Genervt, gereizt, gefrustet - so kann man das neue 3G der Bundesliga zusammenfassen. Die Wiederaufnahme des Spielbetriebs vor leeren oder fast leeren Rängen führt bei allen Beteiligten aktuell zu großen Sorgen, wie es weitergehen soll in der dritten Pandemie-Rückrunde.
"Wenn in so einem riesigen Stadion niemand ist, nervt es schon", sagte Freiburgs Trainer Christian Streich angesichts des Gastspiels vor den maximal zugelassenen 750 Zuschauern im 81.360 Plätze fassenden Dortmunder Signal-Iduna-Park. Und Kölns Coach Steffen Baumgart meinte vor dem ebenso dürftig besuchten Heimspiel gegen den FC Bayern: "Ich halte das für sinnlos. Die Erklärungen, die ich bisher dazu gehört habe, hören sich auch klug an, sind aber alle Mist! Das aktuelle Infektions-Geschehen hat nichts mit Fußball zu tun."
Das sehen die zuständigen Landesregierungen freilich anders, weshalb sie vor Weihnachten bei der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler die Rückkehr der Geisterspiele beschlossen.
Stattdessen kehrte dann aber im neuen Jahr die Kleinstaaterei zurück, was alles verschlimmbesserte: Jeder macht seine eigenen Regeln, wenngleich auf niedrigem Niveau und mit häufig nicht nachvollziehbaren Obergrenzen.
Bundesliga: Geisterspiele oder nicht? Die Kleinstaaterei ist zurück
So erlaubt beispielsweise Sachsen-Anhalt 7500 Zuschauer beim Drittligaspiel zwischen Halle und Türkgücu München (50 Prozent von maximal 15.000 Besuchern erlaubt), in Berlin sind es höchstens 3000, in Sachsen nach zuvor null jetzt wieder 1000, in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz 500, in Hessen 250 und in Bayern weiterhin null.
Für den künftigen DFL-Aufsichtsratsvorsitzenden Hans-Joachim Watzke ist dieser Flickenteppich ein Zeichen von reiner "Symbolpolitik", wie er im Spiegel erklärte.
"Mir geht es nicht darum, jetzt die Stadien vollzumachen, das wäre ein völlig falsches Signal. Aber ich halte zehn Prozent der Stadionkapazität für angemessen. Meinetwegen sogar zehn Prozent ausschließlich Geboosterte", sagte der BVB-Boss, dessen Klub gegen Freiburg gerade mal 0,9 Prozent seiner Plätze besetzen darf: "Mit den 8000 Zuschauern bei uns wäre die Infektionsgefahr denkbar gering, und das weiß ja ehrlich gesagt auch jeder. Aber der Fußball muss für Symbolpolitik herhalten. Erklären Sie mir, warum Musicalhallen zweimal pro Tag mit 750 Menschen und einer Auslastung von 45 Prozent besetzt werden und in den großen Freiluftstadien keine Zuschauer zugelassen sind. Da fühlt man sich schon ein wenig im Stich gelassen."
Corona-Politik: Elbphilharmonie fast voll, Volksparkstadion fast leer
Exemplarisch zeigen sich diese Widersprüche in Hamburg, wo der Senat 1000 Zuschauer bei Amateurspielen erlaubt, aber zunächst keine Fans zu den Heimspielen der Profis von HSV und St. Pauli zulassen wollte. Nun genehmigte die zuständige Innenbehörde immerhin 2000 Besucher, was im Volksparkstadion gerade mal 3,5 Prozent des Fassungsvermögens von 57.000 entspräche.
Gleichzeitig sind bei Konzerten in der Elbphilharmonie ebenfalls 2000 Besucher erlaubt, was einer Auslastung von 95 Prozent entspricht. Und beim Musical "Die Eis-Königin" dürfen sogar alle Plätze belegt werden (1850). "Bei einem Konzert in der Elbphilharmonie fällt man sich halt nicht jubelnd um den Hals, wenn ein Tor fällt. Da sitzen alle ganz ruhig auf dem Platz und tragen sogar Maske", erklärte Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher.
Damit trifft der Arzt und SPD-Politiker tatsächlich einen wunden Punkt: Bis zur von der Politik erzwungenen Zuschauerreduzierung versuchten die durch Corona wirtschaftlich so massiv gebeutelten Vereine fast durchgängig die maximalen Einnahmen bei Heimspielen zu erzielen, freiwillige Beschränkungen oder verpflichtende Testungen gab es höchst selten.
