FC Bayern München: Die acht Erkenntnisse der Hinrunde 2018/19

Kerry Hau
25. Dezember 201812:45
SPOX
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Vize-Herbstmeister, sechs Punkte Rückstand auf Borussia Dortmund: Der FC Bayern hat statistisch betrachtet die schwächste Bundesliga-Hinrunde seit der Saison 2010/11 hinter sich. Trotzdem gehen die Münchner nach fünf Siegen in Serie mit dem 3:0 bei Eintracht Frankfurt als Höhepunkt gestärkt in die Winterpause. SPOX nennt die wichtigsten sportlichen Erkenntnisse der ersten Halbserie.

1. Die Mannschaft hält zu Kovac

Im Spätherbst wackelte Niko Kovac noch bedenklich. Nicht nur die blutleeren Vorträge auf dem Rasen, sondern auch ständig nach Außen dringende Interna warfen Zweifel an dem Verhältnis zwischen der Mannschaft und dem Trainer auf. Das 3:3 im Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf am 22. November bildete den negativen Höhepunkt der Bayern-Krise. Nicht einmal Präsident Uli Hoeneß verteidigte Kovac in dieser Phase. Man werde "alles und jeden" hinterfragen, drohte der 66-Jährige in der Hoffnung, eine positive Reaktion zu provozieren.

Diese Reaktion kam. Das Team rückte nach mehreren klärenden Gesprächen zusammen, stellte sich öffentlich vor Kovac und legte auch auf dem Platz eine Schippe drauf. Das Resultat: sechs Siege und ein Unentschieden aus sieben Spielen.

Trotz einiger dankbarer Gegner wie Benfica, Nürnberg oder Hannover haben die Bayern sich selbst, vor allem aber ihrem Vorgesetzten Stabilität verliehen. Einzelschicksale werden mittlerweile hintenangestellt, es zählt das große Ganze. "Niko und die Mannschaft sind wieder eine Einheit", urteilte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge nach dem Sieg in Frankfurt.

2. Spielsystem ja, Spielidee naja

So überzeugend die Resultate seit einem Monat sind: Spielerisch hinken die Bayern ihren eigenen Sprüchen noch immer hinterher. Dass Variantenreichtum und Überraschungsmomente anders als beim BVB in München oft ausbleiben, liegt zum einen an Verletzungen kreativer Akteure wie aktuell James Rodriguez oder im November Thiago, zum anderen aber auch am taktischen Credo von Kovac.

Für den 47-Jährigen hat eine geordnete Defensive oberste Priorität. Dafür stellte er zuletzt sogar sein Wunschsystem, das 4-3-3 mit einem Sechser und zwei Box-to-Box-Achtern, um und installierte eine Art 4-2-3-1 mit zwei Sechsern, um seine Viererkette zu stärken. Ein kluger Schachzug, schließlich steht seit vier Spielen die Null.

In großen Spielen, gerade in der Champions League gegen den FC Liverpool am 19. Februar und 13. März, wird aber mehr Fantasie in der Offensive gefragt sein. Im letzten Gruppenspiel bei Ajax Amsterdam (3:3) hatte der Rekordmeister nur 40 Prozent Ballbesitz. "Wir haben es kaum geschafft, über die Mittellinie zu kommen, und das darf uns natürlich nicht passieren. Wir können besser spielen", mahnte Sportdirektor Hasan Salihamidzic.

3. Bayerns Außenbahnen genügen nicht den höchsten Ansprüchen

Die große Stärke der goldenen Bayern-Generation, die 2013 das Triple holte, war das temporeiche Spiel über die Flügel. Hier, und das hat die Hinrunde in aller Deutlichkeit gezeigt, herrscht mittlerweile dringender Handlungsbedarf. Franck Ribery und Arjen Robben sind, obwohl sie hin und wieder aufblühen, über ihrem Zenit.

Während Robben am Saisonende definitiv in München aufhört, bewirbt sich Ribery aktuell noch mit starken Leistungen für eine Vertragsverlängerung. Der 35-Jährige müsste sich mit einer Rolle als Backup begnügen. Die Bayern-Bosse suchen bereits intensiv nach Verstärkungen, auch weil die potentiellen Nachfolger von "Robbery", Kingsley Coman und Serge Gnabry, zu verletzungsanfällig sind.

