Gabriel Vidovic gilt als eines der größten Nachwuchstalente des FC Bayern München. Wie tickt der 18-Jährige? Seit sechs Jahren pendelt Vidovic nach München, einmal bekam er besonderen Besuch aus Kroatien und Diego Simeone dürfte ihn mögen.
Ein Angebot vom FC Bayern München? Das kann man als junger Bub nicht ausschlagen! Das ist doch eine Chance, die nie mehr wieder kommt. Aber das war der Familie Vidovic, nun ja, ziemlich egal. Sohn Gabriel sollte erstmal in Augsburg bleiben, wo er beim FCA im Nachwuchs spielte und eine Partnerschule besuchte. Dort, wo er die Leute kannte und die Wege kurz waren.
"Bevor Gabi 2016 zum FC Bayern gewechselt ist, haben wir schon zwei Anfragen abgelehnt", erzählt seine Mutter Marijana Vidovic im Gespräch mit SPOX und GOAL. "Beim zweiten Mal haben wir Gabi gar nicht gefragt. Wir haben als Eltern entschieden, dass es noch zu früh für ihn ist." Erst später hätten sie ihrem Sohn davon berichtet. Wutausbruch ist keiner übermittelt, er habe es verstanden.
Aller guten Dinge sind ohnehin drei: Im Alter von zwölf Jahren schloss sich Vidovic 2016 doch noch dem Rekordmeister aus der Landeshauptstadt an. Vidovic kam nicht alleine nach München, er war Teil einer kleinen Augsburger Invasion. Gemeinsam mit ihm wechselten auch sein Trainer Alexander Moj sowie die Mitspieler Behar Neziri, Micha Bareis und Lasse Günther zum FC Bayern. Neziri spielt aktuell für die Reserve, Bareis beim FC Memmingen und Günter wieder beim FCA (aktuell nach Regensburg verliehen). Vidovic dagegen ist mittlerweile festes Mitglied der Profimannschaft des FC Bayern.
In der vergangenen Saison sammelte der Offensivallrounder in 30 Regionalligaspielen für die Reserve 31 Scorerpunkte, ehe ihm Trainer Julian Nagelsmann in der Schlussphase der Saison zu seinen ersten drei Bundesligaeinsätzen verhalf. Vidovic gilt als eines der größten Nachwuchstalente des FC Bayern, hat schon einen Profivertrag bis 2025 unterschrieben. Es sind erste Erfolge, für die er als Jugendlicher weite Wege zurücklegen musste.
imago imagesGabriel Vidovic pendelt von Augsburg nach München
Zu jedem Training und Spiel etwa 65 Kilometer hin und wieder zurück, um genau zu sein. Nach seinem Wechsel übersiedelte Vidovic nicht ins Internat des FC Bayern, sondern blieb in seinem Elternhaus und pendelte nach München. "Er hatte sehr lange Tage", sagt Marijana Vidovic.
Um sieben in der Früh brach er zur Schule auf, wo ihn ein Elternteil am Nachmittag abholte und hastig nach Hause fuhr. Dort wartete schon der Fahrer des FC Bayern, der ihn zum Training nach München und später wieder heim brachte. Essen gab es aus Tupperboxen. Einmal gesättigt galt die restliche Fahrtzeit dem Lernen. Gegen halb zehn abends war er meistens zurück, gelegentlich mussten dann noch Hausaufgaben komplettiert werden.
Nach der 10. Klasse wechselte Vidovic vom Gymnasium an die FOS, die er vergangenen Sommer nach dem ersten von zwei Jahren unterbrach. Das Abitur könnte er theoretisch noch nachholen, aber erstmal gilt: voller Fokus auf den Fußball! Bis heute wohnt Vidovic in seinem Elternhaus in Augsburg. Seit seinem 18. Geburtstag vor einem halben Jahr hat er immerhin den Führerschein und ist nicht mehr auf die Fahrer des FC Bayern angewiesen.
"Viele Talente werden von ihren Eltern, Freunden, Beratern oder Sponsoren zu früh unter Druck gesetzt", sagt Reserve-Trainer Martin Demichelis zu SPOX und GOAL. "Bei ihm ist das nicht der Fall. Er ist ein sehr bodenständiger junger Mann." Auch Nachwuchs-Chef Jochen Sauer lobt: "Gabi kommt aus einem guten Elternhaus. Er ist gut erzogen und höflich, bringt auch eine gewisse Demut mit." Familiär bedingt ist bei Vidovic neben diesen Charakter-Eigenschaften übrigens auch die Fußball-Leidenschaft.
Gabriel Vidovics Vater und Onkel waren auch Fußballer
Seine Eltern stammen zwar aus dem heutigen Bosnien und Herzegowina, sind aber kroatischer Abstammung. Im Zuge des Jugoslawien-Krieges kamen sie Anfang der 1990er-Jahre separat nach Augsburg, wo sie sich 1995 kennenlernten. Vidovics Vater Zoran hatte zuvor beim kroatischen Zweitligisten NK Spansko Zagreb gespielt, in Deutschland war er im bayerischen Unterhaus für den NK Enikon und den damals eher bedeutungslosen FC Augsburg aktiv. Sein jüngerer Bruder Mladen schaffte es bis in die zweite Schweizer Liga.