Bundesliga und Corona: Wenig Abstand und Kontrollen
Statt die Fans aufgrund der Ansteckungsgefahren in den Stadien möglichst weit auseinander zu halten, wurden zudem eher ganze Blöcke gesperrt und die Zuschauer auf engem Raum zusammengesetzt. Zudem wurde die Maskenpflicht sehr oft locker oder gar nicht kontrolliert. Darüber hinaus waren dichtes Gedränge in öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einlass eher die Regel als die Ausnahme.
Ganz abgesehen davon, dass die mantra-artige Aussage der Verantwortlichen, Fußball an der frischen Luft sei kein Pandemietreiber bis heute wissenschaftlich weder bestätigt noch widerlegt ist. Zwar gab es nach einer Abfrage der DFL bei den Vereinen bis in den Oktober kaum nachgewiesene Infektionsfälle an den Spieltagen - aber das war vor der laut Weltgesundheitsorganisation rund fünfmal ansteckenderen Omikron-Variante.
"Was Omikron jetzt für die Gesellschaft bedeutet, das ist natürlich ganz schnell beim Fußball auch so", sagte die Mikrobiologin Professor Barbara Gärtner von der Uni Saarbrücken, Mitglied in der DFL-Taskforce Sportmedizin, kürzlich dem NDR. Bedeutet: So rasant wie die Fallzahlen allgemein aktuell steigen, ist eine Infektion auch in den Stadien wesentlich wahrscheinlicher als noch mit der Delta-Variante.
Corona: Jedes Spiel ohne Zuschauer kostet BVB vier Millionen Euro
Deshalb will etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder an seiner Null-Toleranz-Einlasspolitik im Fußball vorerst festhalten. "Wir müssen uns die nächsten zwei, drei Wochen anschauen. Sollte sich Besserung herausstellen, werden wir über andere Modelle diskutieren", sagte der CSU-Politiker im Sport1-Doppelpass. "Wenn die Gefahr für die Krankenhäuser nicht mit der Delta-Variante vergleichbar sein sollte, müssen wir das zugrunde legen und schauen, wie wir damit umgehen."
Ansonsten aber könnte eine signifikante Rückkehr der Zuschauer wie in den vergangenen beiden Jahren noch Monate auf sich warten lassen, was die Klubs laut Hans-Joachim Watzke nicht mehr lange durchhalten würden: "Das wird einem ganzen Wirtschaftszweig den Garaus machen. Jedes Spiel ohne Zuschauer kostet uns vier Millionen Euro. Das ist wirtschaftlich kaum noch zu verkraften. Zudem wird die Verbindung zwischen dem Klub und seinen Fans ein gutes Stück weit zerstört. Ein Teil der Zuschauer wird nicht zurückkommen. Das führt dazu, dass wir noch größere Probleme bekommen werden in fünf oder zehn Jahren."
Doch schon jetzt gibt es mehrere Vereine, "die wirklich auf dem Zahnfleisch gehen", wie Spielerberater Volker Struth der Sport Bild sagte. Trotz dieser prekären Lage hat es der organisierte Fußball in der Winterpause geschafft, ein klassisches Eigentor zu schießen.
Die Infektionen von zahlreichen Spielern auf Flugreisen in die Ferne haben das angekratzte Image der Millionäre in kurzen Hosen weiter verschlechtert. Denn nicht alles, was legal ist, ist angesichts der Krise und der möglichen Folgen auch legitim, wie nicht nur der kicker bemerkte. "Diese Arglosigkeit gefährdet. Zuvorderst andere Menschen, zudem den Erfolg des eigenen Vereins und wirtschaftliche Existenzen", kommentierte das Fachblatt: "Corona-Infektionen von Fußballern sind kein besonders gutes Argument bei der Politik, wenn es im Frühjahr darum gehen wird, grünes Licht für möglichst volle Stadien zu bekommen. Geisterspiele mögen auch die Profis treffen. Emotional. Finanziell aber treffen sie den Bratwurstverkäufer, den Mini-Jobber in der Parküberwachung oder im Sicherheitsdienst. Es wäre eine Frage des Respekts auch gegenüber diesen Menschen gewesen, Kontakte über den kurzen Weihnachtsurlaub zu reduzieren."