Knapp 27.000 Menschen. Etwas mehr als 10.600 Haushalte. 55 Prozent davon als "white" eingestuft, 45 Prozent als "non-white". Die Innenstadt von Southampton steht wie fast jede andere in England für Multi-Kulti, für Vielfalt - aber auch für Probleme. Rund 37 Prozent der Ansässigen in dem sogenannten SO14-Bezirk sind offiziellen Behörden zufolge arbeitslos, zwischen zahlreichen Mittelständlern und ein paar Reichen leben einige Familien am Existenzminimum.
"Es ist nicht der angenehmste Fleck Erde", sagt Rosh Bhatti im Gespräch mit SPOX und Goal seufzend, "man sieht selbst am helligten Tage Menschen, die sich prostituieren oder mit Drogen dealen. Das gehört hier leider dazu." Was vielen Kindern und Jugendlichen gegen die Schattenseiten der Großstadt hilft? Sport. Vor allem Fußball.
Deshalb ist Bhatti, 45, seit vielen Jahren mehrmals in der Woche im Herzen von Southampton unterwegs. Er klappert Schulen, Turnhallen und Bolzplätze mit dem Auftrag ab, Jungen und Mädchen für Fußball zu begeistern. Die begabtesten schickt der Scout des FC Southampton irgendwann zum Staplewood Campus, dem Trainingsgelände der "Saints" westlich der Innenstadt, um bei den Nachwuchschefs des von Ralph Hasenhüttl trainierten englischen Erstligisten vorzuspielen.
Rosh Bhatti: "City Central bedeutet Gleichberechtigung"
Der erste Halt für alle Fußballinteressierten ist aber der FC City Central - ein Freizeitverein im SO14-Bezirk, wo es keine Außenseiter gibt, sondern der Spaß an erster Stelle steht. Ein bisschen im Käfig Kicken und den tristen Alltag hinter sich lassen - ganz egal, ob man als reich oder arm, als Christ*in oder Muslim*in oder als "white" oder "non-white" durchgeht. Der Klub lebt es vor, beschäftigt Trainer*innen aus aller Welt. "City Central bedeutet Gleichberechtigung", sagt Bhatti.
Der Scout weiß, wovon er redet. Er hatte den Klub im Jahr 2001 gemeinsam mit seinem Bruder Jazz gegründet und über ein Jahrzehnt lang selbst als Betreuer auf dem Platz gestanden, ehe er von den "Saints" engagiert wurde. "Ich habe in mehr als 15 Jahren nicht einmal mitbekommen, dass ein Kind diskriminiert oder rassistisch beleidigt wurde", sagt Bhatti, "City Central formt viele Freundschaften fürs Leben - zwischen Familien unterschiedlicher Herkunft, auch zwischen den Kindern selbst."
Jamal Musiala kam mit sieben Jahren nach Southampton
Jamal Musiala kann das bestätigen. Der heutige Profi des FC Bayern kam im Oktober 2010 im Alter von sieben Jahren mit seiner Familie und dem Traum im Gepäck für vier Monate von Fulda nach Southampton, es seinen Vorbildern Ronaldinho, Zinedine Zidane und Lionel Messi gleichzutun und Fußballprofi zu werden. City Central nahm ihn im Gegensatz zu anderen Vereinen auf und gab ihm so die Möglichkeit, neben dem Fußballspielen auch schnell sozialen Anschluss auf der Insel zu finden.
"Nicht jeder hat die Chance, sofort in die Akademie eines Top-Vereins zu gehen", sagt Wai Wan, Musialas erste Trainerin in der U7, "bei uns darf jeder Fußball spielen, das ist das Wichtigste. Jamal war bei unserer ersten Begegnung sehr schüchtern und sprach kein Englisch. Aber am Ende sprach sein Talent für ihn."
