FC Schalke 04 - Finanz-Vorständin Christina Rühl-Hamers im Interview: "Der Fußball muss sich in Sachen Diversität ganz sicher verändern"

Jochen Tittmar
09. August 202208:45
Christina Rühl-Hamers arbeitet seit 2010 beim FC Schalke 04.imago images
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Christina Rühl-Hamers ist seit ihrer Kindheit Fan des FC Schalke 04, spielte selbst ambitioniert Fußball und kam durch einen Zufall zu einem Job bei ihrem Herzensverein. Heute ist die 46-Jährige Mitglied des S04-Vorstands und zuständig für die Bereiche Finanzen, Personal und Recht.

Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Rühl-Hamers über ihre jäh beendete Fußball-Karriere, ihr anfangs vermiestes Fan-Dasein auf Schalke und den Frauen-Mangel in der Fußballbranche.

Die erste Frau, die im Vorstand eines deutschen Fußball-Erstligisten das Finanzressort verantwortet, erzählt zudem von einem speziellen Excel-Dokument, von Schalkes Königstransfer, und sie erklärt, wie brisant die finanzielle Situation der Knappen wirklich ist.

Frau Rühl-Hamers, Sie sind durch Ihre Familie schon als Kind zum Schalke-Fan geworden. Seit dem 1. April 2010 sind Sie auch bei S04 angestellt, damals ging es als Leiterin Rechnungswesen und Steuern los. Käme eines Tages auch mal ein anderer Verein in Frage?

Christina Rühl-Hamers: Nein. Ich würde für keinen anderen Fußballklub arbeiten, ich kann mir das nicht vorstellen.

Sie sind in Recklinghausen aufgewachsen und oft ins damalige Parkstadion gegangen. Wie sah Ihr Fan-Dasein konkret aus?

Rühl-Hamers: Ich kann nicht sagen, wie viele Spiele ich gesehen habe, aber wir hatten keine Dauerkarte. Mein Opa war viel unterwegs und hat mir Trikots aus England oder Schottland mitgebracht. Schalke war als Klub aber immer gesetzt, das gehörte einfach dazu. Meine Mutter war nicht gerade begeistert, wenn ich mit meinen Schalke-Trikots herumgerannt bin. (lacht)

Sie haben in Ihrer Kindheit und Jugend viele Ballsportarten ausprobiert, sind aber beim Fußball hängengeblieben und haben mit elf Jahren in einem Verein angefangen: Blau Weiß Post Recklinghausen. Stimmt es, dass Ihre Mutter jahrelang dagegen war und erst der Opa das Eis brechen konnte?

Rühl-Hamers: Ja. Meine Mutter fand nicht, dass ich unbedingt in einem Verein spielen muss. Das war damals einfach nicht üblich. Ich war aber schon sehr früh fußballaffin und habe mit den Nachbarjungs auf der Straße gekickt. Mein Opa hat mir dann zum Geburtstag Fußballschuhe und eine komplette Ausrüstung geschenkt. Mit seiner Unterstützung habe ich so lange gebettelt, dass ich sie endlich so weit hatte und in einen Verein durfte.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Christina Rühl-Hamers in Mittersill zum Gespräch.spox

Schalke 04 - Rühl-Hamers: "Bin ich in ein Loch gefallen"

Sie wurden Außenstürmerin und wechselten später zum Stadtrivalen SG Rot-Weiss Hillen, der in einer höheren Liga spielte. Wie sahen Ihre Ambitionen aus?

Rühl-Hamers: Ich war sehr ehrgeizig. Ich wollte schon in der Bundesliga spielen.

Das klappte 1995, als Sie mit Hillen dorthin aufstiegen. Sie wurden auch regelmäßig in die Westfalenauswahl berufen und spielten in der U16 für die Junioren-Nationalmannschaft. Wohin hätten Sie es schaffen können, wenn nicht Verletzungen Ihre Karriere beendet hätten?

Rühl-Hamers: Das ist müßig. Hohe Ambitionen hatte ich, doch wenn man mit 16 und 20 zwei Kreuzbandrisse im selben Knie hat, ist es schwer. Plötzlich war ich Sportinvalidin.

