Julian Nagelsmann ist ein Mann klarer Worte, die es in diesem Fall aber gar nicht gebraucht hätte. Julian Brandt "hat es verdient", sagte der Bundestrainer zwar über die erste Einladung ins Nationalteam für den Zehner von Borussia Dortmund seit einem Jahr. "Er war in Dortmund, in einer Mannschaft, die nicht im Flow ist, gemeinsam mit Felix Nmecha der Stabilste", urteilte Nagelsmann.
Er schob allerdings auch nach, dass Brandt, der im Sommer seine dritte EM in Folge verpasste, unter normalen Umständen erneut nicht dabei gewesen wäre. Die zahlreichen Verletzten, Brandt kennt diese Situation vom BVB sehr gut, waren durchaus ein wichtiger Grund dafür, den 28-Jährigen mal wieder zu berufen.
"Wenn jetzt der komplette EM-Kader zur Verfügung stünde, wäre er vielleicht nicht dabei. Aber er ist einer von denen, die einspringen, wenn Spieler fehlen", sagte Nagelsmann und forderte: "Er muss es aber auch jetzt bei uns zeigen. Es liegt an ihm, einen nachhaltigen Eindruck zu machen, um seine Chancen zu erhöhen, auch dann nominiert zu werden, wenn der ganze Kader da ist."
Nagelsmanns Beschreibung ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Dortmund ist tatsächlich weit von einem Lauf entfernt und ja, Brandt gehörte in einer instabilen Mannschaft bislang zu den Besseren. Das war es aber auch schon. Natürlich legt man an einen Hochtalentierten wie ihn, dem der BVB vor der Saison die Rückennummer 10 verlieh und von dem man sich den Sprung zum Führungsspieler versprach, einen kritischeren Maßstab an als bei anderen.
Julian Brandt beim BVB weit entfernt von persönlichen Höchstleistungen
"Ich sehe es dieses Jahr als Chance mit ein, zwei Führungsspielern weniger. Da sehe ich mich selbst auch in der Pflicht. Und das erwartet Nuri Sahin auch von mir", sagte Brandt ganz zu Beginn der Saison während der Asien-Reise der Borussia. "Ich strebe nach dem Maximum. Das habe ich immer gemacht und das werde ich auch diese Saison machen."
Vom Maximum sind alle Schwarz-Gelben aktuell kilometerweit entfernt - und Brandt eben auch von seinen persönlichen Höchstleistungen. Es ist richtig, dass er sich in den vergangenen Spielzeiten deutlich weiterentwickelt und schwer gesteigert hat, wenn es um das Spiel gegen den Ball oder die Einsatzbereitschaft geht. Das war ein wunder Punkt in Brandts Spiel. Aus ihm wird gewiss kein Defensivkünstler mehr, aber er hat sich der Notwendigkeit dieses Aspekt durchaus effektiv angenommen.
In der Dortmunder Offensive, die in der Bundesliga mit 18 Toren nach zehn Spieltagen den zu diesem Zeitpunkt schwächsten Wert der vergangenen zehn (!) Jahre aufweist, sind Brandts Bewegungen, Einfälle und technische Fähigkeiten immer wieder herausragend und essentiell für die Angriffe. Brandts Output allerdings ist bislang schwach, das lässt sich nicht leugnen.
Julian Brandt in der Bundesliga noch ohne Tor
Im Vorjahr stand er bereits bei acht Torbeteiligungen am 10. Spieltag, nun weist er fünf nach 16 Pflichtspielen auf. In der Liga traf Brandt noch gar nicht, obwohl er bei seinen insgesamt 18 Schüssen auf einen Expected-Goals-Wert von 1,75 kommt. Sein einziges Tor schoss er in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen Viertligist Phoenix Lübeck.
Die hohe Belastung, der ein Leistungsträger wie er beim von dutzenden Verletzten geplagten BVB ausgesetzt ist, hat sich auch bei Brandt zuletzt deutlich bemerkbar gemacht. 91 Prozent aller möglichen Einsatzminuten riss er in dieser Pflichtspielsaison ab. In den vergangenen sieben Partien kam der 47-malige Nationalspieler aber auf keine Torbeteiligung mehr. Bei der Pleite gegen Mainz gab er weder einen Schuss ab, noch spielte Brandt einen entscheidenden Pass.
Die Partie in der Champions League bei Real Madrid, als Dortmund nach 2:0-Pausenführung noch 2:5 unterging, spiegelte ganz gut nicht nur die bisherige Spielzeit der Westfalen, sondern vor allem auch jene von Brandt wieder. Da war einmal eine sensationelle Grätsche gegen Vinicius Junior, die nach einem BVB-Eckball einen Konter der Madrilenen ausbremste. Auch vor Dortmunds Führung war es Brandt, der die Kugel erobert hatte.
"Fast unersetzlich": Nuri Sahin lobt Julian Brandt
Da waren aber auch eine Vielzahl an Abspielfehlern, in dieser Häufigkeit bei ihm fast schon ein Relikt vergangener Zeiten. Der "Höhepunkt" kam kurz vor dem Ende: Spielt Brandt bei Dortmunds einziger Torchance in der zweiten Halbzeit den Ball genauer in die Mitte, schießen entweder Serhou Guirassy oder Maximilian Beier das 3:2. Sekunden später jedoch war es Brandts unglückliche Aktion, mit der er Lucas Vazquez das dritte Tor für Real auflegte.
Nuri Sahin weiß natürlich um Brandts Wichtigkeit innerhalb seines weiter recht fragilen Gebildes und bezeichnete ihn kürzlich als "für uns fast unersetzlich". Der Borussen-Coach ergänzte: "Was er mitbringt, ist außergewöhnlich. Ich bin eigentlich sehr, sehr zufrieden. Auch, wie er sich gibt, wie er alles analysiert und auch, wie er trainiert. Er ist ein sehr, sehr wichtiger Spieler und ein Fixpunkt in unserem Spiel. Daran lässt er sich auch messen und daran messen wir ihn auch."
Brandts Statements nach den zuletzt ernüchternd verlaufenden BVB-Spielen waren wie meist unmissverständlich. Vogelwild gehe es nach Rückständen auf dem Platz zu, sagte er, jeder sei mit sich selbst beschäftigt, die ständigen Pleiten in der Fremde gingen ihm auf den Sack.
Julian Brandt beim DFB-Team aktuell nur Lückenfüller
Das waren ehrliche, aber auch sehr alarmierende Worte von jemandem, der in seiner sechsten Saison bei den Schwarz-Gelben spielt und deshalb ziemlich genau weiß, wie die permanente Ambivalenz die Suche nach Konstanz erschwert, ja beinahe unmöglich zu machen scheint. Vieles muss beim BVB deutlich besser werden.
Das geht nur, wenn Spieler wie Brandt zügig einen klaren Schritt nach vorne machen und sich endlich ihrer Top-Form nähern. Nur dann hat er zugleich auch eine Chance, in der Nationalmannschaft mehr als nur ein Lückenfüller zu sein.
BVB: Die nächsten Spiele von Borussia Dortmund
Datum, Uhrzeit | Wettbewerb | Gegner |
Sa., 23. November, 15.30 Uhr | Bundesliga | SC Freiburg (H) |
Mi., 27. November, 21 Uhr | Champions League | Dinamo Zagreb (A) |
Sa., 30. November, 18.30 Uhr | Bundesliga | FC Bayern München (H) |
Sa., 7. Dezember, 18.30 Uhr | Bundesliga | Borussia Mönchengladbach (A) |
Mi., 11. Dezember, 21 Uhr | Champions League | FC Barcelona (H) |