Hansi Flick soll beim FC Bayern zur neuen Saison wieder Platz machen für einen neuen Cheftrainer. Welche Argumente für und gegen die beiden Favoriten Erik ten Hag und Thomas Tuchel sprechen. Eine Analyse.
Die Trainerfrage beim FC Bayern bleibt Dauerthema, dreht sich inhaltlich aber im Kreis. Dass Mauricio Pochettino kein ernsthafter Kandidat ist, hatten SPOX und Goal bereits vor einer Woche vermeldet.
Auch sonst hat sich an der Marschroute des Vorstands nichts geändert: Wenn nichts Gravierendes dazwischenkommt, wird Hansi Flick die Mannschaft bis Saisonende trainieren und dann ins zweite Glied zurücktreten.
Deshalb sind und bleiben Thomas Tuchel von Paris Saint-Germain und Erik ten Hag von Ajax Amsterdam die Top-Kandidaten. Allerdings spricht bei genauerer Betrachtung wesentlich mehr für den Niederländer als für den Deutschen.
Das zeigt der Blick auf die wesentlichen Kriterien, die den Bayern bei der Trainersuche wichtig sind:
- Gute Deutschkenntnisse
- Internationale Erfahrung bei einem Top-Klub (idealerweise in der Champions League)
- klar erkennbare taktische Philosophie (möglichst offensiv)
- Entwicklung junger Spieler
- souveräner Umgang mit Stars bzw. Moderation eines doppelt besetzen Kaders
- professionelles Verhältnis zu den Medien
- guter Austausch mit der Vereinsführung
- Bayern-DNA/Vergangenheit
- lösbare vertragliche Situation
- gemeinsame Arbeit mit Hansi Flick
Tuchel und ten Hag erfüllen die ersten vier Punkte
Die ersten vier Punkten erfüllen Tuchel und ten Hag. Die Sprache ist im Gegensatz zu Pochettino oder dem ebenfalls verfügbaren früheren Juve-Coach Massimiliano Allegri kein Problem. Die nötige Erfahrung bei einem Spitzenteam bringen beide Trainer in ausreichenden Maßen genauso mit wie eine eigene taktische Handschrift mit attraktivem und dominantem Fußball.
Wichtig ist den FCB-Bossen auch, dass aus dem Nachwuchs knapp zehn Jahre nach David Alaba endlich wieder eigene Talente wie Oliver Batista-Meier, Leon Dajaku oder Joshua Zirkzee den Sprung zu den Profis schaffen.
Tuchel führte die A-Junioren von Mainz 05 2009 beinahe sensationell zur deutschen Meisterschaft und machte seine damaligen Spieler Andre Schürrle, Jan Kirchhoff und Stefan Bell nach seiner Beförderung zu Bundesliga-Profis. Bei Borussia Dortmund gelang allerdings wenigen jungen Spielern der Durchbruch und bei PSG verließen zahlreiche Top-Talente wie Christopher Nkunku (zu RB Leipzig) oder Moussa Diaby (nach Leverkusen) im Sommer mangels Perspektive das Starensemble.
Ten Hag wiederum gilt in den Niederlanden als Meister der Talentförderung und arbeitet bei Ajax erfolgreich mit einem jungen Team zusammen, das zum Großteil aus dem eigenen Nachwuchs stammt. Auch die teuer verkauften Matthijs de Ligt (20) und Frenkie de Jong (22) gehörten bis vergangenen Sommer dazu. Gleichwohl hat der 49-Jährige auch Erfahrung mit etablierten und selbstbewussten Spielern, wie aktuell Dusan Tadic (31), Hakim Ziyech (26) oder Daley Blind (29).
Die nicht einfach zu handelnde Kabine des FC Bayern dürfte Ten Hag daher in den Griff bekommen, ebenso wie Tuchel - auch wenn bei PSG immer wieder Scharmützel mit seinen Superstars nach außen dringen wie zuletzt mit Neymar. "Es stimmt aber, dass er manchmal ein schwieriger Typ sein kann. Das ist aber überhaupt nicht schlimm", sagte Julian Draxler kürzlich im Interview mit DAZN und SPOX. "Ich habe ihn als sehr offenen, sehr direkten und sehr korrekten Menschen kennengelernt."