Ein Arzt soll damals gesagt haben, Sie hätten ein Knie wie eine 60-Jährige. Wie bitter war es für Sie, aufhören zu müssen?

Rühl-Hamers: Das war sehr schwierig. Ich habe dem Fußball meine ganze Freizeit untergeordnet. Wir haben abends von 20 bis 22 Uhr trainiert und sonntags um elf Uhr gespielt. Auch durch die Anreisen war es so, dass man die Wochenenden komplett auf das Spiel ausgerichtet hat und am Samstagabend nicht lange weggegangen ist. Auf einmal musste ich mein Freizeitverhalten von Grund auf umbauen und mir überlegen, was ich denn jetzt eigentlich mache. Da bin ich schon in ein Loch gefallen. Meine Leidenschaft war ja immer noch der Fußball.

Sie erlitten den zweiten Kreuzbandriss im ersten Jahr Ihres Studiums, für das Sie nach Münster zogen. Wieso ist es BWL geworden und nichts mit Sport?

Rühl-Hamers: Weil ich am Fußgelenk verletzt war und die Aufnahmeprüfung in Bayreuth nicht mitmachen konnte. Ich wollte dann nach den zwei Jahren BWL-Grundstudium zum Sport wechseln, doch genau da kam mir der zweite Kreuzbandriss dazwischen. Da wurde mir klar, dass ich mit dem Sport wohl kein Geld verdienen werde. So bin ich bei BWL geblieben.

Haben Sie anschließend gar nicht mehr gegen den Ball getreten?

Rühl-Hamers: Ich war in den ersten ein, zwei Jahren ziemlich weg vom Fußball, weil ich mich davon entemotionalisieren musste. Als ich später anfing zu arbeiten, habe ich bei den Betriebsmannschaften der Unternehmen mitgekickt. Das fiel mir mit meinem Ehrgeiz aber sehr schwer, denn ich war körperlich nicht fit genug, um so zu spielen, wie ich es eigentlich konnte. Dazu hat mir mein Arzt gesagt, es bestünde bei einer weiteren Verletzung die Gefahr, dass mein Knie steif wird.

Schalke 04 - Rühl-Hamers: "Angebot war wie Schicksal"

Bevor Sie zu Schalke kamen, arbeiteten Sie als Associate bei einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft und weitere 13 Jahre in verschiedenen Führungspositionen in der Wirtschafts- und Steuerbranche. Hatten Sie zu dieser Zeit einmal den Hintergedanken, es eines Tages wieder in den Sport zu schaffen oder gar für einen Fußballverein zu arbeiten?

Rühl-Hamers: Überhaupt nicht.

Es war schließlich der damalige Finanzvorstand Peter Peters, der Sie abwarb, als Sie wegen eines Beratungsmandats ab September 2009 ohnehin bereits ein halbes Jahr auf Schalke waren, um dabei zu helfen, die 85 Millionen Euro schwere Schechter-Anleihe abzulösen.

Rühl-Hamers: Ich war gerade erst zu einer neuen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gewechselt. An meinem zweiten Arbeitstag kam mein Chef an und sagte: Wir haben ein neues Beratungsmandat, Schalke 04. Das war für mich natürlich absoluter Wahnsinn. Ich habe ihn im Nachgang mal gefragt: Er behauptet, er habe gewusst, dass ich Schalke-Fan bin. (lacht) Als ich später das Angebot des Vereins bekam, war das mit meiner Vorgeschichte - die ganze Familie Schalke-Fans, selbst Fußball gespielt, ich wollte Sportmanagement studieren - wie Schicksal. Es ist schwer zu erklären, wie das auf diese Weise passieren konnte.

Erst kurz zuvor sind Sie zur staatlichen Wirtschaftsprüferin vereidigt worden und mussten diesen Titel wieder ablegen, als Sie zu Schalke gingen. War es dennoch eine leichte Entscheidung für Sie?

