Nach Pep Guardiolas Abgang und der Verpflichtung von Renato Sanches haben sich die Wechselgerüchte um Thiago Alcantara gehäuft. Der Spanier fühlt sich jedoch beim FC Bayern wohl und denkt nicht an einen Wechsel. Im kommenden Jahr muss er dennoch sein Potenzial konstanter abrufen, um endlich eine tragende Rolle zu spielen.
Plötzlich geht das Licht aus. Im Pressekonferenz-Raum des Bank of America Stadium in Charlotte ist es auf einmal zappenduster. Thiago Alcantara ist gerade dabei, eine Frage auf Portugiesisch zu beantworten - in der Sprache seines brasilianischen Vaters Mazinho ist er fließend unterwegs - und hinterher für alle Anwesenden noch einmal auf Englisch zu übersetzen, da ereignet sich die Panne.
Für eine kurze Zeit hält der Spanier inne, dann wird es schon wieder hell. Sein Trainer Carlo Ancelotti nutzt den Moment für einen Witz: "Das ist die große Überraschung heute", sagt er. Gelächter unter den anwesenden Journalisten.
Auch Thiago selbst schiebt noch einen lockeren Spruch hinterher, dann fährt er mit seiner Antwort fort.
Zuletzt häuften sich die Spekulationen darüber, dass Thiagos Licht bei den Bayern bald schon erlöschen könnte. Und das, obwohl der spanische Mittelfeldlenker seinen Vertrag erst im vergangenen Jahr bis 2019 verlängert hatte.
Wechsel zu Manchester City?
Vor allem zwei Gründe befeuerten die Gerüchteküche. Zum einen natürlich der Wechsel des Thiago-Förderers Pep Guardiola zu Manchester City. Vor drei Jahren hatte der Katalane mit den markigen Worten "Thiago oder nix" einen Transfer des damals 22-Jährigen zu den Bayern forciert. Immerhin 25 Millionen Euro investierten die Bayern in den La-Masia-Emporkömmling. Wegen seiner Ball- und Passsicherheit galt er immer als Guardiolas Lieblingsspieler.
Andererseits deuteten einige Medien die Verpflichtung des zentralen Mittelfeldspielers Renato Sanches als Vorbereitung auf einen Thiago-Wechsel.
Der mittlerweile 25-Jährige selbst kokettierte öffentlich nie mit City. Stattdessen betonte er, sich bei Bayern München wohl zu fühlen und den Verein nicht verlassen zu wollen.
Dunkle Stunden sind vergessen
Dieser Tage auf der US-Reise demonstriert Thiago in jeder Minute, wie wohl er sich fühlt. Ob ein humorvoller Auftritt bei der Pressekonferenz, ein Moonwalk in der Mixed Zone oder ein Burger-Battle mit Rafinha - er sprüht nur so vor Freude. Auch für die Fans nimmt er sich immer wieder ausführlich Zeit, um möglichst jeden Wunsch nach einem Autogramm oder einem Selfie zu erfüllen. Längst vergessen sind die dunklen Stunden vor zwei Jahren, als er für insgesamt 371 Tage schwer verletzt ausfiel.
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Und auch sportlich wirkt Thiago motiviert. Während der öffentlichen Trainingseinheit in Charlotte versucht er sich gleich bei der ersten Spielübung innerhalb weniger Momente mit zwei artistischen Fernschüssen. Einmal scheitert er nur am Innenpfosten, einmal fliegt das Leder über den Querbalken. Im Training halb so wild, möchte man meinen, doch der Spanier dreht sich jeweils mit verbissen enttäuschtem Gesichtsausdruck um. Seit anderthalb Wochen ist er zurück aus dem EM-Urlaub und wirkt entschlossener denn je.
spoxAuch die drückenden 35 Grad im Bank of America Stadium können Thiago nicht schocken. Auf die Frage während der Pressekonferenz, ob ihm die Hitze zusetze, reagiert der 25-Jährige schmunzelnd mit einer Gegenfrage: "Sie wissen, dass ich Spanier bin, oder? Mir macht die Hitze nichts aus. Außerdem haben wir alles, was wir brauchen, das Wasser steht immer bereit."
Wenngleich der Ballzauberer sich nach außen hin mit seiner letzten Saison zufrieden zeigt, wird man den Eindruck nicht los, dass er sich deswegen so reinkniet, weil er weiß, dass er in der kommenden Spielzeit den nächsten Schritt machen muss.
Passsicher, technisch stark, risikoreich
Seine großen Fähigkeiten zeigte Thiago in seinen ersten drei Jahren bei Bayern immer wieder. Er ist enorm passsicher, technisch stark und traut sich, den riskanten Pass zu spielen. Dazu hat er sich in der Defensivarbeit stark verbessert. Das Problem: die fehlende Konstanz. Immer wieder, speziell in wichtigen Spielen, ließ seine Präsenz zu wünschen übrig.
Man ist geneigt anzunehmen, man habe "den echten Thiago" aufgrund immer wiederkehrender Verletzungsprobleme noch nicht gesehen. Doch der Schein trügt: "Wieso? Ich habe doch im letzten Jahr schon die ganze Saison gespielt. Ich fühle mich gut", sagt er.
Tatsächlich verpasste der Spanier in der vergangenen Spielzeit nur einige Partien im Herbst wegen einer Bänderverletzung.
Noch keine tragende Rolle bei Bayern und Spanien
Die tragende Rolle, die ein Mann mit seinen Qualitäten spielen könnte oder sogar müsste, hatte er allerdings nicht inne. Im entscheidenden Rückspiel des Champions-League-Halbfinals gegen Atletico Madrid ließ ihn Guardiola 90 Minuten auf der Bank.
Auch die EM in Frankreich verlief für Thiago persönlich enttäuschend. Zwar stand er im Kader der Furia Roja, es reichte jedoch nur zu zwei Kurzeinsätzen mit insgesamt 26 Spielminuten. Für das riesige Potenzial, das der einstige La-Masia-Schüler zweifelsohne hat, ist das nach einer fast verletzungsfreien Saison keine zufriedenstellende Ausbeute.
Verschärfte Konkurrenzsituation
Die Verpflichtung des gehypeten Europameisters Renato Sanches hat die Ausgangssituation für den Spanier nicht verbessert. Klar, Sanches ist erst 18 Jahre alt, aber mit seiner Aggressivität ist er im Mittelfeld der Bayern eine echte Option - vielleicht sogar im Höllenhund-Verbund mit Arturo Vidal.
Darüber hinaus ist auch durchaus möglich, dass Javi Martinez mittelfristig wieder eine Option im Mittelfeld werden könnte. Mit Jerome Boateng und Mats Hummels sollte die Innenverteidigung jedenfalls gesetzt sein.
Thiago muss sich also reinhauen, um seinen Platz in der A-Elf der Bayern zu behaupten. Und er wirkt in den USA, als habe er die Zeichen der Zeit genau erkannt. Er fühlt sich in München wohl und will den nächsten Schritt machen, eine wichtige Stütze bei einer der wichtigsten Mannschaften zu sein. Um dieses Ziel zu erreichen, lässt er sich durch nichts stoppen - nicht durch glühende Hitze und auch nicht durch Lichtausfall.
Thiago Alcantara im Steckbrief