Keine Marketingtermine, kaum Autogramm- und Selfiewünsche - der Traum eines jeden Fußballstars. Neben Größen wie Philipp Lahm, Arturo Vidal, David Alaba oder Franck Ribery gehen die mitgereisten Jugendspieler und Vertragsamateure des FC Bayern München auf der Audi Summer Tour in den USA beinahe unter. Dennoch können sie an dieser Erfahrung wachsen - mit unterschiedlicher sportlicher Perspektive.
Wer ist dabei?
Weil acht EM-Fahrer und die verletzten Arjen Robben und Douglas Costa nicht mit in die Staaten gereist sind, musste Bayern Münchens Trainer Carlo Ancelotti improvisieren und den Kader auffüllen, um sowohl die Trainingseinheiten als auch die Spiele regulär angehen zu können.
Die zehn Spieler, die schließlich den Anruf erhalten haben, akquirierte der Italiener aus dem Amateurbereich und den Jugendmannschaften und decken alle Mannschaftsteile ab. Die Hintergründe der Mitreisenden könnten jedoch unterschiedlicher kaum sein.
Christian Früchtl: Der Torhüter ist erst seit Januar gerade einmal 16 Jahre alt. Speziell von seiner Körpergröße zeigte sich Manuel Neuer vor einigen Monaten beeindruckt: "Er ist anderhalb Köpfe größer als ich in dem Alter." Früchtl ist bereits 1,90m lang und trägt Schuhgröße 50. Die braucht er auch, wenn er langfristig in die Fußstapfen des Welttorhüters treten will. Das ist jedoch noch Zukunftsmusik. Erst einmal will der 16-Jährige weitere Erfahrungen bei den Profis sammeln. Die US-Reise ist nach dem Wintertrainingslager in Doha/Katar bereits der zweite Trip, den er mit der Mannschaft macht. In dieser Saison darf er zudem bei der A-Mannschaft mittrainieren. Eigentlich steht er jedoch im Tor der U17.
Nicolas Feldhahn: Völlig anders ist die Ausgangsposition bei dem Innenverteidiger. Der gebürtige Münchner ist nämlich schon 29 Jahre alt. 2015 kam Feldhahn vom VfL Osnabrück zurück in seine Heimatstadt. Seitdem ist er einer der älteren Führungsspieler in der jungen Mannschaft von Trainer Heiko Vogel. Im Testspiel gegen Manchester City spielte er das erste Mal überhaupt für die A-Mannschaft. Zur Belohnung für einen guten Auftritt ging es gleich mit in die USA.
Karl-Heinz Lappe: Mit 28 Jahren der nächste Routinier unter den zusätzlich Mitgereisten. Der Stürmer ist bei der zweiten Mannschaft der Münchner Kapitän und Führungsspieler. Dafür bringt er alles mit - immerhin stand er noch bis vor einem Jahr für den FC Ingolstadt in der zweiten Liga auf dem Platz. Seine Führungsrolle und seinen Torriecher stellte er in der vergangenen Saison bei den kleinen Bayern unter Beweis: In 27 Spielen erzielte er 14 Treffer.
Timothy Tillman: Als der 17-Jährige vor der vergangenen Saison für 500.000 Euro von der SpVgg Greuther Fürth nach München gewechselt ist, wurde seine Personalie zum Politikum. "Wenn Bayern kommt, setzt bei vielen der Verstand aus", sagte Fürth-Präsident Helmut Hack damals: " Timothy Tillman war bei uns das größte Talent seit 30 Jahren. Sein Weggang ist eine Katastrophe für den Verein." Bei den Bayern deutete der offensive Mittelfeldspieler mit einer starken B-Junioren-Saison (acht Tore, 15 Assists) an, was Hack damit meinte. Auf der Audi Summer Tour darf er sich nun im Training und in Spielen mit Weltstars weiterentwickeln.
spoxTim Häußler: Bei Energie Cottbus reibt man sich verwundert die Augen und fragt sich, ob man ein riesiges Talent übersehen hat. Der mittlerweile 19-Jährige spielte nämlich bei den Lausitzern vor seinem Wechsel in diesem Sommer kaum eine Rolle. Gerade einmal auf zwei Drittliga-Einsätze brachte er es in den letzten beiden Jahren. Der jetzige Trainer Claus-Dieter Wollitz kann das nicht ganz nachvollziehen: "Ich habe mich damals schon ein wenig gewundert, warum Häußler mit seinem Potenzial so wenig Einsätze in der 3. Liga hatte. Ich hätte gern mit Tim weitergearbeitet und ihn entwickelt. Er wird auf jeden Fall seinen Weg gehen." In München soll der Verteidiger sich in der Regionalliga-Mannschaft entwickeln. Zunächst darf er jedoch bei den Profis in den USA reinschnuppern.