Rühl-Hamers: Ich fand es schon schade, dass ich den Titel wieder zurückgeben musste und mich nicht mehr Wirtschaftsprüferin nennen konnte. Dafür hatte ich hart gearbeitet und anstrengende Prüfungen abgelegt. Nun konnte ich das in dem Sinne gar nicht nutzen. Letztlich war es aber ganz klar eine Herzensentscheidung für Schalke. Ich bin zwar ein verkopfter Mensch, der nicht aus dem Bauch heraus entscheidet, aber lange überlegen musste ich nicht.

Sie wurden somit Direktorin für Finanzen und Personal. Wie ungewohnt war dieser Job in einem emotionalen Umfeld, in dem vor allem das Ergebnis vom Wochenende zählt, für Sie?

Rühl-Hamers: Extrem, das war wirklich eine Herausforderung. Ich saß im Stadion und schaute die Spiele nur in Geld, in Zahlen. Nach dem Motto: Wenn Spieler X nun eingewechselt wird, kostet es das; wenn wir im DFB-Pokal ausscheiden, verpassen wir das. Sich mit den sehr hohen Summen, die im Fußball gängig sind, auseinander zu setzen, aber auch mit dieser Kopplung zwischen Zahlen, Fakten und Emotionalität, war echt schwierig. Das hat mir anfangs bei den Spielen auch das Fan-Dasein etwas vermiest, weil ich sie nicht einfach nur genießen konnte.

Der Schalke Vorstand: Dr. Bernd Schröder, Christina Rühl-Hamers und Peter Knäbel (v.l.n.r.).imago images

Als Sie anfingen, plagte den Verein eine Gesamtschuldenlast von 248,6 Millionen Euro, er war aber Dauergast im internationalen Geschäft. Im Geschäftsjahr 2021 lagen die Verbindlichkeiten bei 183,5 Millionen Euro und man stieg in die 2. Liga ab. Wie blicken Sie darauf?

Rühl-Hamers: 2010 befand sich der Fußball in einer grandiosen wirtschaftlichen Situation mit dem Ausblick Wachstumsmarkt. Da war ganz viel Fantasie im Fußball und man malte sich aus, was alles in Zukunft möglich ist - auch finanziell. Wenn man zehn Jahre später aus einer Pandemie kommt und sich mit dem Szenario 2. Liga beschäftigen muss, ist das eine ganz andere Ausgangslage. Gleichsam unschön ist natürlich die Höhe der Verbindlichkeiten.

Was ist denn sozusagen die optimale Höhe oder ein gutes Verhältnis bei den Verbindlichkeiten?

Rühl-Hamers: Wir sind nun einmal ein eingetragener Verein und haben daher keine andere Möglichkeit, als eine Finanzierung über Fremdkapital zu machen. Insofern sind Verbindlichkeiten in einem eingetragenen Verein gewissermaßen nicht unüblich. Ich freue mich, dass wir sie in unserer aktuellen Situation abbauen konnten. Doch wir sind noch nicht dort, wo wir sein wollen. Wir wissen, dass das noch ein langer Weg ist und wir ihn Schritt für Schritt gehen müssen. Er wird in der ersten Liga aber einfacher als in der zweiten.

Wie hoch müsste denn die Summe der Verbindlichkeiten sein, damit Sie fürs Erste zufrieden sind?

Rühl-Hamers: Das hängt von vielen Faktoren ab und kann nicht so einfach beziffert werden. Wir wollen handlungsfähig sein und gestalten - nicht nur reagieren, sondern agieren. Dazu braucht man eine Fälligkeitsstruktur, die in unterschiedliche Szenarien reinpasst. Ich würde sagen, dass wir bei den aktuellen Beträgen noch nicht ganz am Ziel angekommen sind.

Seit dem 1. Oktober 2020 haben Sie nun das Amt als Vorständin für Finanzen, Personal und Recht inne. Beim Bewerbungsverfahren dazu waren Sie unter knapp 100 Kandidaten die einzige Frau. Ist das nicht ein Armutszeugnis für die Branche?

