An markigen Worten vor dem Spiel des Jahres hat es nicht gefehlt. "Man muss den Pokal mit vollem Herzen angehen, sonst macht man schon den ersten Fehler", sagte Hertha-Boss Fredi Bobic vor dem Pokalderby gegen Union Berlin: "Die Spieler müssten mit dem Messer zwischen den Zähnen rausrennen."
Sollte es tatsächlich so gewesen sein, muss es sich allerdings um ein sehr kleines Kindergarten-Brotmesserchen gehandelt haben. Denn im Stadtduell am Mittwoch waren die Blau-Weißen in allen Belangen unterlegen und ein echtes Aufbäumen war über die gesamte Spielzeit nicht zu erkennen.
Und das ausgerechnet in einem Spiel, in dem es nicht nur ums Prestige und die Vorherrschaft in der deutschen Hauptstadt ging. Sondern auch um die vielleicht einmalige Chance für die Hertha, angesichts der zahlreichen ausgeschiedenen Topklubs endlich erstmals das DFB-Pokalfinale im Olympiastadion zu erreichen, was seit der Vergabe dorthin vor 37 Jahren noch nie gelang.
"Dass Union Hertha überholt hat, ist nicht mehr nur eine Momentaufnahme"
"Die Niederlage war für Hertha in mehrfacher Hinsicht ein echter Tiefschlag: weil der Traum vom Pokalfinale in der eigenen Stadt und im eigenen Stadion wieder einmal zu früh zu Ende ist; weil die Schwächen der Mannschaft und die Unwucht im Kader erneut deutlich zu Tage traten", analysierte der Berliner Tagesspiegel: "Dass Union Hertha tabellarisch überholt hat, ist nicht mehr nur eine Momentaufnahme. Der Emporkömmling aus dem Südosten der Stadt hat den satten und fast selbstgefälligen Platzhirsch erst einmal abgehängt. "
Und der nächste Tiefschlag droht am Sonntag gegen Rekordmeister FC Bayern, gegen den man schon in den vergangenen vier Spielen (3:14 Tore) chancenlos war. Der letzte Hertha-Sieg datiert vom September 2018 (2:0). Damals wähnte man sich auf Augenhöhe mit den Münchnern, während Union in der 2. Liga kickte.
Union ist Hertha in allen Bereichen überlegen
Seitdem haben die "Eisernen" zunächst rasant auf- und dann den Rivalen überholt, das steht spätestens seit dem Triumph im Pokal fest. "Union ist jetzt der Big City Club! Und Hertha nur noch die Nummer 2 in Berlin. Daran gibt es nichts mehr zu rütteln", kommentierte die Bild.
Nicht nur, dass die Köpenicker vom Pokalsieg in der Heimatstadt träumen dürfen und die Alte Dame bei der Mitgliederzahl wieder knapp überholt haben, in der Bundesliga-Tabelle liegen mittlerweile fast schon Welten zwischen beiden Teams.
Union hat aktuell als Tabellenfünfter mit einem Punkt Rückstand auf Rang drei sogar Chancen auf die Champions-League-Teilnahme, während Hertha als 13. im dritten Jahr hintereinander gegen den Abstieg spielt.
Der Grund dafür, etwas plakativ zusammengefasst: Union hat alles, was Hertha fehlt.
Erfolgreiche Kaderplanung
Sportchef und Mastermind Oliver Ruhnert hat seit seinem Wechsel von Schalke zu Union 2017 mit wenig Mitteln eine Mannschaft zusammengebaut, in der mittlerweile ein Rad ins andere greift.
Dafür könnte man zahlreiche Namen nennen, als Beispiele seien nur die beiden Torschützen im Derby, Andreas Voglsammer (kam von Arminia Bielefeld) und Robin Knoche (in Wolfsburg aussortiert) erwähnt, oder der kürzlich verpflichtete Freiburger Ersatzmann Dominique Heintz, der sich sofort nahtlos eingefügt hat.
"Bei Union haben Manager Oliver Ruhnert, der reihenweise Volltreffer landet, und der klare Trainer-Stratege Urs Fischer einen Zaubertrank gefunden", schrieb die Bild. "Sie machen aus Spielern, die fast niemand mehr haben wollte, oder die niemand erkannt hatte, eine der heißesten Mannschaften der Bundesliga."
Hertha wollte Max Kruse nicht
Der größte Charakterkopf im Team ist sicherlich Ex-Nationalspieler Max Kruse, den auch die Hertha 2020 nach seinem Gastspiel bei Fenerbahce hätte haben können. Doch der damalige Sportchef Michael Preetz befand den 33-Jährigen für zu alt und unberechenbar.
Nicht die einzige Fehleinschätzung des ehemaligen Hertha-Geschäftsführers, den viele hauptverantwortlich machen für den unrunden, überteuerten und in der Bundesliga trotzdem ohne echte Führungspieler oft überforderten Kader.
"Preetz hat eine Mannschaft ohne Sinn und Verstand zusammengestellt"
"Preetz hat eine Mannschaft ohne Sinn und Verstand zusammengestellt, das ist ein Trümmerhaufen", sagt ein Insider. "Fredi Bobic braucht mindestens eins, eher zwei Transferfenster, um das Team nach seinen Vorstellungen umzubauen und wieder wettbewerbsfähig zu sein."
Letzteres bestätigt der vergangenen Sommer aus Frankfurt als großer Hoffnungsträger geholte Preetz-Nachfolger. "Wir müssen anerkennen, dass wir noch sehr hart arbeiten müssen, um diesen Kader zu drehen", sagte Bobic, und ergänzte in der Süddeutschen Zeitung: "Hertha war wie ein gemischter Salat. Der aber nicht schmeckte."
Seit Dienstbeginn hat Feinschmecker Bobic daher vier Spieler abgegeben und gleich elf verliehen, zuletzt den vor zwei Jahre für 24 Millionen Euro verpflichteten polnischen Nationalstürmer Krzysztof Piatek. Auf der Gegenseite kamen zwölf neue Spieler und in der Winterpause könnten drei bis vier weitere hinzukommen, unter anderem werden der Stuttgarter Marc-Oliver Kempf und der Freiburger Ermedin Demirovic gehandelt.
Runderneuerung des Hertha-Kader hat bisher fast nichts gebracht
Ähnlich radikal veränderte Bobic auch die Frankfurter Eintracht, bekanntlich mit Erfolg. Doch in Berlin hat die Runderneuerung bislang fast nichts gebracht. "Fredi macht alles aus dem Bauch und im Ergebnis sind 50 Prozent gut und 50 Prozent weniger gut", erklärt ein jahrzehntelanger Begleiter die fehlende Treffsicherheit bei der Hertha.
Exemplarisch steht für ihn Rückkehrer Kevin-Prince Boateng, mit dem zusammen Bobic 2018 mit Frankfurt den DFB-Pokal gewann. Mittlerweile ist der verletzungsanfällige 34-Jährige jedoch nur noch zweite Wahl. Er sei aber als Routinier "wichtig für die Kabine", heißt es immer wieder aus dem Verein. Kritiker bezeichnen die Rückholaktion dagegen als Folklore ohne sportlichen Effekt.