Der hochtalentierte Innenverteidiger Tanguy Nianzou (19) spielt beim FC Bayern München weiterhin keine Rolle. War in der vergangenen Saison noch seine Verletzungsserie das Problem, ist es aktuell eine Kombination aus seiner Position und seinem Talent.
Ziemlich exakt ein Jahr ist es her, als Ralf Rangnick eine kühne Prognose wagte. Nachdem er Tanguy Nianzou im Sport1-Doppelpass fast schon beiläufig als "besten Innenverteidiger der nächsten zehn Jahre" angepriesen hatte, sagte Rangnick: "Und ich lege mich mal fest: Wenn er einigermaßen gesund bleibt, wird er innerhalb eines Jahres Stammspieler beim FC Bayern werden."
Wenn Rangnick sowas sagt, dann hat das Gewicht. Kaum ein Fußball-Experte antizipierte in den vergangenen Jahren so viele große Karrieren wie er, kaum einer kennt sich auf dem internationalen Talente-Markt ähnlich gut aus. Mit etlichen seiner Entdeckungen (die er für etliche Millionen kaufen durfte) formte Rangnick aus erfundenen Klubs wie der TSG Hoffenheim und RB Leipzig etablierte Bundesligisten und sogar Europapokal-Teilnehmer.
Mehrmals wollte Rangnick auch Nianzou von Paris Saint-Germain nach Leipzig locken, vergangenen Sommer entschied sich der damals 18-Jährige aber letztlich für einen ablösefreien Wechsel zum FC Bayern. Sportvorstand Hasan Salihamidzic jubilierte damals über die Verpflichtung "eines der größten Talente in Europa".
Mit regelmäßigen Einsätzen durfte Nianzou diesen Status beim FC Bayern bisher aber noch nicht untermauern. In seiner ersten Saison lag das an einer beispiellosen Verletzungsserie, die eine Prüfung von Rangnicks Stammplatz-Prognose zum jetzigen Zeitpunkt obsolet macht. In der aktuellen Saison liegt es an einer Kombination aus seiner Position und durchaus kurioserweise seinem Talent.
Was Julian Nagelsmann an Tanguy Nianzou stört
Julian Nagelsmann nahm sich bei einer Pressekonferenz vergangene Woche viel Zeit, um die Hintergründe von Nianzous Reservistenrolle zu erklären. Der fachkundige Trainer genießt es förmlich, bei solchen Fragen detailliert seine Beweggründe zu schildern. Genau so war es auch, als es vor einigen Wochen um den ebenfalls kaum eingesetzten Omar Richards ging.
Diesmal berichtete Nagelsmann per Webcam aus seiner Küche davon, dass Nianzou zweifelsohne "ein großes Talent mit viel Potenzial und fußballerisch ein sehr guter Innenverteidiger" sei. "Aber das ist manchmal gar nicht so gut, weil man sich dann sehr viel zutraut. Das ist per se eine gute Sache, führt aber hin und wieder zu Fehlern."
Wäre an sich auch gar nicht so schlimm, wäre Nianzou nicht blöderweise Innenverteidiger. "Wenn du als Zehner aus dem Jugendbereich rauskommst und frei von der Seele wegspielst, hat das nicht diese Tragweite, wie wenn du das als Innenverteidiger oder Torwart machst", erklärte Nagelsmann. Je weiter hinten ein Fehler passiert, desto fataler ist er. "Und er hatte in den Trainingseinheiten und Testspielen den einen oder anderen Fehler zu viel drin."
Tanguy Nianzou war Vorbereitungs-Stammspieler
Testspiel-Eindrücke durfte Nagelsmann bei Nianzou im Sommer reichlich sammeln. Weil er anders als etliche seiner Kollegen nicht bei der EM im Einsatz war, bekam Nianzou keinen verlängerten Urlaub und nahm pünktlich zum Trainingsauftakt die Arbeit auf. Gemeinsam übrigens mit seinem im französischen EM-Kader ebenfalls nicht berücksichtigten Landsmann Dayot Upamecano. Bei den meisten Testspielen bildeten die beiden das Innenverteidiger-Pärchen.
Während sich Upamecano anschließend als Stammspieler etablierte, zogen die spät zur Mannschaft gestoßenen Niklas Süle und Lucas Hernandez in der Innenverteidiger-Hierarchie direkt an Nianzou vorbei. Er kam in dieser Saison bisher lediglich auf 197 Pflichtspielminuten - und produzierte dabei laut Opta keinen Fehler, der zu einem Gegentor, ja nicht einmal zu einem gegnerischen Schuss führte. Auf dem Platz stand Nianzou letztmals dennoch Mitte September, zuletzt fehlte er gelegentlich sogar gänzlich im Kader.
Tanguy Nianzou plant keinen Abschied im Winter
Was nun? Was wird aus dem vermeintlich besten Innenverteidiger der nächsten zehn Jahre? Laut Nagelsmann geht es darum, "dass er einen guten Mittelweg findet, um die maximale Seriosität zu haben und trotzdem seinen Mut nicht zu verlieren". Erst dann werde Nianzou "wirklich eine Alternative sein".
Offen bleibt selbstredend, wie lange Nianzou (Vertrag bis 2024) diesen Weg mitgehen möchte. Nach Informationen von SPOX und Goal kommt ein in Fällen wie diesen naheliegender Leihwechsel im Winter für ihn nicht in Frage, zumindest bis kommenden Sommer will er sich Nagelsmann empfehlen. Münzt man Rangnicks kühne Prognose auf das Ende seiner Verletzungsserie im Frühling um, hat Nianzou bis dahin ohnehin einen Stammplatz.