Erdal Öztürk: Ebenfalls in diesem Sommer an die Säbener Straße gewechselt ist Öztürk. Der 20-Jährige kam von 1899 Hoffenheim und unterschrieb einen Vertrag bis Sommer 2018. In der Vorbereitung gehört er ebenfalls zu den Akteuren, die den Kader der Ersten auf eine vernünftige Größe aufstocken. Und besser hätte der Einstand für den gebürtigen Berliner nicht laufen können: Bei seinem ersten Auftritt in der Allianz Arena erzielte er direkt den entscheidenden Treffer zum 1:0-Sieg - gegen Pep Guardiolas Manchester City. Ein Highlight, auf das er in den USA aufbauen will.
Fabian Benko: Erst im Sommer zu den Bayern gekommen? Darüber kann Benko nur lachen. Der mittlerweile 17-Jährige spielt bereits beim FCB, seitdem er sieben Jahre alt ist. Bereits unter Pep Guardiola war der Deutsch-Kroate auf der China-Reise und im Katar-Trainingslager dabei. Guardiola lobte den Rechtsaußen auch nach seiner Rückkehr mit Manchester City zum Testspiel in der Allianz Arena. Er habe das auf der rechten Seite gemeinsam mit Philipp Lahm "exzellent" gemacht. Teamkollege Feldhahn bescheinigte ihm im Interview mit Goal, dass er "schon sehr weit" sei. Für den englischen Guardian gehört er weltweit zu den besten Spielern des Jahrgangs 1998. Seit diesem Sommer ist Benko "echter" Lizenzspieler mit Vertrag bis 2018.
Niklas Dorsch: Ohne Frage eines der höchst gehandelten Talente bei den Bayern. Der 18-Jährige gewann bereits eine Fritz-Walter-Medaille in Silber - als erster Bayern-Spieler überhaupt seit Emre Can im Jahre 2011. "Niklas ist ein typischer Spieler für die Zentrale: Er nimmt den Ball links mit dem Rücken zum Tor an und hat schon rechts die Lösung parat, um sich zu drehen und das Spiel zu beschleunigen ", sagte der Co-Trainer der deutschen U17-Nationalmannschaft, Marcus Lucassen, über Dorsch. Im Umgang mit den Großen will Dorsch forsch vorgehen: "Ehrfurcht sollte man nicht haben, Respekt natürlich schon. Man kann aber nur Eindruck hinterlassen, wenn man sich auch traut und Risiko geht. Und genau das wollen die Trainer und Verantwortlichen ja sehen: dass man sich etwas zutraut und nicht erstarrt, nur weil Weltmeister neben einem stehen", sagte er im April im Interview mit Goal. In den USA kann der 18-Jährige auf die Erfahrungen aus dem Wintertrainingslager in Katar aufbauen.
Milos Pantovic: Als einziger der mitgereisten No-Names hat Pantovic bereits einmal Bundesliga-Luft mit den Bayern geschnuppert - wenn auch nur für wenige Sekunden. Im Oktober vergangenen Jahres durfte der mittlerweile 20-Jährige noch dabei mithelfen, das 1:0 gegen Werder Bremen über die Zeit zu retten. Eigentlich ist der gebürtige Münchner mit serbischem Pass Offensivspieler und dort variabel einsetzbar. Im Winter war er in Doha dabei und sagte über das Training mit den Profis: " Es ist schon ein bisschen komisch. Zu den Jungs schaut man hoch, die haben alles erreicht - und wir sind jetzt mittendrin." Mittendrin ist Pantovic nun auch auf der Audi Summer Tour in den USA.
Mario Crnicki: Ebenfalls in der Offensive beheimatet ist der 18 Jahre alte Kroate. Ebenso in München geboren, durchlief auch er alle Jugendabteilung des FC Bayern und ist mittlerweile in der U19 angekommen. Erst im Mai verlängerte er seinen Vertrag an der Isar bis 2018. Dabei hatte er bestimmt noch nicht im Sinn, dass er wenige Monate später mit den Profis in die USA reisen würde. Seinen ersten Einsatz hätte sich Crnicki allerdings bestimmt anders vorgestellt: Beim Testspiel gegen Lippstadt kam er nach einer guten halben Stunde für den verletzten Arjen Robben.
