Die verzweifelte Suche nach dem Bayern-Gen

Jochen Rabe
16. November 201612:02
Der FC Bayern sucht noch nach der Dominanz der vergangenen Jahregetty / spox
Werbung

Der FC Bayern hat unter Carlo Ancelotti noch nicht zur Dominanz der letzten Jahre gefunden. Gegen Teams in der oberen Tabellenhälfte der Bundesliga gelang erst ein Sieg. Auch bei Topspielen im Supercup und der Champions League wechselten sich Licht und Schatten ab. Gab es bei den Auftritten verbindende Elemente? Die Opta-Datenanalyse vor dem Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund (Sa., 18.30 Uhr im LIVETICKER).

Borussia Dortmund - FC Bayern 0:2 (0:0), 14.08.

Ausgangslage und Spielverlauf: Nach einer durchwachsenen Vorbereitung und dem souveränen 5:0-Sieg im Pokal gegen Carl-Zeiss Jena wusste der Meister noch nicht so recht, wo er steht. Dass man - unter anderem wegen zahlreicher erst spät zum Team gestoßener Nationalspieler - noch nicht bei 100 Prozent ist, zeigte die Supercup-Partie in Dortmund. Der BVB schnürte den Meister über weite Strecken hinten ein, hatte zahlreiche gute Gelegenheiten und stellte die Bayern vor große Probleme. Treffer durch Vidal (58.) und Müller (79.) sorgten für einen schmeichelhaften Sieg und den ersten Titel unter Don Carlo, der übrigens auch der erste Supercup-Erfolg nach drei verlorenen Finals in Folge war.

Analyse: Bayern schlägt BVB und holt den Supercup

Das sagen die Daten: Ein Wert stach im ersten Pflichtspiel unter Ancelotti sofort ins Auge: Die Bayern kamen in Dortmund am Ende nur auf 44,4 Prozent Ballbesitz und spielten lediglich 428 Pässe. In der Vorsaison unter Pep Guardiola lag der Tiefstwert bei 463 Pässen (gegen Ingolstadt). Auch die Anzahl der Torschüsse (20:10 für den BVB), der Ecken (7:2) und die Zweikampfquote (47,3 Prozent) belegte den Eindruck eines schmeichelhaften Sieges.

Xabi Alonso war im Gegensatz zur Vorsaison deutlich weniger dominant im Spielaufbau der Bayern. Wenngleich der Routinier volle 90 Minuten durchspielte, kam er am Ende nur auf 44 Ballaktionen. Dass stattdessen die Innenverteidiger Javi Martinez (71) und Mats Hummels (68) deutlich mehr im Spiel waren, sagte viel über die Ausrichtung der Ancelotti-Elf aus.

Xabi Alonsos Passspiel im Supercup in Dortmund

Die Lehre aus der Partie: Viele beschrien die totale Fußball-Revolution: Ballbesitzfußball der Pep-Prägung ist gnadenloser Effizienz gewichen.

FC Bayern - Hertha BSC 3:0 (1:0), 21.09.

Ausgangslage und Spielverlauf: Vierter Spieltag, Erster gegen Zweiter, neun Punkte gegen neun Punkte. In der ersten englischen Woche der Bundesliga-Saison kam es zu einem unerwarteten Topspiel. Und der Meister zeigte seinem Gast im Wiesn-Heimspiel von Beginn an die Grenzen auf. Durch Tore von Ribery, Thiago und dem eben erst nach langer Verletzung zurückgekehrten Robben fuhren die Münchner einen souveränen 3:0-Sieg ein.

Analyse: Dominante Bayern schießen Hertha ab

Das sagen die Daten: Gegen die Hertha präsentierten sich die Bayern ähnlich dominant wie häufig in der Vorsaison. 76 Prozent Ballbesitz, 880:277 Pässe und 16:2 Torschüsse sprechen eine deutliche Sprache. Auch eine Mehrzahl der Zweikämpfe (56 Prozent) gewannen die Hausherren. Die dominante Spielweise war zudem kräftesparend: Insgesamt lief die Ancelotti-Truppe beinahe sechs Kilometer weniger als der Gegner (106,8:112,3). Werte, die auch unter Guardiola regelmäßig auftraten.

In kaum einem anderen Spiel dieser Saison ließ die Münchner Defensive so wenig zu. Bis zur 44. Minute gab Hertha keinen einzigen Schuss aufs Tor der Hausherren ab.

