FC Bayern nach Arbeitssieg gegen Union: Wer hat Angst vor der Bestia Negra? Niemand

Dennis Melzer
28. Oktober 201900:30
Manuel Neuer (M.) war nicht zufrieden mit der Leistung des FC Bayern.imago images
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Der FC Bayern siegt verdient gegen Union. Das Spiel zeigt allerdings erneut: Derzeit schöpfen selbst die größten Underdogs berechtigte Hoffnungen.

Der zweite Durchgang war knapp fünf Minuten alt, als Manuel Neuer urplötzlich sämtliche Mitspieler in Sicht- und Griffweite zurechtstutzte. Der Kapitän monierte, dass eine Union-Flanke unbehelligt durch seinen Strafraum segeln durfte und in Felix Kroos beinahe einen erfolgreichen Abnehmer gefunden hätte. Ein vehementer, in dieser Ausprägung recht untypischer Wachrüttler seitens des traditionell eher besonnenen Bayern-Keepers. Das vielzitierte "Zeichensetzen", das von der Südkurve mit Szenenapplaus honoriert wurde.

"Das sind die Momente, die an die ganz großen, glorreichen Zeiten erinnern", antwortete Thomas Müller pathetisch mit einem Augenzwinkern, als er in der Mixed Zone auf Neuers Weckruf angesprochen wurde und somit unfreiwillig den Bogen spannte. Welche Momente gibt es denn derzeit, die an die großen, glorreichen Zeiten erinnern? Sie sind rar dieser Tage. Auch an diesem herrlichen, spätsommerlichen Oktobersamstag gegen Union Berlin. Am Ende stand zwar ein verdientes 2:1 zu Buche, vollumfänglich überzeugen vermochte der FC Bayern allerdings erneut nicht.

FC Bayern: Hasan Salihamidzic übt erneut Kritik

"Insgesamt war es ordentlich, obwohl wir in letzter Zeit ein Händchen dafür haben, Spiele, in denen wir eigentlich die Kontrolle haben, spannend zu gestalten", erklärte Müller dementsprechend im Anschluss und schob nach: "Für mich persönlich ist es besser, dass es knapp ausgefallen ist. Vielleicht hätten wir sonst vergessen, dass wir uns Schritt für Schritt hineinarbeiten müssen." Müller verwies somit indirekt auf die jüngsten Aussagen seines Sportdirektors Hasan Salihamidzic, der nach dem 3:2-Sieg bei Olympiakos am vergangenen Dienstag gefordert hatte, dass "alles" besser werden müsse.

Obwohl Salihamidzic im Gegensatz zum Champions-League-Auftritt diesmal die nötige Kontrolle ausgemacht hatte, entwickelte sich gegen die Hauptstädter eine Partie, die der deutsche Rekordmeister aufgrund zahlreicher nicht genutzter Chancen bis zum Schluss offenhielt.

"Ich würde mir wünschen, dass wir mal wieder ein Spiel machen, das wir frühzeitig entscheiden - und nicht immer bis zur letzten Minute zittern müssen", sagte 'Brazzo'. Ein Statement, das einiges verriet: Die Bayern, die vor allem in Spanien gleichermaßen ehrfürchtig wie martialisch "bestia negra", also "schwarze Bestie" genannt werden, stecken in einem Dilemma, sind aktuell weit davon entfernt, Angst und Schrecken bei ihren Widersachern zu verbreiten.

FC Bayern: Eindimensional und zahnlos

Aufsteiger wie Union Berlin, die normalerweise in Ehrfurcht erstarren, sobald sie die Allianz Arena betreten, geben sich selbstbewusst, dürfen bis zum Schlusspfiff daran glauben, etwas Zählbares aus der bayrischen Landeshauptstadt zu entführen. "Das waren keine Punkte, die wir eingeplant haben", gestand Routinier Christian Gentner, kommentierte mit Blick auf die Formkurve des FCB aber vielsagend: "Ich spiele jetzt seit Jahren gegen die Bayern und es gab sicherlich schon schwierigere Spiele. Das war keine überragende Bayern-Mannschaft, ich habe sie schon wesentlich stärker erlebt." Der Tenor: Es war mehr drin.