Wie verhalten sich die Spieler?
In der Öffentlichkeit: First Pitch bei den Chicago Cubs, Kicken und Körbewerfen mit NBA-Stars, Burger-Battle, Autogrammstunden in Brauhäusern oder T-Stores, Kickern mit Fans - auf der USA-Reise zeigen die Spieler des FC Bayern neben dem Fußballplatz auch bei zahlreichen Marketingsevents Präsenz.
Namen wie Tillman, Häußler oder Crnicki fehlen auf Listen dieser Veranstaltungen aber. Den Verein nach außen zu präsentieren, ist den großen Stars überlassen. Die 13 Spieler der A-Mannschaft sind gut eingespannt, die Vertragsamateure und Junioren müssen solchen Aufgaben nicht nachkommen.
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Prominenz ist insbesondere bei Profisportlern ja ohnehin relativ. Fußballer oder Trainer, die absolute Superstars in Europa sind, können sich in den USA mitunter völlig frei bewegen, ohne alle zwei Minuten um ein Autogramm oder einen Selfie gebeten zu werden. Nicht umsonst zieht es viele nach der Karriere oder für ein Sabbatjahr in die Staaten. Unter anderem verbrachten Carlo Ancelotti und Pep Guardiola vor ihren Engagements bei den Bayern einige Zeit über dem großen Teich.
Natürlich ist die US-Reise des FC Bayern eine besondere Situation. Viele Fans sind aus Deutschland mit der Mannschaft mitgereist und begleiten sie durch Chicago, Charlotte und New York. Darüber hinaus wissen auch die immer mehr werdenden US-amerikanischen FCB-Fans genau, dass die Mannschaft in der Stadt ist und sind entsprechend sensibilisiert.
Für die mitgereisten (Noch)No-Names ist es trotz allem ungleich entspannter als beispielsweise für einen Julian Green, der US-Nationalspieler ist, oder für Arturo Vidal, der eine große Popularität in Amerika genießt.
Auf der Straße können sich Tillman, Feldhahn und Co. weitgehend unerkannt bewegen. Nur die absolut eingefleischtesten der Fans, die sich ausführlich mit der U23- oder den Junioren-Mannschaften auseinandersetzen, erkennen die Spieler. Für alle anderen sind sie einfach nur weitere sportlich-modisch gekleidete Teenager auf den Straßen Chicagos, Charlottes oder New Yorks.
Insofern ist es eine beinahe eine optimale Situation: Trainieren und Spielen mit den ganz Großen, die Nachteile, die mit der Prominenz eines Stars einhergehen, fallen aber nicht ins Gewicht. Ein Segen.
In den Trainingseinheiten und gegenüber den Medien: Nach den öffentlichen Trainingseinheiten und Spielen sind sie nicht die gefragtesten Selfie-Motive. Wenn das Training vorbei ist, können sie mehr oder weniger ungestört in den Mannschaftsbus einsteigen.
Auch in der Mixed Zone besteht nicht der größte Bedarf nach Stimmen. Und wenn sie dann doch einmal angesprochen werden, halten sie sich höflich, beinahe ein wenig verschüchtert zurück. Keiner der zehn will die US-Reise für sich als große mediale Bühne nutzen. Stattdessen möchten alle konzentriert arbeiten, einen guten Eindruck beim Trainer hinterlassen und sich vielleicht das ein oder andere von den Großen abschauen.
Während der Trainingseinheiten sind die Amateure und Junioren logischerweise nicht die großen Lautsprecher. Kommandos kommen von Martinez, Lahm oder Ribery, sicher nicht von Feldhahn oder Crnicki.
Bei vielen Trainingsformen und Übungen sind sie unter sich, trainieren etwas abseits von der eigentlichen ersten Mannschaft. Mit Ausnahme von Christian Früchtl, der natürlich gemeinsam mit Tom Starke und Sven Ulreich das Torwarttraining absolviert.
Wenn dann beispielsweise beim Sechs gegen Zwei doch einmal durchgemischt wird, wirken die Nachrücker motiviert, ohne jedoch zu überpacen. Keiner macht den Eindruck, als wisse er nicht, wo sein Platz ist.