PSG würde Tuchel wohl keine Freigabe erteilen
Nun zu den Unterschieden: Vertraglich ist ten Hag (bis 2022) zwar noch ein Jahr länger gebunden als Tuchel, Ajax würde dem Coach im Falle einer Bayern-Anfrage aber keine Steine in den Weg legen. Man denke großzügig, erklärte Sportchef Marc Overmars bereits.
Die PSG-Verantwortlichen hingegen würden Tuchel - allein aus Prestigegründen - wohl keine Freigabe erteilen, so lange sie von ihm überzeugt sind. Der deutsche Rekordmeister wäre also darauf angewiesen, dass die Pariser den Trainer etwa aufgrund eines erneuten frühzeitigen Scheiterns in der Champions League loswerden wollten.
Als nicht entscheidender, aber kleiner Pluspunkt dient sicherlich ten Hags Vergangenheit bei Bayern als Trainer der zweiten Mannschaft zwischen 2013 und 2015. Obwohl er zweimal den Aufstieg in die 3. Liga verpasste, trennte man sich nach Auslaufen des Vertrags im Guten. Ten Hag wechselte zum niederländischen Erstligisten FC Utrecht, die enge Verbindung nach München blieb aber bestehen. "Bayern ist mein Verein geworden", sagte er im Frühjahr der Süddeutschen Zeitung.
Tuchel hängt das Zerwürfnis mit Watzke nach
Daher ist auch davon auszugehen, dass die Zusammenarbeit mit der Vereinsführung erneut reibungslos verlaufen wird. Bei Tuchel hatte hingegen vor allem Ex-Präsident Uli Hoeneß erhebliche Zweifel, während Karl-Heinz Rummenigge den 46-Jährigen seit der Trennung von Carlo Ancelotti mehrfach auf der Liste ganz vorne gehabt haben soll. Unter anderem hängt dem gebürtigen Schwaben das tiefe Zerwürfnis mit BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nach, das trotz des Pokalsiegs 2018 zur vorzeitigen Trennung führte.
Tuchel sei ein Kontrollfreak, der zwar taktisch überragend, aber menschlich sehr schwierig sei, erklärt einer, der ihn seit mehr als zehn Jahren kennt. Genau das könnte auch nach der Ära Hoeneß nicht nur zum Problem mit den Bossen, sondern auch mit der großen und anspruchsvollen Medienlandschaft in München führen. Im kaum weniger hektischen Paris hat Tuchel zwar extrem dazugelernt, neigt nach Angaben von Le Parisien aber immer wieder zu "Vulkanausbrüchen".
Wie geht es mit Hansi Flick weiter?
Bleibt als letzter und keineswegs unwichtiger Punkt die Frage, was unter einem neuen Cheftrainer aus Hansi Flick werden soll. Auch wenn sich der aktuelle FCB-Coach und Tuchel nach gemeinsamen Gesprächen schätzen, ist es fraglich, ob Flick in Tuchels Team eine große Rolle spielen würde. Mit Ausnahme von Assistent Zoumana Camara sind die anderen fünf Mitglieder des engeren PSG-Trainerstabs Deutsche, von denen vier seit Jahren mit Tuchel zusammenarbeiten, allen voran sein engster Mitarbeiter Arno Michels.
Ten Hag hingegen gehört zu den wenigen Trainern, die heutzutage noch ohne Stab zu haben sind. Bei Bayerns Reserve arbeitete er gut und geräuschlos mit den vom Verein ausgewählten Sören Osterland und Rainer Ulrich zusammen, bei Ajax sind nach dem Abgang von Alfred Schreuder zu 1899 Hoffenheim erst seit Saisonbeginn der einstige Ajax-Profi Michael Reiziger und der frühere Schalker Christian Poulsen seine Co-Trainer.
Einer künftigen engen Zusammenarbeit quasi auf Augenhöhe mit Flick, der grundsätzlich zum Schritt zurück in die zweite Reihe bereit wäre, stünde beim FC Bayern also nichts im Wege. Ein Argument mehr für ten Hag im Vergleich zu Tuchel. Eine konkrete Entscheidung wird gleichwohl erst nach Antritt des neuen Vorstands Oliver Kahn im Verlaufe des Frühjahrs fallen.