Vor allem im ersten Durchgang präsentierten sich die Münchner gegen die mutigen Köpenicker zahnlos, flüchteten sich in immer wiederkehrende, eindimensionale Angriffsmuster, die allesamt mehr oder weniger souverän bereinigt wurden. Alphonso Davies und Ivan Perisic auf links sowie Joshua Kimmich und Kingsley Coman auf der anderen Seite brachten beispielsweise Flanke um Flanke in den gegnerischen Strafraum, ohne für wirkliche Gefahr zu sorgen (insgesamt 14 Hereingaben aus dem Spiel, Quelle: Opta).

Philippe Coutinho versuchte sich ein ums andere Mal mit Fernschüssen, ließ aber ebenfalls die entscheidende Durchschlagskraft vermissen. Erst als Serge Gnabry den enttäuschenden Coman ersetzte, waren Überraschungsmomente erkennbar. Das Ergebnis: mehr aussichtsreiche Möglichkeiten, wobei die Ausbeute weiterhin mager blieb.

Philippe Coutinho: "Weit von unserer Bestform entfernt"

"Der Sieg war sehr wichtig, aber wir haben auch heute kein gutes Spiel gemacht", fasste Coutinho auf Nachfrage von SPOX und Goal das zuvor Geschehene in der Mixed Zone zusammen. "Wir sind weit von unserer Bestform entfernt. Uns ist allen klar, dass wir besser werden müssen." Doch wie gedenkt man dies zu bewerkstelligen?

Robert Lewandowski, der auch im neunten Bundesliga-Spiel der neuen Saison einen Treffer beisteuerte und sich damit in die Annalen der deutschen Beletage schoss, rief zur Geduld auf. "Wir arbeiten daran, besser zu spielen. Heute war es deutlich besser (als gegen Olympiakos, Anm. d. Red.), aber so etwas geht nicht innerhalb von zwei oder drei Tagen."

Trainer Niko Kovac hofft derweil, dass vor allem die Chancen in Zukunft wieder konsequenter genutzt werden. Der Kroate sagte auf der Pressekonferenz bezüglich der zahlreichen Tormöglichkeiten in der zweiten Halbzeit: "Wir hatten eine Reihe von Hochkarätern, die wir nicht genutzt haben. Irgendwann wird sich das wieder drehen."

FC Bayern: Niko Kovac ist "zufrieden"

Einig waren sich die Bayern-Protagonisten letztlich beim Thema Defensive. "Ich bin mit der Leistung meiner Mannschaft zufrieden, weil wir aus dem Spiel kaum etwas zugelassen haben", befand Kovac. Müller lobte, die verletzungsbedingt neuformierte Abwehr um Kimmich, Benjamin Pavard, Jerome Boateng und Davies habe "gut funktioniert".

Das war in den vergangenen Spielen gegen Olympiakos, den FC Augsburg oder Hoffenheim nicht unbedingt der Fall. Union strahlte fürwahr kaum Torgefahr aus, durfte aber trotzdem an der Sensation, namentlich Punktgewinn, schnuppern.

Ein Phänomen, das die Bayern derzeit fest im Griff hat. Weil die althergebrachte Selbstverständlichkeit, jeden Kontrahenten souverän aus dem heimischen Stadion zu schießen, abhandengekommen ist. Weil die Momente fehlen, die an die großen, glorreichen Zeiten erinnern.

Die Bundesliga-Tabelle am 9. Spieltag

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Bayern München924:111318
2.SC Freiburg917:10717
3.Borussia Dortmund920:11916
4.Borussia M'gladbach815:7816
5.Wolfsburg811:5616
6.RB Leipzig917:10715
7.Schalke 04914:9515
8.Eintracht Frankfurt814:10414
9.Bayer Leverkusen913:13014
10.TSG Hoffenheim911:13-214
11.Werder Bremen915:18-312
12.Hertha BSC915:16-111
13.1. FSV Mainz 05910:19-99
14.Fortuna Düsseldorf910:16-67
15.1. FC Union Berlin99:15-67
16.1. FC Köln99:19-107
17.FC Augsburg810:21-116
18.SC Paderborn 07911:22-114