"Wir haben auf dem Papier schon eine richtig, richtig gute Mannschaft", frohlockte Bayern-Sportdirektor Hasan Salihamidzic, der es sich am Freitagmittag neben Neuankömmling Benjamin Pavard auf dem Podium im Presseclub der Allianz Arena bequem gemacht hatte. Gemeint hat er damit eine potenzielle Startelf, die vermutlich im selben Moment vor seinem geistigen Auge erschien.
Zieht man die in der vergangenen Saison von Präsident Uli Hoeneß aufgestellte Faustregel, dass ja ohnehin nur elf Spieler auflaufen können, zurate, dann mag das sogar stimmen. Doch wie gestaltet sich das Ganze, sollte eine oder gleich mehrere Stammkräfte nicht zur Verfügung stehen? Ein Szenario, mit dem Trainer Niko Kovac in der Vorsaison unverhofft früh konfrontiert wurde, als mit Kingsley Coman, Corentin Tolisso und Rafinha gleich drei Spieler in den ersten Bundesliga-Spielen längerfristig verletzungsbedingt ausfielen.
Daraus habe man die richtigen Schlüsse gezogen, hatte der Kroate am Dienstag im Rahmen der Präsentation von Jann-Fiete Arp an der Säbener Straße geschworen. "Wir hatten in der letzten Saison 19 Feldspieler plus drei Torhüter", erklärte Kovac. "Man muss als Trainer immer vom Worst Case ausgehen." Unbeschadet überstehe man eine solch kräftezehrende Spielzeit nämlich keinesfalls.
Kader des FC Bayern München: Derzeit nur 17 Feldspieler
Franck Ribery, Arjen Robben, Rafinha, Mats Hummels und James Rodriguez haben den Verein verlassen, Lucas Hernandez, Pavard und Arp wurden bislang als Zugänge verbucht. Macht nach Adam Riese 17 Feldspieler - Stand jetzt. Dazu zählen selbstverständlich auch Jerome Boateng und Renato Sanches, die als Abwanderungskandidaten gehandelt werden sowie die beiden Youngster Arp und Alphonso Davies, die zwar als zukunftsträchtig gelten, kurzfristig aber noch nicht für ein dauerhaftes Engagement bei den Profis infrage kommen.
Dass der aktuelle, ausgemergelte Kader nicht ausreicht, um auf den berüchtigten drei Hochzeiten zu tanzen und im Idealfall sogar überall den metaphorischen Brautstrauß, sprich Titel, einzuheimsen, steht natürlich außer Frage.
Dementsprechend wird der - zumindest auf nationaler Ebene - Dauerdominator der vergangenen Jahre auch noch versuchen "ein paar Sachen umzusetzen", wie Brazzo mit Hinblick auf weitere Verpflichtungen preisgab. Welcher Spieler aus dem Pool um Leroy Sane, Alternativkandidat Ousmane Dembele, Salihamidzics ganz persönlichem Dauer-Flirt Callum Hudson-Odoi oder der zahlreichen als C- und D-Lösungen Gehandelten noch nach München wechselt, bleibt abzuwarten.
FC Bayern: Hasan Salihamidzic gibt keine Auskunft zu Transfers
Diesbezüglich wolle er keine "Wasserstandsmeldungen abgeben", sagte Salihamidzic und spielte damit auf den Maulkorb an, den sich die gesamte Führungsriege dieser Tage selbst angelegt hat. Zur angestrebten Größe des Teams bezog der Bosnier aber sehr wohl Stellung. Die solle sich ziemlich genau an der der vorangegangen Saison orientieren.
"Wir hatten einen schmalen Kader, aber haben das trotzdem sehr, sehr gut gemacht", schwärmte er, ohne die personellen Probleme, die sich zwischenzeitlich aufgetan hatten, zu berücksichtigen: Leon Goretzka als überforderter Aushilfs-Linksverteidiger, Thomas Müller - mangels Alternativen - ständig auf der ungeliebten Rechtaußenposition oder einen nicht gänzlich fitten Coman im Hinspiel gegen den FC Liverpool. Nur drei Beispiele.
Brazzo begründet schmalen Kader: "Gute Stimmung und nicht nur Theater"
Der Grund, warum der FCB nicht mehr gestandene Profis in den eigenen Reihen wissen möchte, mutet auch mit diesem Hintergrund etwas seltsam an. "Die Idee der Kaderplanung ist, dass wir flexible, vielseitige Spieler haben, die auf mehreren Positionen einsetzbar sind. Das bedeutet für jeden Spieler hohe Verantwortung und eine besondere Wertschätzung", sagte Salihamidzic und schob nach: "Man darf sich nicht als Nummer 25 fühlen. Jeder Spieler beim FC Bayern hat den Anspruch zu spielen. Man muss dem Trainer die Möglichkeit geben, gute Stimmung in der Mannschaft zu haben und nicht nur Theater."
Eine Aussage, deren Kern vermittelt: Um des Mannschaftsfriedens willen wird der Kader auf das Nötigste reduziert, immerhin sprangen ja letztlich trotz der auf Kante genähten Personalsituation zwei Titel heraus. Zudem schwang in Brazzos Hauptsache-gute-Stimmung-Ansage unterschwellig mit, dass Spieler, die im Falle eines Bank- oder Tribünendaseins für etwaige Unruhe sorgen könnten, ohnehin nicht sonderlich erwünscht sind. Hummels und James wären durchaus dahingehende Persönlichkeiten gewesen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass mit Boateng und Sanches noch weitere Spieler gehen, die aus ihrer Unzufriedenheit zuletzt keinen Hehl gemacht hatten.
Bayern: Die dünne Personaldecke birgt Gefahren
Beinahe gebetsmühlenartig erklären die Verantwortlichen unisono, dass noch knapp zwei Monate bleiben, um auf dem Transfermarkt tätig zu werden, Salihamidzic mahnte einmal mehr zu "Geduld." Geht man aber davon aus, dass Boateng und Sanches tatsächlich noch von dannen ziehen, stünde man bei 15 Feldspielern, was bedeuten würde, dass - um auf die von Salihamidzic propagierte schmale Anzahl aus der Vorsaison zu kommen - noch vier Akteure, die sofort weiterhelfen könnten, ihren Weg an die Isar finden müssten. Möglich, aber unter aktuellen Gesichtspunkten schwierig vorstellbar.
Ob der Kader, der unabhängig davon, ob noch drei, vier oder fünf Spieler kommen, mit Sicherheit schmal bleiben wird, gerüstet ist, auch in der Champions League wieder im Konzert der ganz Großen mitzuspielen, wird die Zukunft zeigen. Das große Umbruchspuzzle birgt aber zumindest eine Gefahr. Sollten die Jungs in der zweiten Saisonhälfte aufgrund der dünnen Personaldecke physisch auf dem Zahnfleisch gehen, hätte sich das mit der guten Stimmung irgendwann auch erledigt.