftsführung zum Teil gar nicht, wie sich das Nachwuchsleistungszentrum zur Umsatzsteigerung eignet.
... den möglichen Einstieg von Scheichs in der Bundesliga: Das wird in Deutschland nicht funktionieren. Dafür haben wir ein zu starkes Regelungssystem. Außerdem gibt es negative Beispiele, wie den Fall 1860 München mit Hasan Ismaik. Wenn man Geld investiert, will man vermeintlich die komplette Kontrolle über den Verein. Das funktioniert ohne unternehmerisches Konzept nicht. Wenn der Investor dann irgendwann mal den Stecker zieht, dann ist der Verein verloren.
... Investoren vs. Fanbasis: Der Investor muss natürlich zum Klub passen. Das ist ein "Cultural fit", dem geht ein Auswahlprozess voraus. Wenn man eine starke Fangemeinschaft hat, von der man lebt, muss man diese mitnehmen. Der BVB hat unglaublich viel Tradition und ist an der Börse. Wie passt das zusammen? Das entstand natürlich Anfang der Nullerjahre, um mit Bayern langfristig auf Augenhöhe zu sein. Der FC St. Pauli zum Beispiel ist in den USA eine der stärksten deutschen Fußballmarken, sie steht für Lifestyle. Und dann stehen die Anhänger in der Kurve mit politisch motivierten Spruchbändern - das passt auch nicht zusammen. Es kommt darauf an, wie stark man sich mit seinem Klub identifiziert. Die Vereine sollten gegenüber den Fans Aufklärungsarbeit leisten und erklären, warum beispielsweise ein Börsengang gut ist. Fußball ist zwar sehr emotional, aber manchmal nicht glaubwürdig genug.
... den Umgang der Vereine mit ihren Fans: Die Vereine sehen ihre Fans zum Teil als die Dummen, die ihr Geld in den Verein auf unterschiedlichste Art investieren, aber nicht begreifen, worum es geht oder was passiert. Aber die Fans verstehen sehr wohl, was da geschieht. Daher sollten die Klubs ihre defensive Informationspolitik ablegen und mit Informationen zum Klub und über den Klub offener umgehen, um so die Fans bei strategischen Entscheidungen mitzunehmen.
... andere Konzepte für Wachstum: Die junge Fanbasis in den Stadien bricht aktuell weg. Stattdessen sitzen die Leute vor den Computern und zocken. Also muss ich als Klub ein entsprechendes Angebot machen, beispielsweise mit E-Sport. Das ist ein wachsender Markt und eine Art, weiteren Umsatz zu generieren, wenn der Spielbetrieb nicht läuft. Viele Klubs in der Bundesliga haben lange Zeit E-Sport abgelehnt mit der Begründung, dies passe nicht zur Tradition des Klubs. Unternehmerisch war das, wie wir jetzt wissen, nicht richtig. Dieser Markt wird nunmehr auch von den 'Traditionalisten' bedient. Mit Blick auf das Geschäftsmodell ist Offenheit für Neues notwendig.