Im Winter wird aber wohl kaum ein neuer Außenstürmer zu bekommen sein. Dafür möglicherweise ein neuer Außenverteidiger. Die Chancen stehen gut, dass Lucas Hernandez für 80 Millionen Euro von Atletico Madrid an die Isar wechselt. "Wenn wir etwas zu verkünden haben, werden wir das tun. Alles andere sind Spekulationen, die ich nicht kommentieren möchte", sagte Salihamidzic am Samstag auf Nachfrage von SPOX undGoal zu den Hernandez-Gerüchten.

Mit dem französischen Nationalspieler würden die Bayern gleich zwei Baustellen schließen: Hernandez käme auf der linken Abwehrseite, wo nach Juan Bernats Verkauf an Paris Saint-Germain eine Alternative zu David Alaba fehlt, sowie in der zuletzt nicht immer sattelfesten Innenverteidigung zum Einsatz.

4. Süle ist der neue Abwehrchef

Stichwort Innenverteidigung. Niklas Süle ist unter Kovac vom dritten Glied im Abwehrzentrum hinter Jerome Boateng und Mats Hummels zum neuen Chef der Bayern-Defensive avanciert. Süle bestritt nicht nur deutlich mehr Spielminuten (1824) als Boateng (1530) und Hummels (1199), er hielt die vor allem bei Kontern anfällige Hintermannschaft des FCB mit starkem Stellungsspiel und gut getimten Tacklings zusammen.

Schaut er sich in Sachen Spielaufbau noch etwas von seinen beiden Kollegen ab, spricht nichts dagegen, dass das 23 Jahre alte Kraftpaket in einen paar Jahren zu den besten Innenverteidigern der Welt zählt. Gut möglich, dass er in Zukunft Seite an Seite mit Hernandez spielt. Die mit vielen Verletzungen, aber auch Leistungsschwankungen kämpfenden Boateng und Hummels müssen in der Rückrunde zulegen, wenn sie mehr spielen wollen. Eine der beiden Innenverteidiger-Positionen ist Stand heute definitiv besetzt.

5. Kimmich reift zum Führungsspieler

Mal Rechtsverteidiger, mal Sechser - und das ohne Qualitätsabfall: Joshua Kimmich zeigt in dieser Saison, wie vielseitig einsetzbar er ist. Aktuell macht der Nationalspieler seine Sache in der Mitte so gut, dass es auf den ersten Blick keinen Grund gibt, ihn zurück in die Viererkette zu beordern.

Andererseits tummeln sich mehr Mittelfeldspieler als Außenverteidiger im Kader des Rekordmeisters. Und: Rafinha, 33, ist auf der rechten Abwehrseite zwar immer noch solide, aber kein adäquater Ersatz zum zehn Jahre jüngeren und weitaus laufstärkeren Kimmich.

"Mir ist es egal, wo ich spiele", so der Schwabe. Gut für Kovac, der inzwischen weiß, dass er sich immer auf Kimmich verlassen kann. Neben seiner Rolle als Leistungsträger wächst der Dauerbrenner, der in der Hinrunde alle möglichen Minuten in der Liga (1530) und der Champions League (540) bestritt, auch immer mehr in die des Lautsprechers hinein.

Er stellt sich auch an schlechten Tagen der Presse, geht sehr selbstkritisch mit sich und seinen Kollegen um. Fast schon wie ein Kapitän. Der 23-Jährige: "Wenn ich etwas zu sagen habe, dann spreche ich das an. Für mich ist es aber wichtig, mit Leistung voranzugehen. Das ist, neben dem Umgang mit den Mitspielern, die Basis, wenn man Führungsspieler werden möchte."

6. Die Wagner-Festspiele sind vorüber

Im Vergleich zu Sandro Wagner hat Kimmich fast neun Mal so viele Spielminuten auf seinem Konto. Der erst vor einem Jahr als Backup für Robert Lewandowski zurückgeholte Mittelstürmer ist unter Kovac nur ein Chronist.

Zwar wirkt sich das momentan nicht negativ auf Lewandowskis Leistungen (22 Tore in 24 Pflichtspielen) aus, in einer langen Saison mit drei Wettbewerben wird aber auch der Pole die eine oder andere Verschnaufpause benötigen. Wagner, der in der vergangenen Saison noch mit elf Scorerpunkten in 18 Spielen glänzte, scheint derzeit nicht mehr gut genug.

