Nach der U21-EM im vergangenen Jahr stellten die Verantwortlichen des FC Bayern schon Kontakt zu ihm her, jetzt ist Marc Roca ein Teil der Mannschaft von Hansi Flick. Was erwartet den deutschen Rekordmeister?
Der Scoutingbericht über Marc Roca lag Hasan Salihamidzic schon am 1. Juli 2019 vor. Am Vorabend hatte sich die spanische U21 durch einen 2:1-Sieg gegen Deutschland zum Europameister gekrönt. Auch dank Roca.
Der damals 22 Jahre alte Profi von Espanyol Barcelona war so etwas wie die Schaltzentrale im Mittelfeld der Iberer. Der energische Antreiber mit Vorliebe für hohes Pressing und Diagonalbälle aus dem Fußgelenk. Oder mit den Worten der katalanischen Zeitung La Vanguardia: "Der, der die Gabe besitzt, die einzelnen Mannschaftsteile wie Klebstoff zusammenzuhalten."
Salihamidzic schien ebenfalls recht schnell von den fußballerischen Fertigkeiten des linksfüßigen Klebstoffexperten überzeugt zu sein und arrangierte nach Angaben der Süddeutschen Zeitung im Beisein des damaligen Bayern-Trainers Niko Kovac ein Treffen auf Ibiza mit ihm. Ein Treffen, das dem Hörensagen nach niemanden der Beteiligten enttäuschte.
Marc Roca über Xabi Alonso: "Ich habe ihn immer bewundert"
Die Münchner Delegation traf auf einen etwas schüchternen, aber aufgeräumten jungen Menschen, der sich begeistert von der Idee zeigte, in Zukunft für den Verein aufzulaufen, bei dem einst sein großes Idol gespielt hatte: Xabi Alonso.
"Ich habe ihn immer bewundert", sagte Roca einmal in einem Interview mit der spanischen Zeitung El Periodico über den baskischen Mittelfeldregisseur. "Er ist der Typ Spieler, dem ich nacheifern möchte. Alonso beherrschte alle Facetten des Spiels. Defensiv war er immer gut positioniert, er war aggressiv auf dem Platz und variierte perfekt zwischen kurzen und langen Pässen. Und wer wünscht sich nicht, einen solchen Karriereweg hinzulegen wie er?"
imago images / DeFodi2019 verlangte Espanyol Barcelona das Vierfache für Marc Roca
Aus seinem Wunsch sollte in jenem Sommer 2019 aber keine Realität werden, weil die Vorstandschaft des FC Bayern ihr Veto einlegte, als Salihamidzic mit der Bitte an sie herantrat, Roca umgehend zu verpflichten. Das Hindernis: die auf 40 Millionen Euro taxierte Ausstiegsklausel des Spielers, auf die der damals aufstrebende Europa-League-Teilnehmer Espanyol auf Biegen und Brechen bestand. Zu viel für ein Talent, das gerade erst eine komplette Saison als unangefochtene Stammkraft in der Primera Division hinter sich gebracht hatte.
Wie sich kürzlich jedoch herausstellte, brach der Kontakt zwischen Salihamidzic und Roca nach jenen gescheiterten Verhandlungen nicht ab. Auch in der darauf für den Hochbegabten schwierigen Saison mit vier Trainerwechseln, in der er eher stagnierte statt an seine positive Entwicklung anzuknüpfen und Espanyol am Ende sogar den Gang in die Segunda Division antreten musste, rief "Brazzo" ihn häufiger an.
Marc Roca bei Espanyol: "Das größte Talent seit Raul Tamudo"
Anfang Oktober 2020, kurz vor der Schließung des Transferfensters, einigten sich die Bayern schließlich mit Espanyol auf einen Wechsel. Nur neun Millionen Euro, also nicht einmal ein Viertel der im Vorjahr noch aufgerufenen Summe, zahlte der Champions-League-Sieger. Möglich machte es die mit der Corona-Krise und dem Abstieg verbundene Verkaufsnot des wirtschaftlich angeschlagenen Traditionsklubs.
"Es war eine Meisterleistung des FC Bayern, Marc für diese vergleichsweise geringe Summe zu verpflichten", sagt ein langjähriger Espanyol-Mitarbeiter zu SPOX und Goal. Er spricht von einem "Schnäppchen", schließlich sei der wenige Kilometer westlich von Barcelona in Vilafranca del Penedes aufgewachsene Roca "unser größtes Talent seit Raul Tamudo" gewesen.
imago imagesMarc Roca und die besondere Verbindung zu Dani Jarque
Ein Blick auf seine Trikotnummer reichte, um zu erfahren, wie groß die Wertschätzung der "Pericos" gegenüber ihm war. Roca trug die 21 von Dani Jarque, einem früheren Abwehrspieler, der 2009 während eines Trainingslagers in Florenz in seinem Hotelzimmer einen Herzinfarkt erlitt und mit nur 26 Jahren starb.