Rühl-Hamers: Die wichtigen Fragen sind ja: Aus welchen Gründen ist die Fußballbranche insbesondere für Frauen, die nicht von Hause aus fußballaffin sind, nicht interessant? Nach welchen Kriterien geht eine Frau, die ihr Studium abgeschlossen hat, in welche Branche - und wo steht der Fußball in dieser Reihe? Wenn eine Frau, die nicht viel mit Fußball zu tun hat, von außen darauf schaut, wie ordnet sie ihre Entwicklungsmöglichkeiten in dieser Branche ein?

Wahrscheinlich eher suboptimal, da sie sehr von starken Männern in verantwortlichen Positionen dominiert ist.

Rühl-Hamers: Beim Thema Patriarchat und der Art, wie zusammen gearbeitet und entschieden wird, entspricht der Fußball in vielen Fällen nicht gerade dem jungen, modernen Unternehmen. Da hat er schon noch seine eigenen Strukturen - und die sind anscheinend für junge, dynamische Frauen nicht ganz so attraktiv. Der Fußball muss sich in Sachen Diversität ganz sicher verändern und öffnen, weil er stark davon profitieren würde. Es ist nachgewiesen, dass diese Diversität auch zu wirtschaftlich besseren Entscheidungen und Ergebnissen führt.

Schalke 04 - Rühl-Hamers: "Keine blöden Sprüche gehört"

Sie sind auch die erste Frau, die im Vorstand eines deutschen Fußball-Erstligisten das Finanzressort verantwortet. Sind Sie eine ungewollte Pionierin?

Rühl-Hamers: Ich mache mir da nicht so viele Gedanken. Es braucht grundsätzlich einen Kulturwechsel in der gesamten Branche. Wir sollten die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsumfeld so weit verändern, dass diese Strukturen für Frauen wie selbstverständlich attraktiv sind. Der Fußball ist weiterhin sehr stark von einzelnen Persönlichkeiten geprägt. Die Frage ist, ob das die Zukunft sein soll, wenn andere Unternehmen in dieser Hinsicht schon längst anders aufgestellt sind und eher inhaltliche Themen als einzelne Personen in den Vordergrund rücken.

Was sagen Sie als Frau unter lauter Männern und Alphatieren - ist das empfehlenswert?

Rühl-Hamers: Diese Zeiten gehören zumindest auf Schalke der Vergangenheit an. Grundsätzlich kann man von starken Persönlichkeiten und Charakteren immer etwas lernen - vielleicht aber auch genau das, was man selbst nicht machen will. Ich habe nie gefühlt, dass ich so etwas wie eine Ausnahme in dieser Branche bin. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich irgendwann einmal mit blöden Sprüchen konfrontiert war. Es kann aber auch gut sein, dass ich sie einfach nicht gehört habe.

Die Frau, die über Schalkes Finanzen herrscht: Christina Rühl-Hamers.imago images

Als Sie in diesem Amt loslegten, wie deutlich anders stellte sich letztlich die Realität im Vergleich zu Ihren Vorstellungen dar?

Rühl-Hamers: Ich habe mir zunächst Gedanken gemacht, was meine veränderte Rolle genau bedeutet. Wir haben uns zusammen mit der Kommunikationsabteilung gefragt, wie stark der Finanzbereich in die Öffentlichkeit treten soll. Ich persönlich bräuchte das nicht und finde, dass das in normalen, geordneten Zeiten für den Finanzbereich nicht notwendig ist. Mein Ziel ist, dass über den Finanzbereich nicht geschrieben oder gesprochen werden muss, weil ohnehin allen klar ist, dass der läuft und funktioniert. Mir ist keine Schlagzeile über den Finanzbereich lieber als eine Schlagzeile.

Ihnen dürfte jedoch schnell klar geworden sein: Das funktioniert auf Schalke in dieser Situation so ja eher nicht.

Rühl-Hamers: Das stimmt, aber das ist zumindest mein Idealbild. (lacht) Durch die Tatsache, dass wir uns weiterhin in der Corona-Krise befanden und abgestiegen sind, gerieten die Finanzthemen sehr in den Vordergrund. Deshalb habe ich eine andere Rolle einnehmen müssen, als ich es mir vorher vorgestellt hatte - und das war in dieser Situation auch gut so.