Mittlerweile zeichnete sich auch deutlicher ab, welch große Bedeutung den Achter-Positionen im 4-3-3 von Carlo Ancelotti zukommt. Vidal (146 Ballaktionen, 135 Pässe) und Thiago (141, 120) rissen die Partie an sich. Auch die Einbindung der hoch agierenden Außenverteidiger funktionierte. Die häufigsten Passkombinationen waren Lahm auf Thiago (40), Vidal auf Alaba (34) und Thiago auf Lahm (31).

Die Lehre aus der Partie: Nach vier Spieltagen und dem siebten Sieg im siebten Pflichtspiel deutete alles darauf hin, dass der FCB-Express ins Rollen gekommen ist.

Atletico Madrid - FC Bayern 1:0 (1:0), 28.09.

Ausgangslage und Spielverlauf: Schon in der Gruppenphase kam es zur Neuauflage des Champions-League-Halbfinals der Vorsaison. Die Situation war klar: In den beiden Duellen geht es um den Gruppensieg. Zwar spielten die Münchner eine bessere Anfangsphase im Vicente Calderon als im Frühjahr, einen wirklichen Zugriff auf die Partie bekamen sie dennoch nicht. In der ersten Hälfte spielte Atletico Pressing- und Umschaltspiel aus dem Bilderbuch und verteidigte die Führung durch Yannick Carrasco (35.) dann perfekt. Antoine Griezmann vergab mit einem Foulelfmeter sogar die Chance auf einen 2:0-Sieg. Die Bayern dagegen hatten kaum Torgelegenheiten und waren deutlich konteranfälliger als noch im Halbfinale.

Analyse: Erster Rückschlag! Atletico knackt die Bayern

Das sagen die Daten: Nach der Partie bemängelten die Münchner die schwache Chancenverwertung bei drückender Überlegenheit. So ganz traf diese Analyse beim Blick auf die Kennzahlen allerdings nicht zu. Zwar standen die Bayern am Ende bei 67 Prozent Ballbesitz und auch die Passquote von 85 Prozent war deutlich stärker als die der Gastgeber (73 Prozent). Den gefährlicheren Eindruck machten aber die Rojiblancos, die entgegen dem Eindruck der FCB-Verantwortlichen auch 16:15 Torschüsse verbuchten (6:5 aufs Tor, 2:0 ans Aluminium).

Im Vergleich zu vielen anderen Spielen lief bei Bayern mehr über die Außenverteidiger. Alaba (118) und Lahm (99) hatten die meisten Ballaktionen, die häufigsten Passkombinationen waren Alaba auf Ribery (24) und Thiago auf Lahm (18).

Wie starten die Bayern in die Liga? Jetzt Aufstellung auf LigaInsider checken!

Die Lehre aus der Partie: Der FC Bayern offenbarte wie schon in einigen Spielen zuvor weiterhin Probleme, gegen mannorientiertes Pressing Lösungen zu finden. Atletico gewann 52 Prozent der Zweikämpfe, schaltete dann schnell um und kam zu zahlreichen Chancen. Bayern konnte die Konter nicht früh unterbinden und lief viel hinterher. Erstmals schien der Ancelotti-Code geknackt zu sein.

FC Bayern - 1. FC Köln 1:1 (1:0), 01.10.

Ausgangslage und Spielverlauf: Nur wenige Tage nach dem ersten Rückschlag in der Champions League trafen die Bayern auf bis dahin ungeschlagene Kölner. Die Hausherren dominierten die erste Hälfte, schossen jedoch erst kurz vor der Pause erstmals aufs gegnerische Tor und trafen durch Kimmich direkt zur Führung. Im zweiten Durchgang stellte Köln von einem 3-5-2 auf ein 4-4-2 um und spielte fortan besser mit. Der Ausgleich durch Modeste (63.) gab den Gästen einen Selbstvertrauensschub. Zwar traf die Ancelotti-Truppe dreimal den Pfosten, die Geißböcke wirkten jedoch alles andere als unterwürfig und hatten in der Nachspielzeit durch Zoller sogar noch den Sieg auf dem Fuß.

Analyse: Kompakte Kölner ringen Bayern Remis ab

Das sagen die Daten: Wieder einmal sprechen die Zahlen eine klare Sprache in Richtung FCB-Dominanz. 68 Prozent Ballbesitz, 26:5 Torschüsse und 10:3 Ecken lassen sich ebenso wenig wegdiskutieren wie die drei Alu-Treffer und die 55-prozentige Zweikampfquote.

Die rechte Seite mit Kimmich auf der Halbposition und Rafinha als Rechtsverteidiger dominierte die Partie. Nicht nur, dass 42 Prozent der Aktionen über rechts liefen, Kimmich auf Rafinha (27) und Rafinha auf Kimmich (23) waren auch die häufigsten Kombinationen.