Einer seiner bis heute engsten Freunde aus der gemeinsamen Zeit bei City Central ist Levi Colwill, ein auf den Tag genau gleichaltriger Junge aus Southampton, der es später wie Musiala selbst erst in die Akademie der "Saints" und dann zum FC Chelsea schaffte. Heute steht Colwill auf Leihbasis beim Zweitligisten FC Huddersfield unter Vertrag.
"Meine Zeit in England bedeutet mir sehr viel. Ich bin sehr dankbar dafür, wie ich als 7-jähriger kleiner Junge aus Deutschland, der kein Wort Englisch sprechen konnte, in Southampton vom City Central FC aufgenommen wurde. Ich habe durch den Fußball Freunde gefunden. Die Menschen und Trainer dort waren so inspirierend und ermutigend. Sie haben mir den Start in England so viel leichter gemacht", sagt Musiala im Gespräch mit SPOX und Goal.
Der "Jamal Musiala City Central Cup" in Southampton
Aus diesem Grund gibt der deutsche Nationalspieler dem Freizeitverein und dessen Community nun etwas zurück. Er und seine Familie haben ein Jugendturnier unter dem Namen "Jamal Musiala City Central Cup" organisiert, das fortan regelmäßig auf dem Trainingsgelände des Klubs steigen soll. Dabei geht es weniger darum, dem Verein in finanziell schwierigen Zeiten unter die Arme zu greifen. Im Vordergrund steht die Vermittlung von Werten wie Respekt, Empathie, Dankbarkeit, Verantwortung und Selbstfürsorge. Werte, die dem 18-Jährigen auf dem Weg in den Profibereich halfen.
"Nicht nur die sportlich besten, auch die fairsten Mannschaften sollen bei diesem Turnier belohnt werden", erklärt Bhatti und berichtet nach einem ersten Probeturnier im Juli mit rund 80 Kindern aus den Altersklassen U7 und U8, U9 und U11 von einem "Lerneffekt" bei den Jungen und Mädchen.
"Ein paar Trainer haben mir schon erzählt, dass sich die Kinder im Training nicht sofort den Ball schnappen und stattdessen viel häufiger fragen: 'Hey Coach, wie geht es dir? Kann ich mit irgendwas helfen?' Jamal hat einen großen Einfluss auf sie, er ist ein Held, viele Ältere aus der Community erinnern sich auch noch an ihn und schauen voller Hoffnung zu ihm auf. Das Positive an ihm ist ja, dass er ein unglaublich demütiger und höflicher Kerl ist, der trotz seiner rasanten Entwicklung nicht abgehoben ist. Das ist einer der Schlüssel zu seinem Erfolg. Das hat ihm seine Familie, vor allem seine Mutter, mitgegeben. Und das versucht er nun den Kindern hier in Southampton und bei City Central zu vermitteln. Talent allein ist nicht alles."
Jamal Musiala schickte den Kindern Videobotschaften
Coronabedingt war ein Besuch vor Ort für Musiala bislang noch nicht möglich, der Mittelfeldspieler schickte den Kindern bei City Central im Rahmen des ersten Probeturniers aber mehrere Videobotschaften und signierte Trikots nach Southampton. "Beim FC City Central lassen sie die Kinder träumen, trotz all der Entbehrungen, die manche Kinder ertragen müssen. Es ist eine große Ehre für mich, jetzt etwas zurückgeben zu können. Es ist so wichtig, Kindern Werte fürs Leben zu vermitteln und dass sie zu träumen wagen. Ich bin sehr froh, die Leute vom FC City Central unterstützen zu können, die eine großartige Arbeit für die Gemeinschaft in Southampton leisten", sagt Musiala.
Dragos Cavasdan, der Vorsitzende des Vereins, zeigt sich im Gespräch mit SPOX und Goal überwältigt: "Wir könnten nicht dankbarer sein, diesen Jungen zu kennen. Abgesehen von seinen fußballerischen Fähigkeiten, die herausragend sind, gibt mir die Art und Weise, wie er in Interviews spricht und sich auf dem Spielfeld verhält, Hoffnung, dass es im Fußball noch vernünftige, gut denkende Menschen gibt."