Sie haben sich sozusagen der Transparenz gebeugt, die diese Thematik eben auch mit sich bringt?

Rühl-Hamers: Man muss die Menschen schlichtweg so mitnehmen, dass verstanden wird: Was geht und was geht nicht, wie ist der aktuelle Stand, wie stark belastet er auch die Zukunft? Das führt dann dazu, dass man sich überlegen muss, welches Vokabular man benutzt, um beispielsweise eine Gewinn- und Verlustrechnung zu erklären. Damit da eben nicht nur immer harte Zahlen veröffentlicht, kommentiert und analysiert werden, sondern die Geschichte dahinter nachvollziehbar wird. Das ist mir ein großes Anliegen, denn die Zahlen sind einfach interpretationsbedürftig und ohne Erklärung nicht so leicht zu verstehen. Man muss sich auf die Aussagen, die wir treffen, verlassen können. Das Feedback zu dieser Transparenz, ob von Fans oder Medien, war sehr positiv - und sie nimmt auch falschen Gerüchten den Nährboden.

Schalke 04 - Rühl-Hamers: So funktioniert die Kaderplanung

Bevor Rouven Schröder als Sportdirektor auf Schalke unterschrieb und den Kader nach dem Abstieg großflächig umbaute, hatten Sie mit ihm ein zweistündiges Gespräch per Video, in dem Sie ihm deutlich machten, was bei S04 finanziell drin ist. Wie hat er darauf reagiert?

Rühl-Hamers: Er hat mir danach gesagt, dass er mehrere vollgeschriebene Zettel vor sich hatte und die mit dem verglich, was man ihm bereits zuvor gesagt hat. (lacht) Wir mussten einem potenziellen Sportdirektor unmissverständlich erklären, was die Aufgabe ist, damit nachher niemand kommt und sagt: Hätte ich das mal gewusst! All unsere Planungen und Gedanken, die wir uns auch aus finanzieller Sicht schon monatelang gemacht haben, wurden sehr ausführlich mit Rouven besprochen. Er wollte auch wirklich alles im Detail wissen. Denn es war klar: Wenn er unterschreibt, muss er auch sofort starten.

Welche Planungen und Gedanken waren das?

Rühl-Hamers: Wir hatten beispielsweise unterschiedliche Finanztöpfe für die Kaderzusammenstellung. Dazu mussten wir überlegen, wie wir zeitlich alles angehen wollen, welche Beschränkungen es gibt, wie wir mit Corona umgehen, wie wir den Kader einschätzen und wie Rouven. Mir war wichtig, dass der künftige Sportdirektor versteht, wie wir aus dem Finanzbereich denken und wie essentiell diese Schnittstelle ist.

Es wurde dann ein finanzieller Rahmen geschaffen, innerhalb dessen die sportlich Verantwortlichen um Sportvorstand Peter Knäbel und Schröder eigenständig agieren konnten - was nicht ausschloss, dass über Einzelfälle diskutiert wurde. Inwiefern war und ist es quasi überlebenswichtig, dass der Sport und die Finanzabteilung nicht gegenseitig die jeweilige Rolle untergraben?

Rühl-Hamers: Das war Grundbedingung - dass das eben kein einmaliges Gespräch zwischen Rouven und mir ist und er dann loslegt, sondern dass dieser Umbruch nur vom Sport und den Finanzen gemeinsam bewältigt werden kann. Wir haben dann zusammen ein Excel-Dokument erarbeitet, an dem wir das gesamte Transferfenster über gearbeitet haben: Das ist der aktuelle Kader und Topf eins. Hier sind die Kaderveränderungen, das ist Topf zwei. Dort steht diese Summe darunter, die aufgeteilt ist in jene Teilsummen. Wenn ein Neuzugang kommt, liegt genau folgender Entscheidungsprozess dahinter und es passiert dieses und jenes. All dies taten wir, damit unter den festgelegten Regeln und Rahmenbedingungen klar war, dass wir alle das gleiche Ziel verfolgen.