Dennoch war das 1:1 gegen die Domstädter das erste Spiel, nach dem die Spieler in der Mixed Zone eine fehlende Dominanz vor heimischem Publikum anprangerten. "Wir müssen dem Gegner klar machen, dass hier in der Allianz Arena nichts zu holen ist. Wenn wir ein Heimspiel haben und zur Halbzeit 1:0 führen, dürfen wir in der zweiten Halbzeit nicht nachlassen und das Tempo verlieren", sagte ein merklich angefressener Manuel Neuer.

Dass es am Tempo fehlte, stimmt zwar nicht. In Halbzeit zwei zog der Meister 102 Sprints (Köln: 88) und 307 intensive Läufe (Köln: 291) an. Aber tatsächlich fehlte nach der Pause die Selbstverständlichkeit, Köln kam besser in die Partie und die Bayern mussten in der Defensive mehr laufen. Nach nur 25 Prozent Ballbesitz in der ersten Hälfte waren es jetzt immerhin 38 Prozent für den FC, dazu gab er drei Torschüsse ab (zwei in Durchgang eins). Kein riesiger Unterschied, doch er reichte, um Köln zurück ins Spiel zu bringen.

Erlebe die Bundesliga-Highlights auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat

Die Lehre aus der Partie: Weil es den Hausherren an der Effizienz fehlte, blieb die Partie bis zum Abpfiff offen und hätte noch in Richtung Auswärtssieg kippen können.

Eintracht Frankfurt - FC Bayern 2:2 (1:1)

Ausgangslage und Spielverlauf: Nach zwei Negativerlebnissen und erstem Gerede von einer Krise wollte der Rekordmeister nach der Länderspielpause ein Ausrufezeichen setzen. Daraus wurde jedoch nichts. Bei engagierten Frankfurtern lieferte der Spitzenreiter eine blutleere, größtenteils ideenlose Vorstellung ab. Dennoch ging er zweimal in Führung, gab allerdings beide Male den Vorsprung wieder aus der Hand - beim 2:1 sogar in Überzahl.

Analyse: SGE erzwingt verdientes Remis gegen Bayern

Das sagen die Daten: Besonders die Zahlen in der ersten Halbzeit zeigen, dass die Bayern-Spieler noch nicht wirklich aus der Länderspielpause zurück waren. Die Defensive ließ acht Torschüsse zu, während die Offensive nur drei eigene herausspielte (beides Saison-Tiefstwert). Mit einer leicht verbesserten zweiten Hälfte korrigierten die Gäste diesen Wert noch auf 14:13, allerdings spielten sie auch eine halbe Stunde in Überzahl. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Exemplarisch für die wohl schwächste Saisonleistung stand die Passquote von nur 80,8 Prozent. Etatmäßige Passmaschinen wie Alonso (81 Prozent), Kimmich (82 Prozent) oder Thiago (83 Prozent) blieben in dieser Statistik weit unter Normalform und leisteten sich teils haarsträubende Fehlpässe. Einem sonst ebenfalls ballsicheren Spieler wie Boateng unterliefen 22 Ballverluste.

Wie gut die Frankfurter das vertikale Spiel des Meisters verhinderten, zeigt auch ein Blick auf die häufigste Kombinationen: Hummels auf Boateng (20), Boateng auf Hummels (15).

Die Lehre aus der Partie: Trotz einem erneuten Plus an Ballbesitz (62 Prozent) wirkten die Bayern erstmals zu keiner Zeit der Partie wirklich überlegen, sondern stattdessen ideen- und farblos. Frankfurt verdiente sich den Punkt, war auch in Unterzahl auf Augenhöhe und hätte mit etwas mehr Glück sogar gewinnen können.

FC Bayern - TSG 1899 Hoffenheim 1:1 (1:1)

Ausgangslage und Spielverlauf: Auch am zehnten Spieltag war ein unerwartetes Spitzenteam zu Gast. Die TSG Hoffenheim kam mit dem Selbstvertrauen aus neun Spielen ohne Niederlage und fünf Siegen in Serie nach München - und so trat das Team von Julian Nagelsmann auch auf. Speziell in der ersten Halbzeit versteckten sich die Hoffenheimer nicht, sondern spielten mutig mit und gingen folgerichtig nach einem stark ausgespielten Angriff in Führung (16.). Durch ein Eigentor (34.) gelang dem FCB der Ausgleich. Nach der Pause zogen sich die Hoffenheimer immer weiter zurück und brachten die Bayern so besser ins Spiel. Am Ende trafen jedoch Hummels (87.) und Müller (90.+2) nur den Pfosten, sodass es beim Remis blieb.

