Alvaro Odriozola hat mit dem FC Bayern München das Triple gewonnen, so viel steht fest. Wer es nicht glauben mag, der kann sich Beweisfotos aus dem vergangenen Sommer anschauen, auf denen eindeutig er mit der Champions-League-Trophäe, der Meisterschale und dem DFB-Pokal zu sehen ist. Hätte der FC Bayern das Triple aber auch ohne Alvaro Odriozola gewonnen?
Vermutlich, während seiner Leihe in der Rückrunde stand er schließlich nur in fünf Spielen beziehungsweise 179 Minuten auf dem Platz. Nicht einmal, als der nominelle Rechtsverteidiger Benjamin Pavard während des Champions-League-Finalturniers verletzt ausfiel, vertraute Trainer Hansi Flick dem Spanier, sondern zog stattdessen Joshua Kimmich aus dem Mittelfeldzentrum ab.
Genau vor dieser Situation hatte sich Flick ein halbes Jahr vorher gefürchtet. Als es in Deutschland noch kein Corona gab und der FC Bayern Anfang Januar 2020 sein Trainingslager in Katar abhielt, sagte Flick ohne vorherige Rücksprache mit dem Klub der Süddeutschen Zeitung: "Wir brauchen auf jeden Fall noch Verstärkung." Er denke diesbezüglich "an mindestens zwei Spieler - auf jeden Fall einen für die Defensive und vielleicht auch für die offensive Außenbahn". Ansonsten sei der Klub "nicht optimal für die Rückrunde aufgestellt".
Mit diesen Aussagen richtete Flick, der das Traineramt erst eineinhalb Monate zuvor von Niko Kovac übernommen und die Mannschaft in der Zwischenzeit zurück in die Erfolgsspur geführt hatte, eine klare Botschaft an den damaligen Sportdirektor und jetzigen Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Mehr noch: Flick läutete einen Machtkampf zwischen den beiden ein, der seitdem mal offener geführt wird und mal verdeckter.
FC Bayern: Im Januar 2020 behielt eher Salihamidzic Recht
Als Hauptverantwortlicher für die Transferpolitik fühlte sich Salihamidzic damals natürlich angesprochen und reagierte umgehend. Er sehe die Saisonziele auch ohne einen einzigen Transfer ausdrücklich nicht gefährdet, verkündete er, könne die Wünsche seines Trainers aber nachvollziehen und stünde diesbezüglich auch in permanentem Austausch mit ihm. Aber der Weg über die Öffentlichkeit? "Ich war überrascht, dass Hansi mediale Kaderplanung betrieben hat. Davon bin ich kein Freund."
Mit der Aura des Dienstälteren ergänzte Salihamidzic, seit 2017 im Amt: "Hansi spürt jetzt als Cheftrainer den Erwartungsdruck noch mehr, den ein Cheftrainer beim FC Bayern hat." Und dann sagte er noch: "Die Zukunft des FC Bayern hängt nicht von einem Rechtsverteidiger ab." Zumindest von keinem aktiven, sehr wohl aber von einem ehemaligen: nämlich Salihamidzic selbst. Kurz vor Ablauf der Transferfrist verpflichtete er per Leihe von Real Madrid mit Odriozola doch noch einen aktiven Rechtsverteidiger, den ebenfalls geforderten Offensivspieler verwehrte er seinem Trainer aber.
Dass Flick von Odriozola nicht restlos überzeugt war, zeigen schon seine geringen Einsatzzeiten. Damit strafte sich der Trainer aber gleichzeitig selbst Lügen: Letztlich holte Flick nämlich mit der von Salihamidzic zusammengestellten und seiner Meinung nach nicht entsprechend aufgestellten Mannschaft das Triple. Recht behielt in diesem Fall also eher Salihamidzic.
Hansi Flicks Forderung nach einem Veto-Recht bei Transfers
Während Flick die Mannschaft dank seines taktischen Geschicks und seiner zwischenmenschlichen Qualitäten in beeindruckendem Tempo weiterentwickelte und von Sieg zu Sieg führte, stellten sich im Klub wichtige Zukunftsfragen: Wer soll den Trainerposten langfristig besetzen? Und wie sehen die langfristigen Transferplanungen aus?
Dass Flick ob des Erfolgslaufs zur Wunschlösung der Verantwortungsträger avancierte, war logisch und bald auch bekannt. Bereits nach dem überzeugenden 3:0-Sieg des FC Bayern im Achtelfinalhinspiel der Champions League beim FC Chelsea im Februar überreichte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge Flick beim traditionellen Bankett einen roten Stift und sagte: "Mit Stiften unterzeichnet man manchmal Papiere."
Zunächst unterzeichnete der damals als Cheftrainer bis Sommer gebundene Flick aber gar nichts und versuchte stattdessen, seine eigene Position in Sachen Transferpolitik zu stärken. "Wenn es um Neuzugänge und Verstärkungen geht, muss der Trainer aus meiner Sicht ein Veto-Recht haben", sagte er der SportBild. Diese Aussage löste im Klub angeblich Verwunderung aus. Vorstand Oliver Kahn betonte, "dass am Ende der Klub immer über allem steht". Mit über allem meinte er: auch über dem Trainer.
Kahn war dann laut des Blatts aber derjenige, der ein klärendes Gespräch zwischen Salihamidzic und Flick moderierte, ehe dieser Anfang April einen Vertrag bis 2023 unterschrieb. Bald darauf wurde Salihamidzic zum Sportvorstand befördert.