Der VfB Stuttgart darf dank des 2:2 gegen den FC Bayern München am 33. Spieltag der Bundesliga praktisch mit der Relegation planen, sogar der direkte Klassenerhalt ist wieder möglich. Doch hätte Rekordmeister FC Bayern München das Spiel gewinnen müssen, um den Abstiegskampf der Bundesliga nicht zu beeinflussen? Das Pro und Contra.
PRO: Bayern muss zu Hause einfach gegen den Tabellen-16. gewinnen
Von Martin Volkmar
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das 2:2 der Bayern gegen den VfB Stuttgart am 33. Spieltag der Bundesliga hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Nicht nur bei den Anhängern der anderen Abstiegskandidaten, sondern auch beim neutralen Fan.
Denn statistisch gesehen war ein Heimsieg des Rekordmeisters angesichts der Dauer-Dominanz in der Liga allgemein und speziell gegen den VfB eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Seit 2010 haben die Münchner 21 von 22 Pflichtspielen gegen die Schwaben gewonnen, häufig hoch wie die Torbilanz von 65:20 verdeutlicht - etwa beim 5:0 in der Hinrunde. Der einstige Südrivale war zuletzt kein wirklicher Gegner mehr für den FCB.
Einzig im Mai 2018 am letzten Spieltag der Saison, als die Bayern schon lange als Meister feststanden, kassierten sie vor der Übergabe der Schale eine 1:4-Heimklatsche. Auch am Sonntag stand der Titelgewinn seit Wochen fest und auch diesmal wäre die Meisterfeier beinahe von einer Pleite gegen die mutigen Gäste getrübt worden.
Der entscheidende Unterschied zu 2018: Damals ging es zwischen Bayern und Stuttgart nur noch um die Goldene Ananas, diesmal um den Abstiegskampf. Deshalb hatten die VfB-Rivalen nachvollziehbarerweise einen ähnlich klaren Bayern-Erfolg erwartet wie gegen die anderen Teams ab Platz 15, gegen die die Münchner alle Spiele für sich entschieden haben.
FC Bayern: Gegen VfB Stuttgart weit von Normalform entfernt
Angesichts der erneut nicht meisterwürdigen Leistung eine Woche nach dem lustlosen 1:3 in Mainz müssen sich die Bayern aber den Vorwurf gefallen lassen, den Abstiegskampf verzerrt zu haben. Gerade nach der Mannschaftstour nach Ibiza in der vergangenen Woche. So nachvollziehbar der Trip und die nachlassende Spannung aufgrund des feststehenden Titels sind: Für die Kontrahenten der Stuttgarter kam er zur absoluten Unzeit.
Mit dem eigentlich erwartbaren Bayern-Pflichtsieg wäre der VfB nicht mehr direkt zu retten gewesen, nun aber könnte Hertha BSC noch auf den Relegationsplatz abrutschen. Daran sind die Berliner natürlich vor allem selbst schuld, trotzdem kann man die Enttäuschung verstehen, dass der Spitzenreiter ausgerechnet gegen den Drittletzten weit von seiner Normalform entfernt war.
FC Bayern: Bundesligatabelle nach dem 33. Spieltag
Platz | Team | Sp. | Tore | Pkt. |
1. | Bayern München | 33 | 95:35 | 76 |
2. | Borussia Dortmund | 33 | 83:51 | 66 |
3. | Bayer Leverkusen | 33 | 78:46 | 61 |
4. | RB Leipzig | 33 | 71:36 | 57 |
5. | Freiburg | 33 | 57:44 | 55 |
6. | Union Berlin | 33 | 47:42 | 54 |
7. | Köln | 33 | 51:47 | 52 |
8. | Hoffenheim | 33 | 57:55 | 46 |
9. | Mainz 05 | 33 | 48:43 | 45 |
10. | Borussia M'gladbach | 33 | 49:60 | 42 |
11. | Bochum | 33 | 36:49 | 42 |
12. | Eintracht Frankfurt | 33 | 43:47 | 41 |
13. | Wolfsburg | 33 | 41:52 | 41 |
14. | Augsburg | 33 | 37:55 | 35 |
15. | Hertha BSC | 33 | 36:69 | 33 |
16. | Stuttgart | 33 | 39:58 | 30 |
17. | Arminia Bielefeld | 33 | 26:52 | 27 |
18. | Greuther Fürth | 33 | 27:80 | 18 |
CONTRA: Es hätte viel mehr solcher Spiele geben müssen
Von Filippo Cataldo
In der Tat: Ein fast schon glückliches Unentschieden gegen einen Abstiegskandidaten am Tag der Meisterschalenübergabe ist nicht gerade das, was Karl-Heinz Rummenigge, Erfinder zahlreicher Wortneuschöpfungen und ehemaliger Vorstandschef des FC Bayern München, als bayern-like definieren würde.
