Mit seinen Andeutungen, seine aktive Karriere möglicherweise bereits im Sommer 2017 zu beenden, hat Philipp Lahm Spekulationen um seine künftige Tätigkeit losgetreten. Dass er beim FC Bayern München als Sportvorstand in die Fußstapfen des im Sommer zurückgetretenen Matthias Sammer treten wird, gilt als wahrscheinlich. Doch wäre er für diesen Posten geeignet? Und was würde ein vorzeitiger Rücktritt des Kapitäns sportlich für die Münchner bedeuten?
Die Ausgangssituation
Fakt: Philipp Lahm besitzt einen Vertrag bis Sommer 2018. Fakt: Philipp Lahm hat immer betont, dass er diesen nicht verlängern und dann auf jeden Fall seine Karriere beenden wird.
Dass Fakten nicht immer unumstößlich stehen bleiben müssen, zeigte sich in dieser Woche. Ein Interview des Bayern-Kapitäns in der Sport Bild brachte diese am Mittwoch ins Wanken. Auf die Frage, ob er sich ein Karriereende bereits im kommenden Sommer vorstellen könne, sagte Lahm: "Ich würde das nicht ausschließen. Ich habe bereits vor neun Monaten gesagt, dass diese Situation eintreten könnte, und an diesem Gedanken hat sich seither nichts geändert."
Zwar seien die Dinge wegen seines Vertrags bis 2018 "im Moment geregelt, und es besteht kein Grund zur Eile für Entscheidungen." Allerdings ordnete der Weltmeister, der am Freitag seinen 33. Geburtstag feiert, auch ein: "Die Saison dauert noch sieben Monate, in denen viel passieren kann."
Lahms Karriere wirkte schon immer durchgeplant. Bereits 2013 hatte er beschlossen, nach der WM 2014 in Brasilien seinen Rücktritt bekanntzugeben - unabhängig vom Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft. Auch jetzt will er seine Zukunft "sicher nicht von gewonnenen Titeln am Saisonende abhängig machen, sondern in meinen Körper hineinfühlen und dann entscheiden, wie es weitergeht."
Der Bayern-Kapitän ist zu reflektiert, um nicht zu wissen, welche Auswirkung eine Andeutung wie diese in der Öffentlichkeit hätte. Die Annahme liegt nahe, dass er ein vorgezogenes Karriereende bewusst ins Gespräch gebracht hat, um nicht nur die Medienlandschaft, sondern auch den Verein schon einmal darauf vorzubereiten, seine sportliche Nachfolge zu regeln.
Am Donnerstag berichtete die Bild, dass vieles für ein Karriereende 2017 spreche. Zuletzt betonte Lahm immer wieder, dass er seinen Weg auch nach seiner Karriere beim FC Bayern sieht. Einen Posten bringt die Zeitung dabei ins Spiel: die Rolle des Sportvorstands, die seit der Trennung von Matthias Sammer im Sommer noch nicht wieder besetzt ist.
Angeblich hat Lahm bereits vor einigen Wochen ein erstes Gespräch mit dem Vorstand gesucht und seine Gedankenspiele, im Sommer aufzuhören, offen gelegt.
Die Eignung für den Posten des Sportvorstand
Böse Zungen haben Matthias Sammer in seiner Zeit beim FC Bayern den "Mann ohne Aufgaben" getauft. Eine polemische Überspitzung, doch tatsächlich war nach außen nicht immer zu 100 Prozent transparent, wo Sammer tatsächlich die Fäden zog, was er in die Wege leitete.
Auf ein Attribut konnten sich bei Bayerns Ex-Sportvorstand jedoch alle einigen: Er war ein Mahner. Einer, der auch dann den Finger in die Wunde legte, wenn scheinbar alles rosig war. Eine Eigenschaft, die viele Philipp Lahm auf den ersten Blick absprechen. Der Bayern-Kapitän sei eher diplomatisch, wolle es sich mit niemandem verscherzen.
Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Lahm ist kein Motzki, aber er hat in der Vergangenheit ebenfalls regelmäßig gezeigt, dass er ein gutes Gespür für Strömungen in Mannschaft und Verein hat und diese auch dann formuliert, wenn es unangenehm ist.
Erstmals wirklich aufgefallen ist er in dieser Funktion im Herbst 2009, als er mit einer Kritik an der Strategie des FC Bayern den Weg über ein Interview in der Süddeutschen Zeitung wählte, das nicht der Verein, sondern sein Berater Roman Grill autorisierte. Inhalt: Der FC Bayern hat keine Spielphilosophie, hinter den Transfers steht kein System und die Trainer werden zu häufig gewechselt.
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Öffentlich wurde er dafür von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge abgekanzelt und mit einer Rekord-Geldstrafe bedacht, intern hat er sein Profil gestärkt. Und man kann auch darüber diskutieren, dass er durch die Aktion einiges ans Licht brachte, was in den Folgejahren sukzessive verbessert wurde.