Wie sahen diese Regeln konkret aus, können Sie zumindest zu den Grundzügen ein paar Details nennen?

Rühl-Hamers: Das Budget des Kaders inklusive des Funktionsteams war grob eingeteilt. Wir haben es aber auch auf jeden einzelnen Kaderplatz heruntergebrochen und somit jede Position budgetiert. Das ganze System war natürlich sehr dynamisch. Konnten wir einen Spieler unterhalb des budgetierten Wertes verpflichten, war ein entsprechend höheres Budget für andere Positionen da. Wir haben auch Regeln zum zeitlichen Ablauf aufgestellt. Was die Kaderzusammenstellung betraf, hieß das: Lieber erst einmal die Achse beisammen haben und nicht direkt drei Stürmer kaufen. Die Maßgabe war, zum Trainingslager die ersten Elf an Bord zu haben, damit die Mannschaft ein Gesicht bekommt. Bis dahin musste aber auch eine gewisse Anzahl an Abgängen stattgefunden haben. Rouven hat das mit seinem Team und in der Zusammenarbeit mit Finanzen hervorragend umgesetzt. Das war für alle ein Marathon.

Wie sehr fiebert man denn da mit, gerade wenn es um Spielerverkäufe geht: Sind Sie öfter einmal zu Schröder gegangen und haben nachgefragt, ob für Spieler X schon ein werthaltiges Angebot eingetroffen ist?

Schalke 04 - Rühl-Hamers: "Schröder war der Königstransfer"

Rühl-Hamers: Wir haben sehr regelmäßig gesprochen. Er musste natürlich nicht mit jeder Idee ankommen, sondern dann, wenn sich etwas konkretisiert hat oder man eine Taktik besprechen wollte: Wie geht er hinaus auf den Markt, welche Zielvorstellung haben wir, wie geht man die Verhandlungen strategisch an? Rouven hat schnell gezeigt, wie autark er arbeiten kann. Er ist unheimlich stark in den Verhandlungen mit den Vertragspartnern. Im Zusammenspiel mit ihm ist nie eine Situation eingetreten, in der man ihm sagen musste: Das geht jetzt aber nicht! Er wusste immer genau, in welchem Rahmen er agieren kann - und das hat uns sehr viel Sicherheit gegeben.

S04 hat trotz des Abstiegs und der Corona-Pandemie die Schulden im Geschäftsjahr 2021 um 33,5 Millionen Euro gesenkt. Auch der Personaletat der Profimannschaft ging von 80 auf 20 Millionen Euro herunter. War Schröder als Sportdirektor der Schalker Königstransfer?

Rühl-Hamers: Ja, weil er die Aufgabe dermaßen angenommen und sich mit all seiner Energie reingeworfen hat. Um in diesem schwierigen Geschäft so viele Kaderbewegungen abzuwickeln und Personalentscheidungen zu treffen, dafür braucht man ganz viel Eigenmotivation und Leidenschaft. Daher kann man das absolut so über ihn sagen.

Glauben Sie, das hätte Ralf Rangnick auch so gut hingekriegt?

Rühl-Hamers: (lacht) Das kann ich nicht beantworten.

Wäre Rangnick wie beabsichtigt zu Schalke gewechselt, hätte er wohl viel Macht auf sich vereint und wäre in jedem Fall eine dominante Persönlichkeit gewesen. Ist es für den Verein vielleicht doch besser gewesen, dass es nicht so gekommen ist?

Rühl-Hamers: Die erfolgreiche Arbeit von Ralf Rangnick an verschiedenen Standorten ist unbestritten. Ich habe nie mit ihm zusammengearbeitet, deshalb kann ich nicht einschätzen, wie er in dieser Situation in das Konstrukt Schalke gepasst hätte. Wie besprochen hat der Fußball den Hang zu diesen starken Persönlichkeiten und sehnt sich manchmal sogar richtig nach ihnen - in der Hoffnung, dass ein vermeintlicher Heilsbringer schon alles regelt. Ich frage mich, ob das nicht auch viel zu viel Verantwortung für eine einzelne Person ist. Wir haben zumindest die Erfahrung gemacht, dass es auch sehr erfolgreich sein kann, wenn man die Aufgaben gut aufteilt und sie als Team angeht.

