Keine Frage: Der Transfersommer des FC Bayern München hat gut begonnen. Es braucht zwar nicht unbedingt einen Doktor in Spielerverpflichtungswissenschaften, um den unbedingt wechselwilligen Wadenbeißer-Mittelfeldmann Konrad Laimer mit einem Jahr Anlauf und den beim BVB wieso auch immer nicht mehr gewollten ultraflexibel einsetzbaren Raphaël Guerreiro ablösefrei nach München zu holen; auch der Transfer von Innenverteidiger Min-Jae Kim war zumindest nicht ultra-kompliziert: der Koreaner hatte bei der SSC Neapel eine Ausstiegsklausel. Doch alle drei Spieler scheinen das Potenzial zu haben, dem deutschen Rekordmeister weiterhelfen zu können.
Doch seitdem hakt es, alle weiteren ernsthaft vorangetriebenen und verbrieften Transferbemühungen scheiterten (Declan Rice und wahrscheinlich auch Kyle Walker) oder entwickelten sich zu unendlichen Geschichten, zäh wie Kaugummi und mit einem ähnlichen Nervpotenzial wie in der Hosentasche vergessener Kaugummi (Harry Kane und vielleicht auch Kyle Walker).
Um hier keinen falschen Zungenschlag reinzubekommen: Das ist kein Vorwurf an niemanden!
FC Bayern: Das Wohl und Wehe des Klubs hängt nicht von Harry Kane ab
Die FCB-Verantwortlichen, allen voran die aus dem Ruhestand in die erste Reihe zurückgekehrten Klub-Erfinder Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, mögen vielleicht nicht mit der Unentschlossenheit von Rechtsverteidiger Walker gerechnet und sich bei der Stürmersuche womöglich etwas zu sehr auf Kane konzentriert und auf das Einlenken von Tottenham-Boss Daniel Levy gesetzt haben. So, wie sie sich zuvor schon etwas zu sehr auf Declan Rice festgelegt hatten bei der Frage nach dem Sechser der Zukunft.
Doch noch ist genug Zeit, um sich für alle Planstellen noch ein paar Alternativpläne zu überlegen und diese auch umzusetzen, sollte Plan A nicht doch noch klappen.
Und überhaupt: Harry Kane und Kyle Walker sind überragende Spieler und könnten herausragende, aber eben auch sehr teure Neuzugänge sein.
Für das Geld, das die Bayern bereit sind, in die beiden Engländer zu investieren, bekommt man auch ein paar andere sehr gute und vielleicht sogar etwas jüngere Spieler. Sollte es nicht klappen, vor allem mit Kane, dürfte kaum jemand ernsthaft sauer sein auf die Verantwortlichen. Das Wohl und Wehe des FC Bayern hängt nur unwesentlich mehr von den beiden als einst von Juan Bernat ab.
Ganz anders sieht es bei der anderen großen Kaderbaustelle des deutschen Rekordmeisters aus. Der Umgang mit der Torhüterfrage birgt ein enormes Zündstoffpotenzial und hat sogar das Zeug, den Klub in seinen Grundfesten zu erschüttern.
Uli Hoeneß: "Geht es Neuer gut, geht es Bayern gut"
Zwar suchen die Münchner Kaderplaner vordergründig noch immer nach einer nicht zu teuren Nummer 2, die den verletzten Manuel Neuer vielleicht zu Beginn der Saison ersetzen kann. Womöglich auch nach einer etwas teureren Nummer 2, die womöglich sogar auch Neuers Nachfolger werden kann, wenn dieser in einer mittelfernen Zukunft seine Karriere beendet.
Es gilt zwar noch immer der von Hoeneß Mitte Juli formulierte Grundsatz, dass man Neuer "nicht unter Druck setzen" und man deswegen auch "keinen teuren Torwart" verpflichten dürfe. Gehe es Neuer gut, "geht es uns gut", hatte Hoeneß damals noch gesagt.
