Der Sportvorstand des FC Bayern München Hasan Salihamidzic (43) hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich: Mit 15 Jahren flüchtete er allein vor dem Bosnienkrieg nach Hamburg, wo er beim HSV unterkam und sich in die Bundesliga kämpfte.
"Bitte Limonade", waren die ersten beiden Worte, die Hasan Salihamidzic der Legende nach auf deutschem Boden sprach und gleichzeitig die einzigen beiden deutschen Worte, die er damals überhaupt konnte. Gesprochen haben soll er sie im Alter von 15 Jahren im November 1992 in einem kleinen Cafe am Hamburger Hauptbahnhof, gerade eben war er allein vor dem Bosnienkrieg nach Deutschland geflüchtet. Salihamidzic also bestellte eine Limonade und dann machte er sich auf, Profifußballer zu werden.
Begonnen hatte seine Reise einst in Jablanica, einer Kleinstadt in der damaligen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien und Herzegowina, umgeben von einer malerischen Landschaft am Fluss Neretva. 1977 kam Salihamidzic hier zur Welt, der langjährige Machthaber Tito lebte noch und mit ihm die Vision von friedlich koexistierenden ethnischen Gruppen im Vielvölkerstaat Jugoslawien.
Mit zehn Jahren trat Salihamidzic, den alle nur "Brazzo" - zu Deutsch "Bürschchen" - nannten, dem FK Turbina Jablanica bei. Mit 14 war er zu gut für den lokalen Klub und wechselte zum viel bedeutenderen FK Velez Mostar rund 50 Kilometer flussabwärts. Ein technisch starker rechter Außenbahnspieler mit Zug zum Tor und unfassbarem Ehrgeiz. Das Gesamtpaket ließ eine spätere Fußballerkarriere schon damals unausweichlich erscheinen, doch dann kam der Krieg.
Im Jahr 1991 hatten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit erklärt, am 1. März 1992 zog Bosnien und Herzegowina nach. Es sollte aber nicht das Ende des Konflikts sein, sondern der Beginn eines jahrelangen Kriegs.
Ein Länderspiel und zehn Wochen Training in Belgrad
Im Fußball wurde zunächst jedoch weiterhin eine nicht existierende Einheit vorgegaukelt und so stand Salihamidzic im Kader der immer noch bestehenden jugoslawische U16-Nationalmannschaft, die am 1. Mai in Belgrad auf die Nachfolgemannschaft der Sowjetunion GUS traf.
Am Tag vor dem Spiel flog Salihamidzic von der bosnischen Hauptstadt Sarajevo in die serbische Belgrad, es sollte der letzte reguläre Linienflug zwischen den beiden Städten für vier Jahre gewesen sein. Am Tag danach begann die offizielle Belagerung von Sarajevo und für Salihamidzic gab es deshalb kein direktes Zurück in die Heimat. Gemeinsam mit seinem ebenfalls nominierten Velez-Kollegen Vedran Pelic blieb er in Belgrad und trainierte dort zehn Wochen lang mit der Nachwuchsmannschaft von Roter Stern.
Da kein Ende der Belagerung absehbar war, machten sich Pelic und Salihamidzic schließlich über Ungarn, Slowenien und Kroatien auf den beschwerlichen Umweg zurück nach Jablanica.
Salihamidzics Flucht nach Deutschland
An einen normalen Fußballbetrieb war dort längst nicht mehr zu denken, die Frontlinie verlief wenige Kilometer von Jablanica entfernt. Salihamidzic arbeitete als Barkeeper und trainierte individuell, einige seiner Freunde wurden eingezogen und mussten kämpften. Ein Schicksal, dass ihm sein Vater Ahmed unbedingt ersparen wollte. "Er wollte mich nicht mit dem Gewehr in der Hand mein Talent vergeuden sehen", erzählte Salihamidzic mal der SportBild. Und so begann der Vater nach einem Ausweg für seinen fußballerisch so talentierten Sohn zu suchen.
Er fand ihn beim Hamburger SV und zwar dank Ahmed Halilhodzic, dem Cousin des erfolgreichen Trainers Vahid Halilhodzic. Ebenfalls in Jablanica geboren, war Halilhodzic einst nach Hamburg ausgewandert und unterhielt Kontakte zum HSV. Er organisierte Salihamidzic ein Probetraining beim HSV und versprach ihm ein Bett in seiner Wohnung. Nach drei Monaten waren alle Bürokratien geklärt, im Dezember 1992 begann die Flucht.