Klare Kante zeigte Lahm seitdem immer wieder. Nicht ganz so häufig wie ein Sammer, doch regelmäßig und pointiert.
Darüber hinaus ist der Routinier jemand, der das große Ganze im Blick behält: "Es sind jetzt einige Spieler in einem Alter, wo man nicht mehr lange auf diesem Niveau Fußball spielen kann. Deswegen wird irgendwann ganz klar ein Umbruch anstehen", kündigte Lahm kürzlich gegenüber Sport1 Veränderungen in der Kaderstruktur an, sich selbst eingeschlossen. Dass dieser tatsächlich bevorsteht, ist klar: Mit Arjen Robben, Franck Ribery und Xabi Alonso sind neben Lahm weitere wichtige Stammspieler bereits jenseits der 30. Lahm könnte eine treibende Kraft dabei sein, diesen Umbruch in verantwortlicher Position anzuschieben.
Auch in anderen Bereichen denkt Lahm bereits jetzt wie ein Manager. Beispielsweise fordert er für den ganzheitlichen Erfolg des Klubs eine starke Jugendarbeit: "Für den Verein ist es wichtig, dass immer wieder Spieler aus der Jugend nach oben kommen, die die nötige Qualität haben, oben dabei zu sein. Das sind alles Aufgaben, die vor der Tür stehen und ich hoffe, dass dann wieder Jugendspieler heraus kommen, die den Durchbruch beim FC Bayern schaffen."
Durch seine Repräsentation des FC Bayern und jahrelang auch des DFB ist Lahm in der Fußballbranche darüber hinaus gut vernetzt. Zudem hat er in den vergangenen Jahren durch diverse Unternehmensbeteiligungen erste Einblicke in die freie Wirtschaft gewonnen.
Identifikation mit dem Verein, der Mut, Unangenehmes auszusprechen, der Blick für das große Ganze - die Voraussetzungen für den Posten als Sportvorstand bringt Lahm mit. Kein Wunder, dass Karl-Heinz Rummenigge unlängst in der Süddeutschen Zeitung betonte, "dass Philipp für den Verein in der Zukunft auch außerhalb des Platzes eine wichtige Rolle spielen könnte". Uli Hoeneß sagte, er sehe "Parallelen" zu seinen Anfängen als junger Manager.
Einzig die Erfahrung fehlt Lahm für das optimale Gesamtpaket. Mit einem Bald-wieder-Präsident Hoeneß und dem starken Vorstandsvorsitzenden Rummenigge, die ihm den Rücken freihalten, hätte er jedoch die Möglichkeit, in seine neue Aufgabe hineinzuwachsen.
Der sportliche Wert
Keine Frage: Philipp Lahm ist auf der Position des Rechtsverteidigers nach wie vor eine Institution. Und dort darf er nach drei Jahren unter Pep Guardiola, in denen er auch häufig im defensiven oder sogar offensiven Mittelfeld eingesetzt wurde, auch wieder spielen.
Etwas Neues ist seine Stellung im Ancelotti'schen 4-3-3 dennoch: "Wir haben jetzt ein anderes Positionsspiel. Die Positionen sind anders aufgeteilt. Ein klares Beispiel ist, dass wir Außenverteidiger außen sehr hoch stehen und dafür andere innen spielen", erklärte Lahm kürzlich in der Mixed Zone.
Durch die höhere Positionierung kommt er auch wieder häufiger in Abschlusssituationen. So erzielte er bereits zwei Pflichtspieltore und hatte noch zahlreiche weitere Gelegenheiten. Nach seinem Tor im Pokal gegen Augsburg bezeichneten ihn seine Mitspieler im Spaß als "weißen Brasilianer", weil er in der Partie seinen Gegner Philipp Max technisch anspruchsvoll getunnelt und danach zum 1:0 getroffen hatte.
Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren ist allerdings deutlich zu merken, dass die Beanspruchung des Kapitäns heruntergefahren wird. An den ersten zehn Spieltagen stand er nur 524 Minuten auf dem Rasen. Zuletzt war dies vor neun Jahren in der Saison 2007/2008 der Fall (360 Minuten), als er jedoch nach dem vierten Spieltag mit einer Bänderdehnung im Knie verletzt ausfiel.
"Ich glaube, dass es wichtig ist", sagte Lahm selbst über seine dosierten Einsatzzeiten: "Jeder weiß, dass es bei uns keine erste Elf gibt. Ich habe schon in der vergangenen Saison Pausen bekommen, auch schon früh in der Saison. Rotation gehört heutzutage dazu, vor allem wenn man so einen Kader hat, wie wir ihn haben."
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Die durchschnittliche Laufleistung des Kapitäns ist im Vergleich zu den letzten beiden Jahren ebenfalls gesunken. Laut Opta lief er in dieser Spielzeit im Schnitt 10,22 Kilometer pro 90 Minuten. In der Vorsaison waren es 10,56, 2014/2015 sogar 11,21.
