Abgesehen von der generellen Kritik an der medialen Berichterstattung (u.a. "widerlich") sowie der spezifischen einer Leistung des ehemaligen Angestellten Juan Bernat ("Scheißdreck") im vergangenen April, ging es dem Führungsduo des FC Bayern zuzüglich Sportdirektor Hasan Salihamidzic bei der denkwürdigen Pressekonferenz am vergangenen Freitag bekanntlich auch um die Verteidigung der eigenen Spieler.
In diesem Zuge sah sich der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge genötigt, Boateng und Hummels zu schützen: "Wenn ich über unsere beiden Innenverteidiger Jerome Boateng und Mats Hummels 'Altherrenfußballer' lesen muss, dann kann ich nur mehr eines sagen: 'Geht's eigentlich noch?'"
Was auch immer ging oder auch nicht: unerwähnt blieb bei Rummenigges Verteidigungsplädoyer im doppelten Sinne der dritte namhafte Innenverteidiger des Klubs: Niklas Süle. Dies lag vermutlich daran, dass Rummenigge - anders als über Boateng und Hummels - über Süle nichts lesen musste, was er nicht wollte. Was seinerseits daran liegen könnte, dass es bei ihm anders als bei den beiden anderen einfach keinen Anlass zur Niederschrift von Worten gab, die Rummenigge nicht lesen wollte.
Ganz im Gegenteil: Süle wurde zuletzt zunehmend mit lobenden Worten bedacht, die Rummenigge sicherlich gefallen haben. Er ist beim FC Bayern schließlich einer der Gewinner der bisherigen Saison.
Niklas Süle: Trockene Statistiken und knackige Eindrücke
In der vergangenen Spielzeit war Süle noch relativ klar Innenverteidiger Nummer drei. Bei Bernats angeblichem "Scheißdreck"-Spiel in Sevilla etwa saß er 90 Minuten auf der Bank. In den Champions-League-K.o.-Spielen stand er erst in der Startelf, nachdem sich Boateng gegen Real Madrid verletzt hatte.
Im Sommer dann und unter Eindruck der zurückliegenden Weltmeisterschaft war Süle entweder weiterhin Innenverteidiger Nummer drei, oder Nummer eins - je nach Betrachtungsweise. "Alle drei sind auf einem Niveau, da gibt es keine Unterschiede", sagte Trainer Niko Kovac damals. Süle, Boateng und Hummels gingen als gleichwertiges Trio in die Saison.
Aber schon im Herbst gilt diese Aussage eigentlich nicht mehr: Süle scheint seine beiden Konkurrenten sowohl beim FC Bayern als auch in der Nationalmannschaft überholt zu haben. Das Momentum jedenfalls könnte klarer nicht auf seiner Seite sein. Beim vergangenen Nations-League-Spieltag stand Süle gegen Frankreich in der Startelf und überzeugte mehr als seine beiden Rivalen, die gemeinsam gegen die Niederlande begonnen und enttäuscht hatten. Und in der bisherigen Klub-Saison sprechen die Zweikampf-, Luftzweikampf- und Passquoten im Vergleich zu Boateng und Hummels allesamt für Süle.
Viel wichtiger als diese trockenen Statistiken sind aber die knackigen Eindrücke im Spiel. Ganz unabhängig von der Bezeichnung der anderen beiden (im Vergleich zu ihm) älteren fußballspielenden Herren: Süle wirkt spritziger, agiler und frischer als Hummels und Boateng. Vielleicht sogar als Hummels und Boateng zusammen.
Niklas Süle, Mats Hummels und Jerome Boateng im Vergleich
Spieler | Spiele | Zweikampfquote | Luftzweikampfquote | Passquote | Passquote (gegn. Hälfte) |
Niklas Süle | 9 | 65,96 | 70 | 92,82 | 87,79 |
Mats Hummels | 9 | 64,04 | 60 | 89,57 | 82,01 |
Jerome Boateng | 7 | 65,71 | 50 | 84,7 | 76,56 |
Niklas Süle übernimmt Führungsspieler-Aufgaben
Welchen Stellenwert sich Süle seit seinem Wechsel von der TSG Hoffenheim im Sommer 2017 beim FC Bayern mittlerweile erarbeitet hat, war bestens am Montag zu erkennen. Er saß nämlich als auserwählter Bayern-Spieler im Pressekonferenzraum des Athener Olympiastadions und erfüllte somit eine Pflicht, die für gewöhnlich sogenannten Führungsspielern obliegt. Solche, die sich zum Beispiel Boateng oder Hummels nennen.
Diesmal aber schlenderte Süle mit grauem Trainingsshirt, silberner Uhr und weißen Turnschuhen mit offenen Schnürsenkeln betont lässig in den Raum. Nach dem Sieg gegen den VfL Wolfsburg gelte es eben, eine neue Siegesserie zu starten, sagte Süle. "Da versuche ich mit meiner gewissen Gelassenheit auf und neben dem Platz meinen Teil dazu beizutragen."
Es ist diese Art, diese Herangehensweise, die auch Kovac an Süle so schätzt. "Der Niklas ist ein sehr entspannter Zeitgenosse, der gleichzeitig ehrgeizig und sehr locker ist", sagte Kovac. "Er ist sympathisch, nicht verkrampft, nicht total verbissen, aber sehr konzentriert."
Niklas Süle: Jerome Boatengs Spielanteile statt Trikots
Und dann saß Süle eben sympathisch, nicht verkrampft, nicht total verbissen, aber sehr konzentriert auf dem Pressekonferenzpodest und wurde gefragt, wie er denn die aktuelle Hackordnung in der Innenverteidigung sehe. "Wir haben drei sehr gute Innenverteidiger", antwortete er diplomatisch. Um dann anzumerken, dass sich die anderen beiden mittlerweile "auch ein bisschen auf mich eingestellt haben". Süle weiß um seinen neuen Stellenwert.
Vorbei sind die Zeiten, als er sich einst bei einem Spiel mit Hoffenheim gegen den FC Bayern das Trikot von Boateng sicherte und dies als "besonderen Moment" bezeichnete. Oder als er vor ziemlich genau einem Jahr sagte, er würde sich "niemals auf eine Ebene mit Boateng stellen". Vielleicht ohne es selbst zu realisieren, hatte er genau das jetzt doch getan und dann sogar gleich nochmal: "Wir sind alle drei super Innenverteidiger." Eine Ebene.
Niko Kovac schwärmt von Niklas Süle
Sowohl Bundestrainer Joachim Löw als auch Kovac scheinen Süle aktuell aber am supersten der drei zu sehen. "Er hat große Fähigkeiten", begann Kovac zu schwärmen und zählte als solche Süles Schnelligkeit, Zweikampfstärke und Dynamik auf. "Es ist schwierig, gegen ihn zu spielen." Und weil er es seinen Gegenspielern gerade so schwierig macht, wird es für Boateng und Hummels gleichzeitig schwierig, gemeinsam zu spielen. An Süle führt aktuell eigentlich kein Weg vorbei und das liegt nicht nur an seiner kühlschrankartigen Körpergröße von 1,95 Metern.
Das über Jahre sowohl beim FC Bayern als auch in der Nationalmannschaft gewachsene Innenverteidiger-Duopol bestehend aus Boateng und Hummels hat einen Wettbewerber bekommen, der gerade dabei ist, gehörig Marktanteil zu erobern. Einer, der Gelassenheit ausstrahlt und seine Schnürsenkel offen trägt.