Analyse: Mutige Hoffenheimer holen Punkt in München

Das sagen die Daten: Ballbesitz? Darüber braucht man auch in dieser Saison beim FC Bayern kaum reden. Natürlich war dieser Wert mit 66 Prozent wieder einmal erdrückend. Auch die Zweikampfquote von 57 Prozent überzeugte. Außer Müller (33 Prozent) und Lewandowski (42 Prozent) hatte kein Roter einen negativen Zweikampfwert. Die Torschussstatistik von 21:5 zeigte ebenfalls, dass es keinesfalls ein schwaches Spiel der Münchner war. Wie auch, wenn man wieder zweimal nur am Aluminium scheiterte?

Im Fall der Partie gegen Hoffenheim war es insbesondere die Unterschiedlichkeit der beiden Halbzeiten, die den Ausschlag gab. So kam man im ersten Durchgang lediglich auf 5:3 Torschüsse, erarbeitete sich nur 1:0 Ecken und stand nur bei 51 Prozent Zweikampfquote. Hoffenheim war taktisch gut eingestellt und schaltete bei Ballgewinn schnell um.

Ebenfalls ein Schlüssel für die Kraichgauer war, dass es im 5-3-2-System lange Zeit gelang, die Außen Robben und Costa aus dem Spiel zu nehmen. Dem Brasilianer konnte man 29-mal (!) den Ball abjagen, der Niederländer gab für seine Verhältnisse mickrige zwei Torschüsse ab (beide außerhalb des Strafraums, keiner aufs Tor). Dass Robben zudem nur auf 48 Ballaktionen kam und nur 29 Pässe spielte, passte zur starken Defensivleistung.

Arjen Robbens Statistiken im Spiel gegen Hoffenheim

Ein weiterer Kennwert, der den mutigen und vor allem engagierten Auftritt der Nagelsmänner unterstrich: Mit 123,22 (Liga-Bestwert) legte man beinahe acht Kilometer mehr zurück als Bayern (115,58).

Die Lehre aus der Partie: Der FCB war erneut weitgehend überlegen, doch es fehlte letztlich am nötigen Matchglück. Auffällig war jedoch erneut, dass die Ancelotti-Truppe die Überlegenheit nicht über 90 Minuten durchdrückte. Diesmal war es die Anfangsphase, in der ein Gegner in einem Topspiel mit einer engagierten Leistung, mannorientierem Pressing und schnellem Umschalten zwischenzeitlich am Drücker war.

Fazit

"Mia san mia" steht im Kragen der Trikots des FC Bayern. In Topspielen bringt die Mannschaft dieses Selbstverständnis in der laufenden Saison jedoch nur selten konsequent auf den Platz. Das haben die Gegner gemerkt und begegnen dem Meister lange nicht so ehrfürchtig wie in den vergangenen Jahren.

Der Eindruck des Sieges im Supercup, als die Abkehr des Dominanz-Fußballs hin zum Effizienz-Fußball prophezeit wurde, ist mittlerweile weggewischt. Erdrückende Ballbesitzraten, starke Zweikampfquoten und eine hohe Passgenauigkeit sind nach wie vor bestimmende Kennwerte im Spiel der Münchner. Einzig die Ergebnisse sprangen speziell zuletzt (eine Niederlage und drei Remis in den letzten neun Pflichtspielen) nicht mehr in der gewohnten Regelmäßigkeit heraus.

Dabei haben die Resultate verschiedene Gründe: Mal fehlte es trotz zahlreicher Großchancen an der Effizienz (gegen Hoffenheim oder Köln), mal stimmte die Form nicht (gegen Frankfurt), mal fand man keine Mittel gegen einen taktisch perfekt ausgerichteten Gegner (Atletico).

Eines haben die Auftritte gegen starke Gegner in dieser Spielzeit bislang allerdings gemeinsam. 90 Minuten Konzentration und Dominanz hat der FCB noch nicht im Köcher (das Spiel gegen die Hertha bildet hier die Ausnahme). Durch die andere Positionierung auf dem Spielfeld läuft die Maschinerie des Gegenpressings der Münchner noch nicht wie in den vergangenen Jahren. Die Bälle werden nicht so schnell zurückerobert und es ergeben sich vermehrt Konterchancen für die Gegner.

90 Minuten Konstanz wird es aus Bayern-Sicht am Samstagabend gegen Borussia Dortmund jedoch benötigen. Der BVB hat nämlich bereits im Supercup unter Beweis gestellt, dass er den Meister vor große Probleme stellen kann. Damals waren es aber die Schwarz-Gelben, die über fehlende Effizienz stolperten.

Der FC Bayern in der Übersicht