Diese Zahlen muss man aber in Perspektive setzen, schließlich sind die Anforderungen an einen Außenverteidiger andere als an einen defensiven Mittelfeldspieler. Dafür schlägt er in dieser Saison 1,72 Flanken pro Spiel (0,98 in der Vorsaison) und ist an 2,58 Torschüssen beteiligt (2,41).
Die Daten legen einen Rückschritt also nicht nahe. Aber genau darum geht es Lahm auch. Er will nicht vom Hof gejagt werden, sondern ihn erhobenen Hauptes als Leistungsträger verlassen: "Ich will mich auf höchstem Niveau messen können und den richtigen Zeitpunkt für mein Karriere-Ende erkennen."
In der Nationalmannschaft ist er auf dem Höhepunkt mit dem Weltmeister-Titel abgetreten. Auch wenn öffentlich viele Experten immer wieder sein Comeback gefordert wurde, blieb er standhaft. Der letzte Eindruck von ihm als Nationalspieler ist der einer Legende, die den WM-Pokal in den Nachthimmel von Rio reckt. Auch bei den Bayern könnte er als Legende abtreten.
Die möglichen Alternativen
Bei einem Blick darauf, wer Lahm bei den Bayern als Rechtsverteidiger ersetzen könnte, fällt natürlich direkt ein Name - nämlich derjenige, der auch in der Nationalmannschaft mittlerweile hinten rechts verteidigt: Joshua Kimmich.
Eine Idee, die im Trainerstab der Bayern zumindest schon im Raum steht: "Wenn Philipp in zwei Jahren auch beim FC Bayern aufhören sollte, müssen wir uns keine Sorgen auf seiner Position machen. Dann wird Joshua der neue Rechtsverteidiger", sagte Co-Trainer Hermann Gerland im Sommer über den 21-Jährigen.
Kimmich fühlt sich von solchen Vorhersagen geschmeichelt, ordnet sie jedoch auch kritisch ein: "Ich habe nur ein paar Spiele dort gemacht und Philipp ist der beste Außenverteidiger der Welt", sagte der Youngster im Gespräch mit SPOX. Dennoch gab er zu, sich einiges von Lahm abschauen zu können: "Philipp macht gar keine Fehler. Er findet immer die richtige Anspielstation, hat ein super Auge für seine Mitspieler. Er weiß genau, wann er gehen muss, wann er bleiben muss. Seine Flanken sind sehr, sehr gut."
Fakt ist aber auch, dass Kimmich unter Ancelotti bislang meist als Achter im zentralen Mittelfeld eingesetzt wurde. Nur jeweils einmal half er auf der Innen- und der Rechtsverteidigerposition aus.
Kimmich hat beim DFB-Team gezeigt, dass er die Anlagen für die Position mitbringt. Ohne Risiko ist diese Variante wegen der mangelnden Erfahrung jedoch nicht.
Der andere Rechtsverteidiger im Kader der Bayern, Rafinha, hat sowohl in den letzten Jahren, als Lahm häufig im Mittelfeld spielte, als auch bei seinen wenigen Einsätzen in dieser Saison seine Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt.
Problem: Auch der Brasilianer ist schon 31 Jahre alt und sein Vertrag läuft im Sommer aus. Es ist zwar gut möglich, dass er noch einen Einjahresvertrag erhält, allzu nachhaltig wäre diese Entscheidung jedoch nicht.
Das frühe Durchsickern könnte Lahm allerdings auch veranlasst haben, um dem Verein genügend Zeit zu geben, einen externen Nachfolger zu verpflichten. Da die Außenverteidiger-Positionen traditionell nicht gerade vor Weltklasse-Leuten überschwappen, dürfte dieses Unterfangen nicht einfach werden. Für einen gestandenen Profi müsste man tief in die Tasche greifen - was bei den Bayern ja grundsätzlich möglich ist.
Neben der Frage nach der sportlichen Alternative entstünde auch in der mannschaftlichen Führungsstruktur ein Loch. Lahm führt die Mannschaft seit Jahren als Kapitän an, war für Pep Guardiola der "wichtigste Spieler" bei Bayern und ist auch unter Carlo Ancelotti ein verlängerter Arm.
spoxWie in der Nationalmannschaft wären auch bei Bayern andere Spieler noch mehr gefordert, Verantwortung zu übernehmen.
Als Lautsprecher und Führungspersönlichkeit hat sich der DFB-Kapitän-Nachfolger Manuel Neuer in den letzten Jahren auch in München noch einmal weiterentwickelt. Er könnte auch beim FCB die Binde übernehmen.
Darüber hinaus stehen mit Jerome Boateng, Mats Hummels, Arturo Vidal, Robert Lewandowski oder Thomas Müller auch weitere Spieler im Kader, die die Mannschaft bereits jetzt öffentlich wie auf dem Platz repräsentieren und das Bild des Vereins prägen. Da all diese Spieler auch in ihren Nationalmannschaften schon Köpfe sind, dürfte den Bayern kein Hierarchie-Problem ins Haus stehen.
Philipp Lahm im Steckbrief