Gabriel kam 2003 in Augsburg zur Welt, bald eiferte er Vater und Onkel nach. "Schon im Alter von zwei Jahren hat Gabi nur mit Bällen gespielt. Alle anderen Spielzeuge interessierten ihn nicht. Als Kind und Jugendlicher hatte er keine anderen Hobbys als Fußball", erinnert sich seine Mutter. Lieblingsspieler: Lionel Messi. Lieblingsklub: FC Bayern.
Mit sechs Jahren schloss sich Vidovic dem FC Augsburg an und "wenn kein Training war, hat er mit seinem Papa am Bolzplatz neben unserem Haus trainiert. Die restliche Zeit hat er drinnen gespielt. Ich mag Deko - aber jede neue Vase war nach wenigen Tagen kaputt geschossen."
Warum Gabriel Vidovic für Kroatien spielt
Obwohl die Vidovics seit fast 30 Jahren in Deutschland leben, ist der Kontakt zur Heimat eng. "Unsere Familien wohnen immer noch in Bosnien, mindestens zweimal pro Jahr sind wir dort zu Besuch", sagt Marijana Vidovic. "Im Urlaub fahren wir immer nach Istrien, wo auch Verwandte von uns leben."
Sohn Gabriel ist auch beruflich regelmäßig in Kroatien, spielt er doch für die dortigen U-Nationalmannschaften. Im vergangenen Herbst wurde er im Alter von 17 Jahren erstmals für die U21 nominiert, innerhalb von nur eineinhalb Jahren debütierte er auch für die U17, U18 und U19. Sein Einsatz für das Herkunftsland seiner Eltern ist auf großes Engagement deren Fußball-Funktionäre zurückzuführen.
"In der U15 war er bei einem Lehrgang der deutschen Nationalmannschaft dabei. Der kroatische Verband hat sich aber die ganze Zeit über sehr um ihn bemüht", erinnert sich Vidovics Mutter. "Erst haben wir abgesagt, aber dann ist ein Jugendleiter extra nach München geflogen und hat Gabi ein Kroatien-Trikot mit der Nummer 10 geschenkt. Danach ist er zum kroatischen Verband gewechselt."
Solange Vidovic kein Länderspiel für die A-Nationalmannschaft absolviert hat, kann er den Verband noch wechseln. "Er hat sich noch nicht final entschieden. Für ihn ist das eine sehr schwierige Entscheidung", sagt seine Mutter. Aktuell ist Vidovic einer von drei kroatischen Nationalspielern des FC Bayern: Josip Stanisic ist schon für das A-Team aktiv, Neuzugang Lovro Zvonarek für die U18.
imago imagesGabriel Vidovic: Ehrenprädikat Simeone-Lieblings-Spielertyp
Zum Einsatz kommt Vidovic meistens als Stürmer, ist in der Offensive laut Demichelis aber äußerst flexibel einsetzbar. "Er kann auf den Flügeln und in der Mitte spielen. Intelligente Spieler wie er können sich an alle Systeme anpassen", erzählt Demichelis und dann fällt ihm ein Spruch seines ehemaligen Trainers bei Atletico Madrid ein: "Diego Simeone wurde mal gefragt, welchen Spielertypen er am liebsten hat, und er meinte: den intelligenten." Genau so einer sei Vidovic, wie Demichelis findet. Der Offensivallrounder habe zweifelsohne "unglaubliche fußballerische Qualitäten. Aber seine womöglich größte Stärke ist sein Charakter."
Trotz des Ehrenprädikats Simeone-Lieblings-Spielertyp dürfte Vidovic bei den Profis des FC Bayern zunächst eher wenig Spielpraxis bekommen. Mit Leroy Sane, Kingsley Coman, Jamal Musiala, Thomas Müller, Serge Gnabry, Sadio Mane und Mathys Tel ist schließlich vor allem die Offensive hochkarätig besetzt. In der Vorbereitung kam Vidovic bei beiden Testspielen zum Einsatz. Beim Supercup gegen RB Leipzig und dem Bundesligaauftakt bei Eintracht Frankfurt stand er aber nicht im Kader, stattdessen musste bei der Reserve in der Regionalliga ran.
Fordert das den hochtalentierten Vidovic genug? Oder würde ihn eine Leihe weiterbringen? "Für mich sind wir kein Regionalligist, sondern die zweite Mannschaft des FC Bayern. Das ist etwas anderes", sagt Demichelis. Regelmäßige Trainingseinheiten mit den hauseigenen Weltklasse-Profis garniert mit Einsätzen in der Viertklassigkeit könnten nach Meinung des Trainers durchaus mehr bringen als Spielpraxis bei einem anderen Klub.
Eine Entscheidung über Vidovics Zukunft ist noch nicht gefallen, womöglich wird er bis Ende August noch verliehen - in Frage käme in diesem Fall nur ein Erstligist. "Generell finde ich, dass unsere Talente den FC Bayern nicht zu früh verlassen sollten", rät der Trainer. Es ist die Empfehlung an einen, der warten kann - immerhin kam er einst auch nicht zu früh zum FC Bayern.
Gabriel Vidovic: Leistungsdaten beim FC Bayern
Saison | Mannschaft | Pflichtspiele | Tore | Assists |
2019/20 (verkürzt wegen Corona) | U17 | 16 | 3 | - |
2020/21 (verkürzt wegen Corona) | U19 | 5 | 1 | 2 |
2021/22 | Reserve | 30 | 21 | 10 |
2021/22 | Profis | 3 | - | - |
2022/23 | Reserve | 2 | - | - |