Dass er seinen Herzens- und Heimatverein trotz diverser Angebote aus England verlässt, ist nach jetzigem Stand aber ebenso unwahrscheinlich wie die Verpflichtung eines neuen Stürmers. Eine Möglichkeit für Kovac wäre, Gnabry auf der Lewandowski-Position zu testen. Im DFB-Team wusste der Neuzugang aus Hoffenheim zuletzt als Neuner zu gefallen.

7. Die Neuen überzeugen

So oder so: Gnabry darf sich, sobald er seine Muskelverletzung überstanden hat, auf viele Einsätze im Bayern-Trikot freuen. Der 23-Jährige überzeugt an neuer Wirkungsstätte bislang auf ganzer Linie, ist mit vier Toren und vier Assists der nummerisch beste Flügelspieler der Münchner in der laufenden Spielzeit. Die Verantwortlichen sind mit ihm zufrieden. "Mit ihm haben wir eine Waffe im Spiel. Er hat die Geschwindigkeit und weiß auch, wie man Tore macht. Ich wusste, dass er das kann. Er ist für uns sehr wichtig", so Salihamidzic.

Neben Gnabry zeigt mit Leon Goretzka auch der zweite prominente Neuzugang ansehnliche Leistungen. Der Ex-Schalker, ebenfalls 23, ist im zentralen Mittelfeld gesetzt, kam trotz kleinerer Verletzungspausen auf 22 von 26 möglichen Hinrunden-Einsätzen und steuerte dabei fünf Scorerpunkte (zwei Tore, drei Vorlagen) bei. Besonders stark spielte Goretzka zuletzt an der Seite seines guten Freundes Kimmich auf der Sechs.

Die Konkurrenzsituation im Mittelfeld ist groß. Umso beachtlicher, dass selbst der nach seiner verunglückten Leihe an Swansea City zurückbeorderte Renato Sanches unter Kovac einen ordentlichen Eindruck macht. Der 21-jährige Portugiese war in seiner ersten Saison in München noch völlig verloren gewesen, jetzt steht er immerhin schon bei 16 Einsätzen und drei Torbeteiligungen. Die Rückrunde wird zeigen, ob er mehr als ein Ergänzungsspieler sein und das ungeliebte Etikett mit der Aufschrift "Fehleinkauf" entfernen kann.

Die Bayern-Spieler mit den meisten Einsatzminuten (alle Wettbewerbe)

SpielerGespielte Minuten
Neuer, Manuel2340
Kimmich, Joshua2271
Lewandowski, Robert2123
Alaba, David1924
Süle, Niklas1826
Müller, Thomas1825
Boateng, Jerome1530
Ribery, Franck1521
Thiago Alcantara1505
Goretzka, Leon1377

8. Die Jugend bleibt (noch) auf der Strecke

Die Sehnsucht der Bayern ist groß, nach Thomas Müller (2009) und David Alaba (2010) endlich wieder Leistungsträger aus der eigenen Jugend zu rekrutieren. Salihamidzic machte es sich in den vergangenen Monaten zur Herzensaufgabe, verheißungsvolle Talente langfristig zu binden und einzusetzen.

Im Frühjahr stattete er Innenverteidiger Lukas Mai (18), die Offensivspieler Franck Evina (18), Meritan Shabani (19) und Oliver Batista Meier (17) sowie Torhüter Ron-Thorben Hoffmann (19) mit Profiverträgen aus. "Ich bin sehr daran interessiert, dass wir den jungen Spielern eine Chance geben. Wir werden frischen Wind reinbringen", versprach Salihamidzic damals.

Bisher hielten sich die Einsatzgelegenheiten für die jungen Wilden allerdings noch in Grenzen. Shabani durfte unter Kovac immerhin einmal in der Bundesliga und einmal im Pokal ran, der südkoreanische Außenstürmer Woo-yeong Jeong (19) kickte neun Minuten in der Champions League. Der Rest versuchte sich bisher erfolglos, über die A-Jugend oder die Regionalliga-Mannschaft des Rekordmeisters für höhere Aufgaben zu empfehlen.