Als Sie diese Zahlen im März vorstellten, sagten Sie: "Wir sind auf dem richtigen Weg." Wie sehr steht Schalke dennoch weiterhin am Abgrund?

Rühl-Hamers: Die wichtigste Aussage ist: Schalke ist stabil und handlungsfähig. Wir sind aber noch lange nicht da, wo wir einmal hinwollen. Deshalb ist auch noch lange nicht alles gut, und vor uns liegen immer noch viele Herausforderungen. Die Krisen, durch die wir gehen mussten und die auch noch nicht vorbei sind, haben uns eines ganz klar aufgezeigt: Man muss ein Unternehmen so aufstellen, dass es widerstandsfähig ist, wenn es solche Krisen gibt. Wir haben uns eine gewisse Stabilität und Resilienz erarbeitet, aber brauchen noch ein viel dickeres Fundament.

Schalke 04 - Rühl-Hamers: "Kleine Schritte wären gesünder"

Wie gelingt das?

Rühl-Hamers: Wir sind mit Vorerkrankungen in die Pandemie gegangen - eine toxische Kombination. Du musst gesund sein, dann kannst du auch eine Krise besser abfedern. Deshalb ist für mich auch nicht die Höhe der Verbindlichkeiten ausschlaggebend, sondern die Verbindlichkeiten in ihrer Struktur. Insbesondere die Fälligkeitsstruktur muss so sein, dass sie einen in einer Krise nicht so belastet und in der Handlungsfähigkeit einschränkt, dass man die Krise nicht bewältigen kann. Für uns heißt es daher, die Stellschrauben zu identifizieren, um unser Fundament dicker zu bekommen. Wenn wir es dem Plan folgend schaffen, uns in der Bundesliga zu etablieren, dann wird das auch Schritt für Schritt gelingen - weil Schalke so groß ist und eine unheimliche Strahlkraft besitzt, die vieles möglich macht. Wir haben einen Plan und einen glasklaren Weg vor Augen.

Würden Sie auch einen sehr großen Schritt nehmen oder wäre es sinnvoller, sich in kleinen Etappen in der Bundesliga zu etablieren, um widerstandsfähiger zu werden?

Rühl-Hamers: Von unserer Herangehensweise wäre Letzteres gesünder. Es ist aber auch toll, wenn man einmal große Schritte machen und Stufen überspringen kann. Das ist nicht ausgeschlossen und ich würde mich sportlich auch nicht dagegen wehren. Entscheidend ist bei alledem die Balance.

Sollte Schalke in den nächsten Jahren in der Bundesliga bleiben, wie lange wird es dann ohne größere Ausreißer nach oben oder unten dauern, bis sich die Finanzen erholt haben?

Rühl-Hamers: Das lässt sich nicht seriös prognostizieren, dazu ist der Fußball zu volatil und die gesellschaftlichen Herausforderungen, die wir alle gerade spüren, zu groß. Wir wollen in den nächsten zwei Jahren den Klassenerhalt schaffen, weil uns in dieser Zeit die finanziellen Belastungen der Altlasten in der Handlungsfähigkeit weiter einschränken werden. Anschließend kann Schalke wieder zu seiner Kraft zurückkommen. Wenn man sich anschaut, welche Kraft in unserer Umsatzposition, der Anzahl der Mitglieder oder der Sponsoren steckt, das ist ja Wahnsinn. Dies müssen wir nur auf die Bahn bringen und mit unseren Werten leben - dieser Gleichklang ist extrem wichtig. Auf diesem Weg haben wir in den vergangenen Monaten wichtige Schritte bewältigen können. Die kommenden zwei Jahre werden nicht einfach, aber für danach hätte ich ganz viel Fantasie. (lacht)