Welche sportlichen Schlüsse lässt die Tour bislang zu?
Die Routiniers: Zwar ist Nicolas Feldhahn unter den mitgereisten No-Names bislang der Vielspieler (spielte 60 Minuten gegen Milan, gegen Inter sogar 90), aufgrund seiner Position wird er allerdings in der Profimannschaft ohnehin künftig keine Rolle spielen. Dass er in den USA bislang so viel zum Einsatz kam, hatte lediglich damit zu tun, dass Holger Badstuber noch dosiert trainiert und die eigentlich vorgesehene Stammbesetzung Hummels/Boateng nicht an Bord in die Staaten war. Genau wie Karl-Heinz Lappe ist sich Feldhahn jedoch auch darüber bewusst, dass sein Platz in der zweiten Mannschaft ist, in der die beiden als Routiniers die Führungsspieler sind.
spoxDer Gewinner: Die größten Chancen auf gelegentliche Einsätze in der A-Mannschaft dürfte sich wohl Fabian Benko ausrechnen. Der Grund? Ganz einfach: die dünne Personaldecke auf den offensiven Außen. Derzeit sind Arjen Robben und Douglas Costa noch verletzt, echte Alternativen in den Reihen der Profis sind eigentlich nur noch Franck Ribery und Kingsley Coman. Zwar testete Ancelotti in den USA auch schon Alaba und Lahm auf der Außenposition im offensiven Mittelfeld, doch Benko setzte gegen Inter Mailand ein Ausrufezeichen. Mit einem explosiven Antritt und viel Übersicht bereitete er das zwischenzeitliche 2:0 vor, dazu war er gut ins Offensivspiel integriert.
Die Players to watch: Ebenfalls angedeutet, welches Potenzial in ihm steckt, hat Milos Pantovic. Wirklich seinen Stempel konnte er der Partie gegen Inter jedoch nicht aufdrücken. Auf der linken Halbposition im 4-3-3 wirkte er zwischendurch ein wenig verloren. Seine Stärken liegen weiter vorne.
Niklas Dorsch bringt alles mit, um einmal eine große Karriere zu starten. Da sind sich alle einig. Die US-Reise hat bislang jedoch noch keine wirklich neuen Erkenntnisse über den Entwicklungsstand des 18-Jährigen gebracht. In den Spielen gegen die Mailänder Klubs stand er erst 30 Minuten auf dem Platz - und zwar in der Endphase gegen Inter, als der Käse ohnehin schon gegessen war. Dass sich Dorsch bereits in dieser Spielzeit große Hoffnungen auf viele Einsatzzeiten machen darf, ist dennoch unwahrscheinlich. Das liegt vor allem an seiner Position. Im zentralen Mittelfeld tummelt sich reichlich Prominenz - spätestens, wenn die EM-Fahrer zurück sind. Dann kämpfen dort Vidal, Thiago, Alonso, Kimmich, Sanches und vielleicht bald auch wieder Martinez um die Plätze. Zugegebenermaßen nicht die einfachste Situation für einen Youngster, um sich die nötigen Einsatzminuten zu holen.
Öztürk und Tillman durften jeweils eine ganze Halbzeit ran. Doch für die beiden gilt dasselbe wie für Dorsch: Es waren eben die zähen zweiten 45 Minuten der Inter-Partie. Beide waren bemüht, suchten immer das Dribbling und auch mal den Abschluss. Einen bleibenden Eindruck hinterließen sie jedoch nicht. Und Bundesliga-Einsatzminuten sind in dieser Saison ziemlich unwahrscheinlich. Ancelotti wird aber speziell bei Tillman die Entwicklung im Auge behalten. Wenn er sich so weiterentwickelt, ist der Anruf in der Zukunft nicht ausgeschlossen.
Die (vorerst) Chancenlosen: Noch überhaupt nicht eingesetzt wurden Christian Früchtl und Tim Häußler, Crnicki spielte gegen Inter eine Viertelstunde mit. Bei Früchtl ist ohnehin klar, dass er mit seinen 16 Jahren noch ein paar Jahre braucht, um eine Option für Einsätze in der Bundesliga ist. Häußler und Crnicki können die US-Reise als riesige Erfahrung verbuchen. Beide sind jedoch gewiss so realistisch zu wissen, dass Heiko Vogel in der U23 fest mit ihnen rechnet.
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