Eigentlich wollte Espanyol die 21 nach jenem tragischen Unglück nicht mehr vergeben. "Aber Marc bekam sie, weil er bei uns stets dieselben Werte wie Dani vertrat: Er ist ein Vollblutprofi, der als Erster zum Training kommt und als Letzter geht. Einer, der kämpft und alles dem Erfolg der Mannschaft unterordnet", berichtet der Espanyol-Insider und fügt schmunzelnd an: "Man könnte ihn in dieser Hinsicht fast schon als Deutschen bezeichnen. Er ist nie zu spät, achtet penibel auf seine Ernährung und legt viele Extraschichten im Kraftraum oder mit einem Personal Trainer zu Hause ein."
FC Bayern: Marc Roca im Steckbrief
geboren | 26. November 1996 in Vilafranca del Penedes, Spanien |
Größe | 1,84 m |
Position | Mittelfeld |
starker Fuß | links |
Stationen | Espanyol Barcelona, FC Bayern München |
Als er mit 19 bei den Profis debütierte, war der im Jugendbereich ab und zu auch als linker Verteidiger und linker Flügelstürmer eingesetzte Roca noch sehr schlaksig. "Dann sagte man ihm, dass er mit dieser Statur auf lange Sicht keine Chance als defensiver Mittelfeldspieler haben werde. Von diesem Moment an trainierte er wie ein Besessener", verrät der Insider.
Aus Roca wurde über die Jahre ein muskulöser Athlet, der sich nicht zuletzt dank seiner hohen Laufbereitschaft, seines meist gesunden Maßes an Aggressivität und seiner Sicherheit im Passspiel in die Rolle des Aufbauspielers vor der Abwehr kämpfte. Er kann die alleinige Sechs, aber auch die aktuell unter Bayern-Trainer Flick praktizierte Doppelsechs spielen.
Salihamidzic hatte allerdings recht, als er kürzlich im kicker sagte, dass Roca noch kein fertiger Spieler ist. "Er ist noch jung, er muss sich bei uns weiterentwickeln, er muss unseren Fußball verstehen", fordert der Sportvorstand. Schwächen werden Roca vor allem im Dribbling nachgesagt, er besitzt nicht die Leichtigkeit von Thiago, der in seiner Bayern-Zeit so manche Kontrahenten auf engstem Raum wie Anfänger aussehen ließ.
FC Bayern: Woran Marc Roca arbeiten muss
Nun mag das zwar nicht die Hauptaufgabe eines Sechsers sein, an seiner Dynamik wird Roca aber arbeiten müssen, um der Flick'schen Philosophie von temporeichem Fußball gerecht zu werden und sich auch einen Platz in der spanischen A-Nationalmannschaft zu erspielen. Dahingehend sind ihm Akteure wie Rodri (Manchester City) oder Mikel Merino (Real Sociedad) aktuell noch einen Schritt voraus.
Gleichwohl ist davon auszugehen, dass Roca mit seinem Wechsel vom strauchelnden Espanyol zur neuen Nummer eins in Europa automatisch mehr ins Visier von Nationaltrainer Luis Enrique rückt. "Marc musste diesen Schritt für seine Karriere machen. Jeder bei uns versteht ihn und wünscht ihm das Beste", betont der Espanyol-Insider.
Verwundert waren sie bei den "Pericos" trotzdem, dass der Transfer nach München zustande kam. "Das Thema Bayern galt für die Verantwortlichen schon fast als abgehakt. Es gab neben ein paar ausländischen Klubs auch einige spanische Erstligisten, die ihn wollten."
imago imagesMarc Roca: Große Konkurrenz beim FC Bayern
Atletico Madrid etwa wurde über den ganzen Sommer hinweg Interesse an Roca nachgesagt. Bei den "Rojiblancos" hätte er angesichts des Wechsels von Thomas Partey zum FC Arsenal wohl auch sofort einen Stammplatz gehabt. Diesen bekommt er in München gewiss nicht. Joshua Kimmich und Leon Goretzka sind auf der Doppelsechs gesetzt, zudem kann Flick noch auf Corentin Tolisso und Javi Martinez zurückgreifen.
Allerdings: Der nach Rotationen schreiende Spielplan mit unzähligen englischen Wochen dürfte dem Neuzugang zumindest Hoffnung machen, schnell auf Einsätze in vermeintlich weniger großen Spielen zu kommen.
Einer seiner Vorteile gegenüber so manchem seiner Mittelfeldkonkurrenten: Er ist kaum anfällig für Verletzungen. Mit 23 Jahren steht er bereits bei 121 Profieinsätzen auf Vereinsebene. Ein Beleg für die "sehr hohe Eigenmotivation", die Salihamidzic ihm attestiert.
Marc Roca: Intaktes Privatleben und Interesse an Psychologie
Zu seinem Erfolgsgeheimnis zählt neben seinem guten Gespür für Ernährung und Regeneration aber auch sein intaktes Privatleben.
"Er lässt sich nicht auf Dinge oder Leute ein, die ihm nicht guttun. Er liebt die Ruhe", sagt der Espanyol-Insider und berichtet weiter: "Sein Umfeld besteht aus seiner Familie, seinen Kindheitsfreunden und seiner Partnerin, mit der er seit über drei Jahren zusammen ist und die ihn nach München begleiten wird."
In seiner Freizeit gehe Roca gern mit seinen Hunden spazieren, besuche Museen und lese viel, vorzugsweise Werke der Psychologie. Es scheint, als eifere er nicht nur auf dem Platz seinem Vorbild Xabi Alonso nach.