Zwar formuliert es noch kein Verantwortlicher offen, doch natürlich schwingt längst die Frage mit, wie mittelnah oder sogar nah das Karriereende Neuers ist.
Je länger sich Neuers Genesungsprozess hinzieht, desto hartnäckiger werden auch die Zweifel werden, ob der Kapitän überhaupt wieder sein Leistungsniveau erreichen wird. Und klar ist: Je lauter diese Zweifel, auch der professionellen und passionierten Zuschauer, desto größer der Druck für Neuer, desto komplizierter und brisanter die Situation.
Klar ist: Neuer verdient es, so viel Zeit zu bekommen wie nötig. Glücklicherweise spielt die Tatsache, dass er sich den komplizierten Beinbruch beim privaten Skitourenlaufen zugezogen hat, keine Rolle mehr.
FC Bayern: David de Gea könnte Manuel Neuer auch auf Dauer ersetzen, ist aber sehr teuer
Die Torhüterposition ist ohnehin die sensibelste im Fußball. Der Umgang mit lange verletzten Stammkeepern ist für keinen Verein leicht.
Doch Neuer ist nicht einfach nur der Stammkeeper des FC Bayern. Neuer ist der prägendste Torhüter seiner Generation, die Koan-Neuer-Plakate vor seiner Ankunft sind nur noch eine Anekdote, er ist längst eine Klubikone und mindestens auf einer Stufe mit Sepp Maier und Oliver Kahn. Hoeneß war einst bereit, für Neuer in den Kampf gegen die versammelte "westdeutsche Presse" zu ziehen, als er die Lobby für Marc-André ter Stegen zu groß zu werden wähnte. Neuers Vertrauten und Torwarttrainer Toni Tapalovic zu feuern während Neuer verletzt war, war zwar nicht der Grund für das schnelle Ende von Trainer Julian Nagelsmann, aber die Aktion zahlte deutlich auf Nagelsmanns Misstrauenskonto bei den Verantwortlichen ein.
Klar ist aber auch: Der FC Bayern befindet sich durch Neuers langwieriger Verletzung in einem riesigen Dilemma. Wie hoch darf er ins Regal des Torhütermarkts greifen, ohne Neuer zu vergrätzen oder zu sehr unter Druck zu setzen? Wie tief kann er sich bücken, ohne im Fall der Fälle kein erhebliches und Ziele gefährdendes Qualitätsproblem zu haben? Wenn schon ein exzellenter Torwart wie Yann Sommer in der vergangenen Rückrunde nie unumstritten war, wie würde dann erst der 31-jährige Ersatzkeeper der argentinischen Nationalmannschaft Gerónimo Rulli vom Ajax Amsterdam empfangen werden?
Und was würde erst passieren, falls Bayern nun für viel Geld einen jungen Keeper mit Nummer-1-Potenzial wie Giorgi Mamardashvili holt und Neuer dann doch wieder komplett fit werden sollte? Ruiniert man oder stört zumindest eine potenziell große Karriere eines jungen Keepers? Grüße gehen raus an Alexander Nübel.
Oder zwingt man Neuer nach einer viel zu langen und mühsamen Verletzung tatsächlich in einen potenziell demütigenden Zweikampf mit einem jungen Rivalen? Oder mit einem sehr teuren: Der vereinslose David de Gea, den zuletzt Rekordnationalspieler Lothar Matthäus ins Spiel gebracht hat, hat durchaus die sportliche Qualität für den FC Bayern. Und er wäre mit 32 Jahren auch noch jung genug, um im Fall der Fälle noch einige Jahre die Nummer 1 zu sein. Doch der Spanier gehörte bei Manchester United bis zuletzt mit angeblich rund 30 Millionen Euro Jahresgehalt zu den Top-Verdienern nicht nur seines Klubs, sondern der gesamten Liga. Viel günstiger als Neuer wäre er auch als Ersatzkeeper wohl nicht.
Bayern kann auf der Torhüterposition in diesem Sommer nur wenig richtig machen, aber sehr viel falsch.