Leon Goretzkas Heimfahrt von seinem bisher besten Bundesligaspiel im Trikot des FC Bayern war eine einsame. Während er noch bei der Dopingkontrolle wartete, bis es endlich lief, fuhr der Mannschaftsbus bereits los in Richtung München. Fast Mitternacht schlug es, als Goretzka durch war und weil es jetzt eh schon egal war, beantwortete er mit einer grauen Mütze auf dem Kopf in Ruhe noch ein paar Fragen, ehe er sich getrennt von seinen Mitspielern auf den Rückweg machte.
Ob er Kovac denn gesagt habe, dass er gerne auf der Zehn spielen würde? "Ich sage das jedem, weil ich glaube, dass ich der Mannschaft da gut helfen kann. Ich glaube im Verein weiß jeder, dass ich diese Position bekleiden kann", antwortete Goretzka. Es wirkte schon, als würde der Mann mit der Nummer 18 diese Zehn generell lieber behalten als wieder hergeben.
Eigentlich sei seine Lieblingsrolle ja die Acht, erklärte Goretzka, aber seit Trainer Niko Kovac das 4-3-3/4-1-4-1-System abgeschafft hat, gibt es die bekanntlich nicht mehr. Hätte Goretzka die freie Wahl zwischen der Sechs, die er Ende der Hinrunde ausfüllte, und der Zehn, die er erstmals in Hoffenheim gab, "würde ich eher die Zehn nehmen. Da kann ich meine offensiven Qualitäten besser zeigen als auf der Sechs." Eine verbale Ansage an die beiden Konkurrenten Thomas Müller und James, nachdem er zuvor eine sportliche geliefert hatte.
Leon Goretzka überzeugt offensiv und defensiv
"Mit dieser Entscheidung haben wir alles richtig gemacht", bestätigte sich Kovac selbst für die Maßnahme, Goretzka auf der Zehn ausprobiert zu haben. "Wir haben mal was gefunden." Goretzka spielte im 4-2-3-1 hinter Stürmer Robert Lewandowski, aber da sich dieser immer wieder fallen ließ, rückte Goretzka oft in die Spitze vor. Insgesamt sechs Mal schloss er ab. Vier Versuche gingen aufs Tor, zwei ins Tor. Einmal per Abstauber aus spitzem Winkel von Kevin Vogt abgefälscht (34.), einmal nach einem Konter sauber hineingegrätscht (45.+1). Es war der erste Doppelpack seiner Bundesligakarriere.
Goretzka entblößte sich damit als Neujahrsvorsatz-Typ, der seine Neujahrsvorsätze auch tatsächlich zügig umsetzt und damit nicht bis zu den nächsten Neujahrsvorsätzen wartet. "Ich habe mir vorgenommen, dass ich in der Rückrunde wieder ein bisschen torgefährlicher werde und der Mannschaft nach vorne mehr gebe", verriet Goretzka, der in der gesamten Bundesligahinrunde zwei Treffer erzielt hatte. "Tore schießen macht Spaß, ab und zu ein Ausflug nach vorne tut mir gut."
Kovac ließ ihn das im Vorfeld des Hoffenheim-Spiels extra trainieren und gestattete ihm die Umsetzung dann auch im Spiel - weil offensive Akzente bei Goretzka nicht auf Kosten des defensiven Arbeitseifers gehen. "Leon ist ein Spieler, der in beide Richtungen sehr gut arbeitet, der defensiv parat ist, der schnell ist, der auch in die Tiefe gehen kann", lobte Kovac. Gegen Hoffenheim lief Goretzka über zwölf Kilometer und somit knapp hinter Joshua Kimmich am zweitmeisten aller Spieler des FC Bayern. "Leon hat nicht so viele Probleme mit viel Laufen", sagte sein Kollege Niklas Süle.
Kovac nahm Goretzkas Leistung wohl auch als Bewerbungsschreiben für die Champions-League-Achtelfinalspiele gegen den FC Liverpool auf. Müller wird sie wegen seiner Sperre verpassen, James ist Goretzkas einzig verbliebener Mitbewerber. Er spielt zwar bereits seit Sommer 2017 im Verein, wirkt aber noch längst nicht so gut integriert wie der ein Jahr später gekommene Goretzka.
Leon Goretzkas erfolgreiche Integration in München
Dessen anfängliche Sorgen waren unbegründet. "Ich hatte schon Respekt, weil ich mein Nest vorher noch nie verlassen habe", erzählte Goretzka. Sein Nest, der Ruhrpott. Wo er in Bochum geboren wurde, beim örtlichen VfL zum Profi aufstieg und dann beim Revierrivalen FC Schalke 04 zum Nationalspieler. Und im Sommer dann nach München. "Es klappt besser, als ich das erwartet habe", findet Goretzka.
Das liegt vor allem an seinen Mitspielern und 1995er-Geburtsjahr-Kollegen Niklas Süle und Joshua Kimmich, mit denen Goretzka schon jahrelang in den deutschen U-Nationalmannschaften zusammenspielte. "Sie sind meine ersten Bezugspersonen. Menschen, die ich schon mein halbes Leben lang kenne." Und dann ist da ja auch noch Manuel Neuer, der zwar ein bisschen älter ist, aber aus der gleichen Ecke kommt.
"Wir sind beide Kinder des Ruhrpotts und verstehen uns auch abseits des Platzes sehr gut", sagte Neuer in den Katakomben der Hoffenheimer Arena. Es war nur der Beginn einer Eloge auf seinen Kollegen: "Er ist ein guter Typ, der immer hart an sich arbeitet, sehr offen ist, auch außerhalb des Platzes viel über den Fußball spricht, sich immer Gedanken macht, wie man sich verbessern kann - nicht nur als Einzelspieler, sondern auch mannschaftlich." Gegen Hoffenheim verbesserte Goretzka die Mannschaft nicht nur mit seinen Gedanken - sondern vor allem mit seiner Leistung auf der Zehn.