Keine Frage, ein übliches Trainingslager ist die US-Reise des FC Bayern München nicht. Zwar stehen mit den Auftritten im International Champions Cup drei Testspiele gegen die prestigereichen Weltklubs AC Milan, Inter Mailand und Real Madrid an. Und logischerweise schwitzen die Profis auch im Fitnessraum sowie bei öffentlichen Trainingseinheiten in den Stadien.
Darüber hinaus geht es für den Verein jedoch auch darum, sich selbst zu präsentieren und im wichtigen US-Markt zu etablieren. Dazu gehört Kontaktpflege zu Sponsoren, aber vor allem auch Nähe zu den Fans.
Beides vereint der Klub dieser Tage bei diversen Angeboten in den Städten. Der gesamte Kader ist eingespannt, die Botschaft des FC Bayern zu verkünden.
"Wir haben hier schon sehr viele Fans von uns gesehen und das ist immer etwas Besonderes. Weit weg von zu Hause zu sein und trotzdem so viele Fans zu haben, ist etwas Schönes", sagte Philipp Lahm bei der ersten Pressekonferenz der US-Reise über die Nähe zu den Anhängern.
Thiago und Vidal baden in der Menge
Am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) standen Thiago und Arturo Vidal für eine Autogramm- und Fotostunde in einem T-Mobile-Store in Chicago zur Verfügung.
Schon eine halbe Stunde, bevor das Duo angekündigt war, hatte sich trotz strömenden Regens eine lange Schlange vor dem Laden gebildet. Die Menschen redeten englisch, spanisch, japanisch, deutsch und andere Sprachen. Und sie trugen Trikots des FC Bayern.
Die Begeisterung war den Fans, die darauf warteten, Fotos mit Thiago und Vidal zu schießen und sich ihr Trikot unterschreiben zu lassen, anzumerken. "Ich bin seit 2014 Fan, als Robert Lewandowski zu den Bayern gewechselt ist. Er ist mein Lieblingsspieler. Seit er bei Bayern spielt, verfolge ich so viele Spiele wie möglich", sagte der 17-jährige Matt aus Chicago zu SPOX.
Im Spiel gegen Milan habe er die Mannschaft erstmals live gesehen und sei "begeistert von der genialen Stimmung" gewesen.
Über 100 Fanklubs
Die vor Jahren intensivierten Bemühungen um eine Internationalisierung des Klubs tragen in den USA Früchte. Seitdem der FCB im Jahr 2014 erstmals in die Staaten reiste und im Zuge dessen seinen Standort in New York eröffnete, stieg die Zahl der Bayern-Fanklubs von neun auf 102.
Der Fanklub in Chicago zählt über 700 Mitglieder. "Der Enthusiasmus für Bayern steigt seit Jahren immer weiter", sagte das Mitglied Anthony im Gespräch mit SPOX: "Unser Fanklub hier in Chicago ist riesig und er wird immer größer. Wir treffen uns jeden Samstag, um die Spiele zu schauen. 8.30 Uhr am Morgen ist zwar ziemlich früh, um mit dem Biertrinken anzufangen. Aber wir machen es. Und wenn die Spiele gut laufen, darf es auch mal ein Jägermeister sein. Besonders hier in Chicago ist die Fanbase für Bayern groß, weil es auch viele Deutsche gibt."
Aufmerksamkeit größer als beim ersten US-Trip
Auch wenn Anthony im Jahr 2003 einmal im Olympiastadion zum Derby gegen 1860 München war, freut er sich besonders darüber, den deutschen Branchenprimus in den USA zu sehen: "Ich war 2014 bei dem Spiel gegen die MLS-Auswahl, direkt nach der Weltmeisterschaft. Aber in den letzten zwei Jahren hat sich hier noch mal einiges getan. Die Atmosphäre beim Spiel gegen Milan war hervorragend. Ich denke, die US-Fans nehmen Soccer mittlerweile richtig ernst. Deswegen bin ich auch froh, dass Bayern zurückgekommen ist. Man merkt schon, dass sie jetzt beim zweiten Mal deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen."
Die Eindrücke von der Marketingveranstaltung decken sich mit denen vom Spieltag. Zwar hatte auch der AC Milan viele Unterstützer dabei, das Stimmungsbarometer unter den 44.826 Zuschauern im Soldier Field schlug jedoch ganz eindeutig zugunsten der Bayern aus.
Das etwas andere Fußball-Erlebnis
Dabei gab es nicht wenige deutsche Fans, die die Atmosphäre im Soldier Field während des unbedeutenden Audi Football Summit zwischen dem FC Bayern und dem AC Milan belächelten. Verständlicherweise: Ein Spiel zweier großer europäischer Klubs in den USA zu schauen, ist das etwas andere Fußball-Erlebnis.
Schließlich ist es in Deutschland nicht unbedingt üblich, dass bei einem zwar unterhaltsamen, aber nicht hochbrisanten oder intensiven Spiel bereits nach zehn Minuten die LaOla durch das weite Rund schwappt. Und zwar minutenlang.
Julian Green: Gefragt wie selten
Auch die völlige Fixierung auf die größten Stars war bemerkenswert. Jedes Mal, wenn beispielsweise David Alaba am Ball war, ging ein freudiges Raunen durch das Stadion, ganz zu schweigen vom US-Amerikaner Julian Green.
Marketingmaschine läuft auf allen Zylindern
Dazu kam die komplette Inszenierung der Partie. In den meisten deutschen Stadien ist man Schnickschnack wie Torwandschießen, Stadionquiz und gesponserte Eckenstatistiken zwar auch schon gewohnt.
In den USA - und das liegt in der Natur des Systems über dem Teich - ist die Marketingmaschine nicht nur angeschmissen, da läuft sie auf allen Zylindern.
Der Bart des Tages auf der Anzeigetafel ist nur eine von vielen Ausprägungen. Zwischendurch bekommt das Publikum über die Videowand auch klare Anweisungen wie "Make Noise".
Drumherum im Mittelpunkt
Eine Sportveranstaltung ist in den USA deutlich mehr Event als in Deutschland. Sicher nicht für alle, aber für viele ist beispielsweise bei einem Baseball-Spiel das Tailgating, also das Barbecue und Bier davor auf dem Parkplatz, deutlich wichtiger als der Sport an sich. Das Drumherum steht im Mittelpunkt.
Dem Fußball-Romantiker stößt diese Entwicklung sauer auf.
Den Bayern-Verantwortlichen schmeckt die gestiegene Aufmerksamkeit dagegen süß. Gründung von Fanklubs, Zugriffe auf soziale Medien, Nachfrage nach Tickets und Fanartikeln - aus Klubsicht scheint das Kalkül aufzugehen.
Für die Spieler heißt das für die Zukunft: Die Marketingtermine samt Vollkontakt mit den Fans und Lächeln für die Kamera werden nicht weniger werden.
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