"Mein Vater musste mich erst mit dem Auto nach Kroatien bringen. Von dort aus fuhren Busse nach Deutschland, ich saß in einem Bus in Richtung Dortmund. An der Grenze musste man immer Zittern, wir hatten Glück und kamen durch", erzählte Salihamidzic. "Irgendwann kam ich in Dortmund an und von dort aus ging es mit dem Zug weiter nach Hamburg. Ich hatte nur eine Tasche dabei und etwas Geld. Ich wusste nicht, was mich erwartet."
Feiern in Lübeck, trainieren in Hamburg
Mit dem Geld holte sich Salihamidzic am Hamburger Hauptbahnhof jedenfalls eine Limonade, dann zog er bei den Halilhodzics ein und begann sein Probetraining bei der U19 des HSV, für die damals schon Sven Wittfot spielte. "Man hat sofort gesehen, dass Brazzo ein richtig guter Fußballer und sehr fit ist", sagt er im Gespräch mit SPOX und Goal. "Dass er davor lange Zeit nur individuell trainiert hat, merkte man ihm nicht an."
Ohne Probleme bestand Salihamidzic das Probetraining und war ab Januar 1993 Spieler des HSV. Im darauffolgenden Sommer übersiedelte er von Halilhodzics Wohnung ins vereinseigene Internat. "Aufgrund der Sprachbarriere war er zunächst zurückhaltend. Trotzdem versuchte er sich ganz schnell zu integrieren. Er ist ein geselliger Mensch, der auch bei unseren privaten Treffen immer dabei war", erinnert sich Wittfot, der damals im nahen Lübeck wohnte. "Nach den Spielen kam Brazzo mit anderen Mitspielern oft zu mir zu Besuch und dann sind wir gemeinsam in Lübeck feiern gegangen."
Schnell lernte Salihamidzic Deutsch und so konnte er mit seinen Mitspielern bald auch über seine Vergangenheit sprechen. "Natürlich hat er von seiner Reise berichtet", sagt Wittfot. "Er hat erzählt, dass er sich allein gefühlt hat und dass er gerne bei seiner Familie geblieben wäre. Niemals hat er aber darüber gesprochen, was dieser Krieg für ihn bedeutet und wie er ihn vor Ort erlebt hat."
Die Vorgänge in seiner Heimat hemmten Salihamidzic offenbar nicht, sie motivierten ihn nur noch weiter. "Er ist nie traurig in der Ecke gesessen", sagt Wittfot. Stattdessen hat er trainiert und trainiert und trainiert. "Er war sehr, sehr ehrgeizig und bei jedem Training vom Beginn bis zum Ende konzentriert bei der Sache. Danach hat er ab und an noch Lauf- und Freistoßübungen gemacht."
imago images / Aleksandar DjorovicMagath machte Salihamidzic zum Bundesligaspieler
Salihamidzics harte Arbeit lohnte sich: Nach eineinhalb Jahren in der U19 holte ihn Trainer Felix Magath, mit dem er später auch beim FC Bayern München und dem VfL Wolfsburg zusammenarbeiten sollte, zu den Amateuren und machte ihn direkt zum Stammspieler. "Magath hat frühzeitig erkannt, dass es Brazzo wirklich weit bringen kann", sagt Wittfot. "In Sachen Ehrgeiz hat es gepasst zwischen den beiden." Schuften und schuften lassen.
1995 wurde Magath zum Trainer der Profimannschaft befördert, wenig später zog er den damals 19-jährigen Salihamidzic hoch und beorderte ihn bei den letzten acht Saisonspielen in die Startelf. Salihamidzic dankte es mit insgesamt sieben Scorerpunkten, hatte somit großen Anteil an der erfolgreichen Qualifikation für den UEFA Cup.
Für Salihamidzic war das damals nicht der einzige Grund zur Freude. Kurz davor hatten die Belagerung von Sarajevo und der Bosnienkrieg ihr Ende gefunden, auch in seiner Heimat wurde somit wieder Fußball gespielt. Im Oktober 1996 stieg das erste Länderspiel einer bosnischen Nationalmannschaft, bei der 1:4-Niederlage gegen Kroatien erzielte Salihamidzic das Premierentor.
Er war nun angekommen im Profifußball, wechselte zwei Jahre später zum FC Bayern und gewann dort in seiner dritten Saison die Champions League - weniger als neun Jahre nachdem er alleine in den Bus nach Deutschland gestiegen war.
Hasan Salihamidzics Karrierestationen
Zeitraum | Klub | Pflichtspiele | Tore | Assists |
1994 bis 1996 | Hamburger SV II | 61 | 6 | 1 |
1996 bis 1998 | Hamburger SV | 87 | 21 | 14 |
1998 bis 2007 | FC Bayern München | 365 | 47 | 53 |
2007 bis 2011 | Juventus Turin | 73 | 8 | 8 |
2011 bis 2012 | VfL Wolfsburg | 16 | 4 | - |