Doch das 2:2 am Sonntag gegen einen VfB Stuttgart, der rein von der Qualität der Spieler und ihres Spiels eigentlich ohnehin nichts im Abstiegskampf verloren haben dürfte, entsprach ziemlich genau dem, was der FC Bayern derzeit zu leisten imstande ist.
Die spielerischen Leistungen der Bayern waren in der Rückrunde nur selten wirklich bayern-like. In einer funktionierenden Liga mit Rivalen, die diese Bezeichnung auch verdienen, wären die Bayern in der Rückrunde nie auf 33 Punkte in bisher 16 Spielen gekommen. Der VfB Stuttgart deckte in den unterhaltsamen 90 Minuten schlicht die Probleme der Mannschaft von Trainer Julian Nagelsmann auf:
- Die Bayern lassen zu viele Torschüsse zu, 15 waren es gegen den VfB, 22 sogar in der vergangenen Woche beim 1:3 beim 1. FSV Mainz 05.
- Das Gegenpressing der Münchner ist nicht aggressiv und konsequent genug, was wiederum immer wieder die Innenverteidiger in Kalamitäten bringt. "Unser Gegenpressing ist das, was mir mehr Sorgen bereitet. Das müssen wir besser in den Griff kriegen", sagte ja auch Nagelsmann am Sonntag.
- Nagelsmann fremdelt weiter mit der im Klubumfeld und dem Vernehmen nach auch innerhalb der Mannschaft präferierten Viererkette; nach dem 2:2 nannte er jedenfalls wieder Argumente für eine Dreierkette. Da sei "die Restverteidigung klarer" und man habe trotzdem hoch stehende Außenverteidiger. Ohne funktionierende Restverteidigung "musst du entweder sehr ballsicher sein oder extrem schnell ballseitig verschieben mit dem anderen Außenverteidiger. Oder, und das ist der Schlüssel, das Gegenpressing muss halt gnadenlos gut sein mit sehr viel Power. Wenn dieses Zusammenspiel nicht funktioniert, ist es in letzter Instanz die Kette, die nicht gut aussieht", sagte Nagelsmann. Bei Bayern funktioniert derzeit aber weder das schnelle Verschieben, noch das Gegenpressing.
- Gegen Stuttgart kam noch ein total überforderter Tanguy Nianzou hinzu, der sich eher für eine Ausleihe empfahl als für die Nachfolge des von den Bayernfans angemessen süffig verabschiedeten Niklas Süle.
FC Bayern und VfB Stuttgart können nichts für Bielelfeld- und Hertha-Pleiten
Das alles führte in Kombination mit dem erfreulich mutigen Ansatz der Stuttgarter im Abstiegskampf und einer trotz der beschriebenen Schwächen vor allem in der ersten Halbzeit dominanten Vorstellung der Bayern zu einem rasanten und höchst unterhaltsamen Fußballspiel, von dem es in der Bundesliga zu wenige gibt und über das man sich als Fußballfan eher freuen als ärgern sollte.
Dazu kommt: Den Bayern war selbst in den schwachen Phasen gegen Stuttgart anzumerken, dass sie eine Woche nach dem in der Tat indiskutablen 1:3 gegen Mainz und der reichlich populistischen Debatte um die Ibiza-Reise eines Teils der Mannschaft weitere Zweifel an ihrer Seriosität gar nicht erst aufkommen lassen wollten: Bis auf Nianzou hatte Nagelsmann die logischste und beste Startelf aufs Feld geschickt, die Münchner Druckphase nach dem 0:1 gehörte zu den besten in dieser Saison und Kingsley Coman wartete mit seiner Tätlichkeit gegen Konstantinos Mavropanos auch, bis das Spiel so gut wie vorbei war.
Natürlich hat das 2:2 den Stuttgartern im Abstiegskampf geholfen, doch mit Wettbewerbsverzerrung hätte das auch dann nichts zu tun gehabt, wenn Hertha BSC sein Spiel gegen Mainz und Arminia Bielefeld ihre Partie gegen den VfL Bochum gewonnen und nicht verloren hätten.
Sich einerseits über mangelnde Spannung und die Vorhersehbarkeit in der Liga zu ärgern und andererseits zu beschweren, wenn die Bayern nicht jedes Spiel gewinnen: das funktioniert nicht.